Pop:Im Todesnebel

Vor Jahren gelang Natasha Khan alias "Bat For Lashes" ein feiner, kleiner Indiepop-Hit. Nun folgt ihr bislang bestes Album "The Bride".

Von Annett Scheffel

Die Braut steht am Altar. "In God's House. I do wait. For my love", singt Natasha Khan, die Stimme dramatisch in die Höhe geschraubt. Doch irgendetwas stimmt nicht in diesem Postkarten-Szenario vom schönsten Tag des Lebens, an dem jemand in der Kirche auf seine große Liebe wartet: "Through this veil, they can't see the fog of death envelop me" - unter dem Schleier könne die Hochzeitsgesellschaft den Todesnebel nicht sehen, der die Braut umfange. Der Geliebte wird nicht kommen, er ist auf dem Weg zur Kirche bei einem Unfall um's Leben gekommen. In ihrer Verzweiflung rast die zurückgelassene Braut mit dem für die Flitterwochen bereitstehenden Auto davon - und findet sich bald auf einen surrealer Road-Trip: zwischen Trauer, Wut und Selbstfindung wieder. Und die Blechdosen scheppern leise im Rücklicht.

Das klingt zunächst nach einem Film, einem melodramatischen und nicht allzu originellen. Tatsächlich ist die schlichte Ausgangsgeschichte aber der Stoff, um den herum Natasha Khan ein ganzes Konzeptpop-Album geschrieben hat: "The Bride" (Parlophone/Warner). Es ist ihr viertes Album. Und was sich nach einer etwas langweiligen, weil tausendfach durchgespielten Geschichte anhört, das muss man sich mit dieser Platte als einen düster-verwunschenen Liederzyklus vorstellen. Als hätte David Lynch daran mitgearbeitet.

Pop: Meisterin der verwinkelten Selbstbeschwörung: Natasha Khan.

Meisterin der verwinkelten Selbstbeschwörung: Natasha Khan.

(Foto: Warner)

Überhaupt ist vieles auf dieser Platte sehr filmisch und von cineastischer Bildgewalt. "The Bride" ist eine Art Soundtrack, erzählerisch dicht und feinsinnig verknüpft zu einer Geschichte, zu der wir keinen Film brauchen, um sie vor uns zu sehen. Obwohl es natürlich auch einen gibt: "I Do", ein Kurzfilm, entstanden unter Khans Regie, feierte im Frühling auf dem New Yorker Tribeca Filmfestival Premiere. Dazu gab sie einige Konzerte in Kirchen, bei denen das Publikum in Hochzeitsgarderobe erscheinen sollte.

Aber auch ohne all das Narrative ist "The Bride" Natasha Khans bisher geschlossenstes, musikalisch ambitioniertestes Album. Seit mittlerweile zehn Jahren treibt die 36-jährige Britin unter dem Namen Bat For Lashes ihren Indie-Pop in abgelegene und mondlichtbeschienene Winkel. 2009 gelang ihr mit dem Disco-Schmachter "Daniel" einen Indie-Hit. Die Lieder auf "The Bride" sind immer noch eine Mischung aus Folksongs, verträumten Pop und kosmischen Märchen, nur - und im besten Sinne - noch viel entrückter, minimalistischer und entschleunigter.

Es beginnt mit verträumt gezupften Harfentönen im Eröffnungsstück "I Do". Aber langsam und bedrohlich schleicht sich ein Bass-Brummen in die Musik wie eine böse Vorahnung. Und "In God's House", jenes flimmernde und funkelnde Art-Pop-Stück, in dem die Braut am Altar die Nachricht vom Tod des Bräutigams erreicht, ist dann schon umgeben von düsteren Synthesizern. Was folgt gleicht einer Art fiebertraumhaften Trauerverarbeitung: "Honeymooning Alone" ist eine geheimnisvoll verschleppte, staubige Noir-Ballade. "Sunday Love" wird von einem manischen Krautrock-Beat angetrieben, der mit Khans Sehnsuchtsgesang zum tanzbarsten Stück des Albums verschmilzt. Gleich drauf hängen tiefe, lang gezogene Drone-Gitarren über "Never Forgive The Angels" wie Gewitterwolken und Khans Protagonistin berichtet in "Close Encounter", einer wahnwitzigen, orchesterbegleiteten Ballade, über Sex mit einem Geist: "Man sagt, mein Liebhaber sei ein blasses, grünes Licht."

Und irgendwo dazwischen gerät der Roadtrip der Braut zur verwinkelten Selbstbeschwörung - samt schamanischem Reinigungsritual und der Ankunft bei sich selbst. Natasha Khan hat sich fürs Geschichtenerzählen entschieden statt fürs Popstarsein. "The Bride" ist dem entsprechend keine Sammlung von einzelnen Songs, sondern funktioniert nur als Ganzes. Und vielleicht ist genau das das größte Kompliment, das man dieser Musik machen kann: Die Geschichte selbst ist nicht gut - dafür haben wir sie schon viel zu oft gehört-, aber sie ist wirklich gut erzählt.

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