Pop:Liebe und Aufruhr

Pop: In Teilzeit: Blumfeld, Mai 2018. Links André Rattay, in der Mitte Jochen Distelmeyer, rechts Eike Bohlken.

In Teilzeit: Blumfeld, Mai 2018. Links André Rattay, in der Mitte Jochen Distelmeyer, rechts Eike Bohlken.

(Foto: Sven Sindt/PR)

"Blumfeld" haben in München ihre Comeback-Tour gestartet. Die Hamburger sind inzwischen eine Art Teilzeit-Band - aber die solidarisierende Kraft ihrer Musik ist immer noch immens.

Von Martin Pfnür

Nein, seine mitunter arg koketten Schäkereien mit dem Publikum lässt sich Blumfeld-Frontmann Jochen Distelmeyer auch an diesem Abend im ausverkauften Münchner Konzert-Club "Ampere" nicht nehmen. Man könne sich ja später "nackt ausziehen und draußen im Regen tanzen", schlägt er angesichts des Sommergewitters vor. Als die Reaktionen im Publikum eher verhalten ausfallen, fügt er hinzu: "Also ihr tanzt, und ich gucke euch dann vom Backstage-Bereich aus zu". Viel besser macht es den Gag auch nicht.

Nun sollte man an dieser Stelle wohl ergänzen, dass es bei diesem Geplänkel weniger um die schrägen Hippie-Fantasien eines 50-Jährigen geht als vielmehr darum, das enorme künstlerische Gewicht dieser nach wie vor sehr wichtigen deutschen Diskursrock-Band mit etwas Leichtem, ja gänzlich Blödem zu konterkarieren. Sinnfreiheit als Auflockerungsübung für Zwischendurch.

"Love Riots Revue 2018" nennt sich die Konzertreise durch Deutschland, für die sich die Hamburger Formation wieder zusammengefunden hat. Besser gesagt: mal wieder. Ist es doch nach einer Tour anlässlich des zwanzigsten Jubiläums ihres grandiosen Durchbruchs-Albums "L'etat Et Moi" im Jahr 2014 und einer letztjährigen Live-Präsentation ihres nicht minder grandiosen Debüts "Ich-Maschine" in Düsseldorf bereits die dritte Wiederkehr einer Band, die seit 2007 offiziell aufgelöst ist, weil sie, so Distelmeyer, "auserzählt war".

Natürlich kann man diese Form der Teilzeit-Reaktivierung inkonsequent finden, angesichts von Distelmeyers semi-erfolgreicher Solo-Karriere als Musiker und nicht unbedingt gefeierter Roman-Autor auch monetäre Beweggründe dahinter vermuten. So vital und ansprechend, wie Blumfeld den paradox wirkenden Titel ihrer Revue auf der Bühne einlösen, ist es aber auch herzlich egal, was da dahintersteckt. Mit musealer Werksverwaltung hat es jedenfalls nichts zu tun.

Ja, diese Band hat immer noch eine solidarisierende Kraft

Erweitert durch den Musikproduzenten Tobias Levin als dritten Gitarristen und Daniel Florey an Gitarre und Keyboard, spielt sich die 1990 gegründete Urformation mit André Rattay an den Drums und Eike Bohlken am Bass mehr oder minder chronologisch durch ein Œuvre, dessen Zauber nicht zuletzt in seinen textlichen und musikalischen Brüchen liegt. "Sind zwei zu viel, um frei zu sein / Oder brauch ich dich, um ich zu sein", fragt Distelmeyer sprechsingend im rhythmisch stark verwandelten Debüt-Stück "Von der Unmöglichkeit ,Nein' zu sagen, ohne sich umzubringen". Um später dann mit dem Song "Weil es Liebe ist" eine Art Erklärstück folgen zu lassen, dessen gewollte, maximale sprachliche Transparenz und Direktheit kaum weiter von der assoziativ verdichteten Poesie des Frühwerks entfernt sein könnte. "Und wie geil es ist / wenn man sich dann küsst", singt er da zu einer süßen Pop-Melodie.

Love Riots, Liebe und Aufruhr, das sind denn auch die beiden Pole, die hier als Klammer eines Konzerts fungieren, welches vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen - vom Polizeiaufgabengesetz in Bayern bis zum Frustrations-Rechtsruck in Deutschland - eine immense solidarisierende Wirkkraft entfaltet. Denn ob nun in Form von klug eingeflochtenen Solo-Stücken von Distelmeyer wie "Wohin mit dem Hass", strahlend schönen Utopien wie "Wir sind frei" oder fast schon misanthropischen Geißelungen gesellschaftlicher Gleichgültigkeit wie "Die Diktatur der Angepassten" - so wie die eigentlich längst stillgelegte Band bei diesem Auftritt legt derzeit keine andere deutsche Gruppe die Finger in all die klaffenden Wunden unserer Zeit.

Am Ende ist es dann ein für Fans längst vertrautes Ritual, über das dieses für Blumfeld-Verhältnisse erstaunlich rockige Konzert zu einem erneuten Höhepunkt findet. Rhythmisch vom euphorisierten Publikum herausgeklatscht, tritt Distelmeyer allein im frischen Hemd und mit einer Zigarette in der Hand auf die Bühne, um sich vor dem finalen Song "Verstärker" sacht zu den vom Band eingespielten Beats von "Tausend Tränen tief" zu wiegen. Das ist einer der etwas schlagerartigen Pop-Songs auf dem Album "Old Nobody", mit denen Blumfeld 1999 zahlreiche ihrer Indie-Rock-Fans vergrätzten. Wer ihnen bis zu diesem Konzert gefolgt ist, hat dennoch nichts falsch gemacht. Ganz im Gegenteil.

Weitere Tour-Daten: blumfeld.de

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