Pop:Ich bin reich, du Opfer

Rapper Gzuz

"Eine Mio auf dem Konto - ich will zehn / Gib mir, gib mir, gib mir mehr von dem": Gzuz, ein Jünger des Raubtierkapitalismus.

(Foto: Philipp von Ditfurth/dpa)

Dicke Knarren, dicke Karren: Ist Gzuz der gefährlichste Rapper Deutschlands? Möglicherweise. Eine ganze andere Frage ist allerdings, ob ihn das glücklich macht.

Von Jakob Biazza

Mal eine andere Frage in dieser Gewalt-, Waffen, Geld-, Frauenverachtungs- und Drogendebatte: Muss man sich Gzuz eigentlich als glücklichen Menschen vorstellen? Oder wenigstens als einen, der Erfüllung findet in dem, was er tut? Glückliche Menschen rammen anderen nach landläufiger Vorstellung ja eigentlich eher keine Klingen in den Hals. Sie "zerfetzen" Frauen nicht. Sie zertrümmern keine Aschenbecher auf Schädeln. Sie fuchteln nicht mit Glocks, Uzis, Pumpguns oder sonstigen Waffen herum. Und wahrscheinlich sind sie auch nicht auf Koks, Codein, Gras, Oxycodon, Ecstasy, Wodka, Jack.

Gzuz schon. Sagt er. Genauer, singt er. In quasi jedem Takt seines eben erschienenen zweiten Soloalbums "Wolke 7".

Und viele glauben dem Hamburger Rapper ja überdurchschnittlich viel von dem, was er so sagt. Und zeigt. In seinen Songs und Posts und Videos. Und die finden gerade ein Riesenpublikum: 1,2 Millionen Menschen sehen auf Instagram seine Bilder mit Sturmhauben, Drogen, dicken Knarren und noch dickeren Karren.

Gzuz, ausgesprochen wie eine auf Hustensaftüberdosis vernuschelte Version des englischen "Jesus", ist unter den medienwirksam herumschmutzenden deutschen Gangster-Rappern der aktuell - ja, was eigentlich? Der authentischste? Da ist man ihm schon auf den Leim gegangen. Am Ende also vielleicht: der gefährlichste?

Warum eigentlich nicht. Gzuz strahlt ja tatsächlich eine kalte, nackte Gewalt aus. Zur erweiterten Legendenbildung des Hamburgers gehören: eine mehrjährige Haftstrafe wegen räuberischen Diebstahls - vom Rest der 187er Straßenbande, seiner Crew, PR-mäßig als "Free Gzuz"-Tour ausgeschlachtet. Anzeigen wegen Körperverletzung. Angeblich Drogenhandel. Angeblich illegaler Waffenbesitz. Und: achtfaches Hausverbot im Hamburger Club Übel & Gefährlich.

Sein Video zur Vorabsingle "Was hast du gedacht" (etwa 20 Millionen Views) ist voller Pistolen, Gewehre großkalibriger Munition, Horrorclowns, Gangstergehabe, Sexismus, Plastikkübel mit Marihuana, Sprite-Flaschen mit Codein, dass einem ganz beklommen wird.

Deshalb die Diskussion, ob Gzuz die nächste Stufe der Verrohung im Deutschrap ist (eher ja), und ob er die Jugend gefährdet (sicher nicht zwangsläufig, aber ganz spurlos können solche Bilder auch nicht verklingen). Das ist die eine Seite seines Erfolgs: Man kann sich fürchten vor der dumpfen Wut, die dem Rapper aus dem volltätowierten Körper zu kriechen scheint. Andererseits ist es schlicht große Kunst, die dieser Kristoffer Jonas Klauß, wie er bürgerlich heißt, macht. Kunst vor allem in dem Sinn, dass sie eine peinigende Wirklichkeit im Extrem widerspiegelt.

Die Texte brüllen gegen eine seelenbedrückend enge und klaustrophobe Welt an. Überall Mauern, überall Autoritäten, überall Strafen und Konkurrenten, die den Weg zur Freiheit verstellen und einem die Luft rauben. In dieser Welt wirkt Gzuz wie ein Rolemodel für Underdogs. Einer, der sich dagegen wert, dass er in dieser Gesellschaft nichts gilt. Dass ihm sein Erfolg so lange verwehrt wurde.

Der Erfolg wäre nun da. Nur geht er auf "Wolke 7" wieder einher mit einer weithin widerwärtigen Mischung aus Verachtung gegen Frauen ("Man sagt, ich bin frauenverachtend/Aber Frauen sind Schlampen"), Arme ("Bring' deine Alte zum Sternekoch/Tau du schon mal deine Pizza auf") und jede Form von Eliten und Autoritäten von Lehrern bis - natürlich - Polizisten. Für alles also, was ihm schwächer oder weniger erfolgreich erscheint.

Was nun wieder zur Eingangsfrage führt (glücklicher Mensch: ja/nein). Und der vielleicht gar nicht so gewagten These: Nein, nicht glücklich. Gzuz erscheint auf seinem Album - im kapitalistischen Sinne - eher wie ein Mangelwesen. Einer, der ein Zuwenig an quasi allem an sich festgestellt hat: an Geld, Erfolg, Frauen, Zuspruch, Unterstützung, Lob oder Liebe ("Hab' es mit Liebe probiert, aber da war ich noch klein / Denn niemand erwiderte sie, deshalb ließ ich es sein - egal ich bin reich!"). Und das jetzt mit einem manischen Zuviel an quasi allem kompensiert. Ohne Glück zu finden.

Im Gegenteil: Der Erfolg verwandelt seinen Apologeten in ein dauerhungriges Wesen: "Eine Mio auf dem Konto - ich will zehn / Gib mir, gib mir, gib mir, gib mir mehr von dem!" Ein Raubtierkapitalismus-Prototyp. Ein Kreislauf aus Gier, Maßlosigkeit und anschließendem Kater übersetzt in Musik. Die Beat-Schleier hängen entsprechend tief und dicht auf dem Album. Die Synthies plätschern wie dicke Regentropfen. Und in diesem Grau schwimmt Gzuz wie ein Fossil (Hausnummer: Megalodon) und keift und spuckt Machtfantasien hervor. Und wirkt dabei zwar sehr groß, vor allem aber: sehr verloren.

Dies nun bietet den vielleicht sinnvollsten Zugang zu diesem Künstler: Gzuz' Narrativ vom Aufstieg und vom Bruch mit Konventionen und Regeln ist eines des Scheiterns. Er sucht ein Glück, das er nicht findet. Und er unterwirft sich am Ende als Idealtypus genau jenen Regeln, die ihn eingeengt haben. Nein, Gzuz ist kein Rebell - er ist ein strammer, streng marktkonformer Kapitalismusjünger, der jetzt eben von oben herunterspuckt.

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