Debbie Harry wird 70:Ewig neugierig

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Sie leistete sich ein unverhohlenes Bekenntnis zum Pop ohne die Anbiederung an den möglichen Erfolg.

(Foto: imago)

Debbie Harry, die unfassbare Frontfrau der Band Blondie, wird 70 Jahre alt. Auf Konzerten ist sie immer noch genialisch cool und rätselhaft.

Von Andrian Kreye

Für die unverbildete bayerische Teenagerseele war Debbie Harry eine Offenbarung, als sie unvermutet an der Wand des Schallplattenhandels Montanus in der Münchner Leopoldstraße auftauchte. Sie blickte da mit einer Kälte vom Cover des Debütalbums ihrer Band Blondie, die schon sehr auffallend war. Rings um sie herum hingen neue Platten von Genesis, den Eagles und Jean Michel Jarre, lauter Spätausläufer der Hippiezeit eben, die damals noch den Ton vorgaben.

Hinter ihr stand eine Phalanx ernster junger Männer in schwarzen Anzügen. Als Teenager konnte man ja nicht wissen, dass das eine ironische Brechung der Fünfzigerjahre war, gleichzeitig aber auch eine neue Form des Cool, die sich nicht in die Abstraktionen der Beatniks zurückzog, sondern in die Ironie mit ihren Labyrinthen der Anspielungen und Referenzen, die erst sehr viel später zum Massenphänomen werden sollte. Das war fällig. Nach den Jahren der selbstgefälligen Gefühligkeit und wohlfeilen Anfasserei stand Debbie Harry als unnahbare Schönheit mit Schmolllippen und verhangenen Augen für eine ganze andere Zeit, auch wenn damals noch nicht klar war, ob das jetzt die Rückkehr der Vergangenheit oder die Ankunft der Zukunft des Pop sein würde.

Spooked Harry

Rückkehr der Vergangenheit oder Ankunft der Zukunft im Pop? Wofür Debbie Harry stand, war damals noch nicht klar.

(Foto: Getty Images)

Auf der Platte dann aber elf Songs, keiner länger als zwei, drei Minuten, überdrehte Rock and Roll-Motive, Händeklatschen, Elektro-Orgel, Texte über Sittenstrolche, Kung Fu-Mädchen, Monsterameisen. Ein so unverhohlenes Bekenntnis zum Pop ohne die Anbiederung an den möglichen Erfolg war in der Musik noch ein Affront. Selbst im Kielwasser von Andy Warhols Pop Art-Credo hatte die Rockmusik die Verstörung und die Aggression als Beweis der Authentizität beibehalten.

Das war ja auch eigentlich der große Schub, der sich da um sie herum zusammenballte, die Anfänge des Punk mit Richard Hell, den Ramones, mit Television, die allesamt in den gleichen Clubs spielten wie Blondie, im CBGB's oder im Max's Kansas City.

Der Erfolg kam dann sowieso. Auf die ersten Singles ("X Offender", "In The Flesh") folgten die ersten Hits ("Denis", "Heart of Glass") und schließlich der Durchbruch in die erste Liga ("Call Me", "Rapture"). Später dann die Soloplatten, die Modeljobs, die Nebenrollen im Film. Was sie aber ein Leben lang blieb, war die Personifizierung des Hipsters in der eigentlichen Bedeutung. Sie konnte aber nicht nur mit Zeichen und Codes spielen, sie war eine dieser Pfadfindergestalten, die dem Lauf der Zeit in den Subkulturen schon immer den Weg gebahnt haben.

Wenn die Jugendkultur eine Schallgrenze erreicht

Während sich der Rest der Welt noch am Punk abarbeitete, zog sie schon mit dem Maler und Rapper Fab 5 Freddy durch die unwirtlichen Außenbezirke von New York. Sie entdeckte den Hip-Hop und die DJ-Kultur, Graffiti und Breakdance lange bevor sie ihren Weg nach Downtown Manhattan fanden. Als sie 1980 im Song "Rapture" davon erzählte, wie Fab 5 Freddie sie durch die Nächte in der Bronx und in Harlem fuhr, war die "Rapper's Delight-Single der Sugar Hill Gang noch ein exotisches Stück urbaner Folklore.

Rasanter Pop mit 66 - das Comeback von Debbie Harry und Blondie

Mit 66 dann das Blondie-Comeback: Debbie Harry mit Chris Stein (l.) und Clem Burke.

(Foto: dpa)

Sie war recht freigiebig mit ihrem Herrschaftswissen über die Schatzkammern der New Yorker Nächte. Mit etwas Glück endete so ein Interview beim Abendessen in einem Lokal viele Stunden später im Morgengrauen hinter irgendeiner DJ-Kanzel, wo sie durch die Plattenkisten blätterte, immer auf der Suche nach irgend etwas, das sie noch nicht kannte. Und weil diese Stadt Ruhm verzeiht wie keine andere, war sie dann kein Popstar, sondern die gleiche ewig Neugierige, die es schon früh in die Nischen und Winkel getrieben hatte.

Man hört ihr das immer noch an. Im vergangenen Jahr veröffentlichte sie mit Blondie ein Album mit dem Titel "The Ghosts of Download", auf dem sie selbst im antiseptischen New York der Hedge Fonds- und Immobilienmaklerjahre noch solche Nischen und Winkel fand. Da spielt sie mit Bachata, der Musik der dominikanischen Nachtwächter und Taxifahrer, mit karibischem Dancehall und mit der Sorte europäischer Elektromusik, die in Amerika erst seit ein paar Minuten den schwulen Underground verlassen hat.

Jetzt wird sie an diesem ersten Juli also siebzig Jahre alt; damit hat eine Jugendkultur eine Schallgrenze erreicht, die gerade noch so präsent schien. Es ist mit diesen Aufbruchsjahren der Ironie und des Punk nun schon die dritte Ära des Pop, die in jene Phase tritt, die sie in Amerika freundlich die "Silver Surfer"-Jahre nennen. Das rührt dann auch an der eigenen Selbstgewissheit, weil damit die eigene Jugend verschwindet.

A Concert For Killing Cancer

Mit Debbie Harrys 70. hat eine Jugendkultur eine Schallgrenze erreicht; die eigene Jugend verschwindet.

(Foto: Getty Images)

Ein Trost bleibt - Debbie Harry selbst. Am vergangenen Montag trat sie mit Blondie beim Summerstage Festival im Central Park auf. Sie muss grandios gewesen sein, reifer, aber immer noch genialisch cool und rätselhaft. Und ja, sie sah auch fantastisch aus.

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