Schwarzer Rave:Wie rassistisch die DJ-Welt ist

Kenny Dixon Jr. alias Moodyman mit Assistentin.

Kiezkönig mit Lehrauftrag: Kenny Dixon Jr. alias Moodyman mit Assistentin.

(Foto: Matthias Schmitt)

Die Wurzeln der DJ-Kultur liegen in schwarzen US-Communities. Doch die Listen der wichtigsten DJs dominieren Weiße. Der schwarze Raver Moodymann setzt jetzt ein Zeichen.

Von Jan Kedves

Am Wochenende werden die Oscars verliehen, und nicht ein afroamerikanischer Schauspieler ist nominiert, nicht eine afroamerikanische Schauspielerin. Herumgesprochen hat sich das, weil unter anderem Spike Lee und Jada Pinkett Smith die Gala boykottieren.

Nicht so bekannt ist, dass momentan auch in der DJ-Welt, die mittlerweile ebenfalls ziemlich großes Geschäft ist, über Rassismus und Benachteiligung von Schwarzen debattiert wird.

Zwar gibt es keine Veranstaltung, bei der DJs von einer Club- und Rave-Akademie jährlich mit Goldenen Köpfhörern oder Ähnlichem ausgezeichnet würden, aber es gibt große, viel beachtete Rankings, herausgegeben von Fachmagazinen und Online-Plattformen. Sie sind im globalen Partygeschäft eine wichtige Referenz. Das Problem: Die Zahl schwarzer Künstler in ihnen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken - gen null.

In den "Top 100" des weltweit gelesenen britischen DJ Mag etwa ist aktuell kein Afroamerikaner vertreten, der höchstplatzierte Schwarze ist der Brite Carl Cox (Platz 63).

Oder in den "Top 100" von Resident Advisor, einer Art globalem DJ-Wikipedia: Der höchstplatzierte Afroamerikaner ist hier der auch bei Alexander Kluge und französischen Sinfonie-Orchestern wohlgelittene Techno-Minimalist Jeff Mills (Platz 44), gefolgt von Robert Hood (Platz 61).

Die Anzahl schwarzer Künstler in DJ-Rankings tendiert gegen null

Schockierend, wenn man bedenkt, dass die Wurzeln der DJ-Kultur in den schwarzen Communities von Chicago, Detroit und New York liegen und zu Beginn der Techno-Euphorie in Europa, in den Neunzigerjahren, jeder Club und jeder Rave, der etwas auf sich hielt, afroamerikanische Künstler ganz oben auf seine Flyer und Poster schrieb. Was ist schiefgelaufen?

Eine eindeutige Antwort gibt es leider nicht. An musikalischem Traditionalismus kann es kaum liegen. Denn wäre es so, dass die Musik der alten DJ-Helden aus Detroit und Chicago nicht mehr ankommt, müssten auch weiße DJs in den Rankings abrutschen - was nicht der Fall ist.

Der Berliner DJ Dixon etwa, laut Resident Advisor gerade der beliebteste DJ der Welt, erfindet das Rad auch nicht neu, eher unterzieht er sein traditionelles House-Verständnis immer mal wieder kleineren Renovierungen.

Kaum von der Hand zu weisen ist allerdings, dass zuletzt durch den Siegeszug der brutal böllernden Electronic Dance Music (kurz: EDM) in den USA eine neue Riege fast ausschließlich weißer DJ-Stars hinzugekommen ist. Verdrängen sie die schwarzen Urväter?

Prediger und Kiezkönig

Juan Atkins, der 1984 in Detroit als Cybotron den stilprägenden Track "Techno City" produzierte, ging jedenfalls Ende Januar der Hut hoch: In einem öffentlichen Facebook-Post ätzte er gegen den Rassismus der "The DJ List".

Die dient in den USA Veranstaltern und Bookern als Popularitätsgradmesser und wird von einer Tech-Firma aus Orlando und San Francisco ermittelt. Aktuell findet sich in "The DJ List" der erste Afroamerikaner auf Platz 139: Curtis Jones alias Green Velvet, am bekanntesten für seinen famos verstrahlten Ecstasy-Hit "La La Land" (2001).

Ans Ende seiner Facebook-Tirade setzte Juan Atkins ein "big F. U.", ein großes Ihr-könnt-mich-mal, wofür er in der Kommentarspalte auch Applaus von Derrick May bekam. May, ebenfalls aus Detroit, lieferte vor 25 Jahren mit seinem Pseudonym Mayday dem bis heute jährlich in der Dortmunder Westfalenhalle stattfindenden Riesen-Rave den Namen. Im vergangenen Jahr legte bei Mayday kein einziger schwarzer DJ auf.

Mitten hinein in die erhitzte Diskussion um die Weißwaschung der DJ-Kultur und die Enteignung der Gründerväter platzt nun allerdings die Veröffentlichung eines grandiosen DJ-Mixes: "Moodymann DJ-Kicks" (!K7). Es ist ein Mix, den man kaum anders hören kann als als Kommentar zur Debatte.

Enzyklopädisches Wissen um schwarze Musik

Er offenbart über 75 Minuten und 30 Stücke hinweg, bis ins letzte warme Schwellen der Rhodes-Orgel, ein enzyklopädisches Wissen um schwarze Musik und ihre Evolution. Der Künstler, Moodymann, hat seit Beginn seiner Karriere im Detroit der frühen Neunzigerjahre immer wieder Schwarzsein und schwarze Geschichte thematisiert.

Wenn Sie das Lied nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Kenny Dixon Jr., wie Moodymann bürgerlich heißt, nannte zum Beispiel einen seiner selbstproduzierten Tracks "Det.riot '67", in Erinnerung an die fünftägigen Straßenkämpfe in Detroit im Jahr 1967. Manchmal verwendet er für sich auch das Pseudonym J. A. N. - was für "Just Another Nigga" steht, also: noch so ein Neger.

Als habe den Afrobeat-König Fela Kuti persönlich das Disco-Fieber gepackt

Eines seiner selbstbetriebenen Labels heißt Mahogani Music - nach der Sorte Holz, die im afroamerikanischen Slang für alles Mögliche stehen kann, dunkle Haut, eine besonders robuste Erektion oder lesbisches Liebesspiel. Moodymann also. Der Mann wird kultisch verehrt, weil er Soul-Hits wie Techno-Platten spielt, oder andersherum: weil bei seinen Auftritten überdeutlich wird, dass neuere Stile wie House und Techno schlicht Weiterentwicklungen von Soul und Funk sind.

Strumpfmasken, als wolle er Fotografen ärgern

Bei seinen Auftritten inszeniert er sich als Mischung aus Prediger und Kiezkönig. Er reist in Begleitung von Assistentinnen an, die direkt aus einem Blaxploitation-Film entstiegen zu sein scheinen und ihm den Afro kämmen. Gern trägt er seltsame Strumpfmasken, als wolle er die Fotografen ärgern. Es soll auch schon passiert sein, dass er von Veranstaltern verlangte, einen Vorhang vor die DJ-Kanzel zu hängen, der dann während seines gesamten Auftritts tatsächlich verschlossen blieb.

Ein echter Volltreffer ist nun, dass das Berliner Label !K7 diesen begnadeten Kauz, diesen Prince der DJ-Kultur, für eine Ausgabe seiner DJ-Kicks-Serie gewinnen konnte. Mit jedem Hören steigt man tiefer und begeisterter ein in Zitate und Samples: Aus dem jazzigen Track "Guttah Guttah" der Dopeheads lässt sich die Melodie von Al Greens Schmachtsoulhymne "Let's Stay Together" heraushören, der Disco-Song "Uptown Tricks" von Fort Knox Five feat.

Mustafa Akbar ist ein elegant-entspanntes Pendant zum Mark-Ronson-Hit "Uptown Funk" aus dem vergangenem Jahr, mit Nile-Rodgers-Stakkato-Gitarre wie früher bei Chic. Noch grandioser: "Disco Maniac" von Tirogo, eine wiederentdeckte nigerianische Produktion von 1978. Sie klingt, als hätte den Afrobeat-König Fela Kuti persönlich das Disco-Fieber gepackt.

Mit jeder Sekunde wird man tiefer in Moodymanns Dickicht aus Zitaten hineingezogen

Aber dann: "Our Darkness" von der britischen Dark-Wave-Queen Anne Clark. Das zu Klaviergehämmer stoisch deklamierte Poem über "urbane Albträume" und Ertrinken in "schwarzem Regen" brachte man bislang eigentlich eher mit bleichen Achtziger-Gruftis in Verbindung, vor allem mit deren seltsamem Tanzstil, der immer ein bisschen aussieht, als würde jemand auf der Tanzfläche ein Fünfmarkstück suchen. Alles andere als funky.

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"Our Darkness" klingt auf diesem Album zunächst eindeutig falsch - und dann doch sehr, sehr richtig. Denn liegen britischer Weltschmerz und das Lebensgefühl in Detroit, der dystopisch verlassenen "Motor City", nicht vielleicht doch näher beieinander, als man gemeinhin denkt?

Moodymann ist ein Meister im Einbauen solcher Brüche und Irritationen. Sie gehören zu einem DJ-Verständnis, nach dem DJs nicht nur die Chef-Bespaßer des Publikums sind, sondern immer auch ihre Erzieher. Ein Verständnis, das nicht zuletzt in Detroit geprägt wurde, das aber immer mehr verloren zu gehen scheint. Zumindest bei EDM-DJs, die einen brachialen Knaller nach dem anderen raushauen.

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