Pop:Jubelt und hüpft!

Depeche Mode in concert, Leipzig, Germany - 27 May 2017

Andy Fletcher beim Konzert in Leipzig.

(Foto: Filip Singer/EPA/REX/Shutterstock)

"Depeche Mode" auf der Festwiese in Leipzig: Die Fans sind verzückt, weil die Band auf der neuen Tour ihrer alten Stimmung treu geblieben ist.

Von Juliane Liebert

Drei Minuten zu früh beginnt das erste deutsche Konzert der Global-Spirit-Tour von Depeche Mode, bemerkenswert genug. Die Alkoholausdünstungen tausender vorfreudiger Körper wabern, zu einem Geist verwoben, über der Festwiese Leipzig, und die Band startet nicht um 20.45, sie startet um 20.42 Uhr. Es ist wenige Tage nach dem Anschlag auf Ariana Grandes Konzert in Manchester, und das Areal um die Arena ist weitläufig abgesperrt. Polizisten spazieren außerhalb der Festwiese zwischen Depeche-Mode-Fans. Die brummen vor Ungeduld. "Die Handys runter, ihr Idioten!", brüllt einer, denn in just diesem Moment betritt Dave Gahan in einem roten Samtblazer die Bühne, mit dem Hüftschwung eines Topmodels. Der erste Song ist "Going Backwards". Hätten die Sicherheitsleute nicht anderes zu tun, wären sogar sie erstaunt, wie so eine Stimme aus diesem schmalen Körperchen kommen kann.

70 000 Gäste sind da, und Depeche Mode zeigen, dass sie nach wie vor die Band sind, die ausgewachsene, zentnerschwere Männer vor Freude hüpfen lassen kann wie Spatzen, wenn man ihnen einen Kräcker hinhängt. Hier dürfen heterosexuelle Stiernackentypen über Gahans merkwürdige Erotik jubeln. Mindestens so beachtlich wie seine Stimme ist seine Beinarbeit an diesem Abend. An geeigneter Stelle geht er leicht in die Kniebeuge - wie beim Bowling - dreht sich mit dem Rücken zum Publikum, schwingt seinen Hintern, den Blick leicht verhangen, mit unverhohlener Freude. Dann geht er in Jesus-Pose, bis in die Fingerspitzen gespannt. Homoerotik und Pathos waren bei Depeche Mode schon immer eine Pose.

Für eine Band, die ein gesamtes Genre durch ihre Musik geprägt hat, klingen Depeche Mode auch heute noch erstaunlich aktuell, weil sie nicht den Fehler machen, in die Fußstapfen ihrer eigenen Nachfolger zu treten. Sie bewegen sich innerhalb des Rahmens, den ihr seit jeher ganz eigener Sound absteckt. Depeche Mode sind keine "Synthpop-Band", sondern eine der Bands, die ein Genre für sich sind. Das übersetzt sich auch in die Atmosphäre der Auftritte, die neben anderen Stadionshows für sich stehen. Es gibt nur wenige andere Bands, deren anhaltende Beliebtheit ähnlich funktioniert.

Wie üblich verlässt Dave Gahan beim Singen die Bühne

Martin L. Gores schwarz lackierte Nägel gleiten über Saiten und Tasten. Jede Bewegung führt er so sorgsam aus, als zerschlüge er ein Ei. Und wenn Gahan singt, diesmal "A Question of Lust", verlässt er wie üblich die Bühne. Gores Kompositionen sind astreine Charthits, egal, ob man die Musik gut oder schlecht findet. Auffällig ist, dass Depeche Mode zwar bestimmte Soundelemente des Zeitgeists aufgenommen haben, aber der Stimmung ihrer Musik sehr treu geblieben sind. Das unterscheidet sie vom Geschäftsmodell Madonna, die einfach immer schamlos alles eklektizistisch miteinander verkleistert hat, was zum jeweiligen Entstehungszeitpunkt ihrer Alben angesagt war. Die Fans danken es, indem sie auch den Handy-Werbungssong "Where's the Revolution" mitzusingen versuchen.

Aber vor allem überträgt sich an diesem Abend die Freude auf die Massen, die in Gahans Augen glüht, wenn 70 000 Menschen "Everything counts in large amounts" mitsingen. Hinter den Bäumen wird ein Feuerwerk abgebrannt, nach dem sich die Zuschauer nur aus Pflichtgefühl kurz umdrehen. Wer will sich schon so ein ödes Feuerwerk antun, wenn er Dave Gahan dabei zusehen kann, wie er sich in den Schritt fasst?

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