"Nasir" von Nas:Ziellos, aber womöglich genial

Nas - Konzert am 04.07.2017 in Hamburg, Grosse Freiheit 36

Nach dem Foie gras zu viele Glückskekse? - Nasir bin Olu Dara Jones alias Nas bei einem Konzert im Juli 2017 in Hamburg.

(Foto: picture alliance/Jazzarchiv)

Die Rap-Legende Nas probiert mit Hilfe des Hip-Hop-Superstars Kanye West den Neuanfang. Die gute Nachricht: Musikalisch ist es das beste Nas-Album seit zweieinhalb Ewigkeiten.

Von Jonas Lages

Einer der hartnäckigsten Running Gags der Hip-Hop-Geschichte besagt, dass Nasir Jones, lebende Legende und in den Listen der besten Rapper aller Zeiten immer weit, weit vorn, keinen Musikgeschmack habe. Sein Debütalbum "Illmatic" - so etwas wie der "Ulysses" des Straßenraps - wurde 1994 noch von New Yorks begnadetsten Hip-Hop-Tüftlern zusammengepuzzelt, danach war die Auswahl der Beat-Ingenieure, nun ja: durchwachsen. Es ging sogar soweit, dass Kanye West vor zwei Jahren erzählte, dass er Barack Obama versprochen habe, das nächste Album von Nas zu produzieren. Nun ist es da. Es handelt von ergrauten Haaren, der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und scharfen Rigatoni.

Alterswerke sind im Hip-Hop, diesem sich kontinuierlich verändernden Genre, ja so eine Sache. Manch einer, wie etwa Mos Def, hängt, statt in Bedeutungslosigkeit zu versinken, das Mikro lieber gleich an den Nagel. Nas' einstiger Erzrivale Jay-Z interpretiert dagegen mit seiner Frau, dem Pop-Superstar Béyonce, seine Musik sehr erfolgreich als Fortsetzung der Paartherapie mit anderen Mitteln. Und Nas? Es ist kompliziert.

Musikalisch ist es sein bestes Album seit zweieinhalb Ewigkeiten

Einst war er das soziale Gewissen des Hip-Hop, ein stiller Beobachter, der verdichtete Raportagen aus den Sozialbausiedlungen in Queensbridge lieferte und sich als detailverliebter Meister der Perspektivierung bewies. Wenn er sich nicht in den Mutterleib imaginierte und von seiner Angst als Fötus vor der Abtreibung berichtete (wie in "Fetus"), rappte er den inneren Monolog einer Waffe, die des Tötens müde wird und seinem Besitzer die Dienste verweigert ("I Gave You Power").

Zuletzt war er allerdings vor allem mit der Pflege seines eigenen Denkmals beschäftigt. Es gab eine Doku über die Entstehung seines Debüts, eine Aufführung desselben in monumentaler Verkitschung mit dem National Symphony Orchestra und ein Stipendium, das die Harvard University im Namen des Rappers einrichtete.

"Nasir" (Mass Appeal/NAS) ist nun sein erstes Album seit sechs Jahren. Es wirkt, als hätte er mehr Kanye Wests Jugendtraum erfüllt als seinem eigenen Schaffensdrang nachgegeben. Zunächst aber die gute Nachricht: Musikalisch ist es das beste Nas-Album seit zweieinhalb Ewigkeiten. West twitterte, dass er sich beim Beatbasteln fühle, als sei er wieder 18 - und das hört man: Ein Tamburin berieselt die Samples wie ein Rasensprenger und die Snare knallt schon mal mit so viel Hall, als wohne sie in einer Bauruine. Unterdessen stolpern nervös stotternde Trompeten und verträumt gurgelnde Orgeln über die Bassdrum. Dann wieder lässt West die Schnipsel eines Bollywood-Soundtracks so sommerbrisenhaft dahin streichen, als wollte Cary Grant dazu auf ein Picknick nach Monaco fahren.

Zu den stärksten Songs zählt "Cops Shot The Kid". Dafür hat Kanye West die titelgebende Zeile aus Slick Ricks 30 Jahre altem Protestrap "Children's Story" über einen Jungen, der von der Polizei erschossen wird, geloopt und mit einem grollenden Bass unterfüttert. Im Refrain wird das Sample vervielfacht und so tief in den Bass-Keller heruntergeführt, dass es klingt, als erhebe sich ein Totenchor aus der Unterwelt. Der Teufelskreis des institutionellen Rassismus steckt hier schon in der Struktur des Songs.

Womöglich ist "Nasir" aber auch einfach ein radikal ehrliches Alterswerk

Aber jetzt die schlechte Nachricht: Nas langweilt sich. Zwar gibt er in den besten Momenten noch immer den gesellschaftskritischen Grübler, als der er berühmt wurde. Er prangert Polizeigewalt an und in "Everything" verfolgen ihn die Geister der Geschichte, wenn er darüber nachdenkt, das Land zu kaufen, auf dem seine Vorfahren als Sklaven lebten.

Die meiste Zeit allerdings wirkt er müde, enerviert und rappt, als hieße der amerikanische Präsident noch George W. Bush. Lustlos mäandert er zwischen dem Ennui des Luxuslebens und leeren Sentenzen, die klingen, als hätte er nach dem Foie gras, von dem er schwärmt, zu viele Glückskekse gegessen.

Vielleicht stehen die Dinge aber auch ganz anders. Vielleicht ist "Nasir" in seiner Ziellosigkeit nur eine großartige Vertonung der Mid-Life-Crisis eines planlosen Genies, an dem der Zeitgeist vorbeigezogen ist. Es wäre dann ein geradezu radikal ehrliches Alterswerk.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: