Pop:Man kann den Mann aus dem Wald holen

Pop: Justin Timberlake am Sonntag in Minneapolis während seiner Halbzeit-Show beim Football-Endspiel.

Justin Timberlake am Sonntag in Minneapolis während seiner Halbzeit-Show beim Football-Endspiel.

(Foto: Timothy A. Clary/AFP)

...aber den Wald nicht aus dem Mann: Das neue Album von Justin Timberlake.

Von Jan Kedves

"Fass mich mit deinen versauten Händen überall an! Du weißt ja, wir sind hier nicht in der jugendfreien Version", singt Justin Timberlake auf seiner aktuellen Maschinen-Funk-Single "Filthy", und man fragt sich sofort: Warum sind die Hände versaut? Ist nicht, wenn überhaupt, die Fantasie desjenigen versaut, der die Hände auf seinem Körper spüren will? Justin Timberlake schein ein altes Problem zu haben: Er schreibt das Dreckige, das er selbst im Bett erleben will, der Frau zu, mit der er im Bett ist. So sind sie halt, die Männer, nicht?

Womit man schon mittendrin wäre in der Frage, was heute ein guter und was ein schlechter Sex-Song ist. Und wie zeitgemäß jene Art von Songs noch ist, mit denen Justin Timberlake als Solokünstler berühmt wurde, "Rock Your Body" (2002), "SexyBack" (2006) - heute, Anfang 2018, in Zeiten von "Me Too" und der notwendigen Sensibilierung dafür, was Einvernehmlichkeit, Respekt und Verführungskunst beim Sex eigentlich sein sollten.

In "Filthy" lässt Timberlake "den Stall offen", er holt "das Biest" heraus, er macht viel "Uh" und "Huh", und die Frau soll dann herbeilaufen und mit dem Biest etwas anstellen - während die Beats des Produzenten Timothy Mosley alias Timbaland fein minimalistisch knacken und bolzen.

Andererseits: Wo, wenn nicht im Pop, der ja immer die unzensierteste aller populären Künste war, sollte man vielleicht weiterhin genau solche Songs singen? Im neuen Puritanismus will man ja auch nicht landen. Insofern: Ist es nicht ganz wunderbar, wenn Jessica Biel, Timberlakes Ehefrau und Mutter seines bald dreijährigen Sohnes Silas, ihrem Gatten dabei zusieht, wie er es sich in der Badewanne mit der Duschbrause selbst besorgt, während sie darüber nachdenkt, wie sie damit später bei ihren Freundinnen angeben kann, weil sie ja so gerne mit ihrem tollen Justin angibt? Im Titelsong des neuen Albums "Man of The Woods" (Universal) ist es freilich genau andersherum: Sie sprudelt in der Wanne, Justin gibt bei den Kumpels damit an.

Herrje, es ist schon wieder so kompliziert. Gar nicht kompliziert zu erkennen ist dagegen, dass das neue Album des 37-Jährigen Ausdruck einer mittelschweren Zerrissenheit ist. Sie rührt womöglich daher, dass sich Timberlake - jetzt, wo er Vater ist und ein Mann, für den es nicht mehr nur noch steil bergauf geht - selbst dazu befragt, woher er kommt. Nach dem Motto: Man kann den Justin aus dem Wald holen, aber man kriegt den Wald aus Justin nicht heraus. Wobei der Wald in diesem Fall nur Memphis, Tennessee, ist, wo Timberlake geboren wurde. "Man of The Woods" stellt sozusagen den Versuch dar, das musikalische Erbe dieser Stadt - Country - mit Hip-Hop und Dancer-Pop so zusammenzubringen, dass es wie aus einem Guss klingt.

Im Song "Sauce" (pinke und purpurne Körperteile, lockere Schrauben und ja: Sauce) reitet die Wüstenrock-Gitarre tatsächlich recht logisch auf einem blubbernden Funk-Groove. Und im Titelstück umspielen Steel-Gitarre und Country-Twang eine Akkordfolge, die - der Südstaaten-Hip-Hop lässt grüßen - auf hoch und herunter gestimmten Toms getrommelt wird. Das ist sicher nicht das, was man womöglich erwartete: eine Anbiederung an "Make America Great Again"-Mützen tragende Rednecks im Zeitalter des Trumpismus. Sondern eher ein Hinweis darauf, dass, wer wieder groß werden will, sich weiterentwickeln und neuen Einflüssen öffnen muss.

Ein richtiger Hit will dabei allerdings nicht herausspringen. In den Charts könnte noch "Say Something" am erfolgreichsten werden, das Duett, das Timberlake mit dem Country-Star Chris Stapleton aufgenommen hat. Wobei es ein Rätsel ist, warum Timberlake diesen Song nicht in das Medley aufgenommen hat, das er - zwei Tage nach Veröffentlichung von "Man of The Woods" - am Sonntagabend in Minneapolis während der Half-Time-Show des Super Bowls spielte. Timberlake tanzte und kiekste sich also durch seine alten Hits. Der einzige neue Song war - gleich zu Beginn, damit man es hinter sich hat - "Filthy", die Single mit den versauten Händen. Timberlake bahnte sich den Weg durch ein Spalier von jungen Tänzerinnen, die sich - während er an ihnen vorbeilief - an die Brust tatschten oder toll die Augen verdrehten.

Ganz schön versaut, diese Frauen.

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