Pop:Großwildpfleger

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Und dann geht's natürlich doch noch um's Ganze: Narzissmus und Lust, die Makel, die Macht und die Ökonomie der Liebe. (Foto: Tom Andrews/Domino)

Die britische Indiepop-Band "Wild Beasts" gibt auf ihrem famosen neuen Album "Boy King" den aufgeklärten Slacker breitbeinig.

Von Annett Scheffel

Es gibt eine einfache, fast primitive Erklärung für das, was die Mitglieder der britischen Indiepop-Band Wild Beasts auf ihrem neuen, fünften Album "Boy King" (Domino) machen - und es gibt eine etwas kompliziertere. Die einfache lieferte Tom Fleming, Bassist und einer der beiden Sänger der Wild Beasts, jüngst in einem Interview, als er sagte, wenn man die Stücke der letzten, 2014 erschienenen Platte "Present Tense" als Liebeslieder verstehe, dann müsse man diesmal wohl von "Fuck-Songs" sprechen. Es geht auf "Boy King" also - uralte Pop-Disziplin - um Sex und Schweiß und den unbändigen männlichen Trieb. Aber eben doch nicht nur.

Erstmal werden hier die ganz primitiven Triebe hereingerollt

Denn da wäre ja auch noch die zweite, etwas kompliziertere Erklärung. "You can look / But don't touch", haucht Hayden Thorpe im ersten Song "Big Cat". "Boy King" öffnet so unverhohlenen mit der Art Erotik, wie sie Strip-Clubs exerzieren - schwitzig, neonbeschienen und von latenter Aggressivität. Da ist nichts Nachdenkliches mehr, nichts Ruhiges, nichts Unentschiedenes, nichts von dem, was noch das letzte Album auszeichnete. Die Wild Beasts setzen diesmal ganz neu an. Mit anderen Worten: Es gibt nicht nur unumwunden ganz viel Sex, sondern auch ganz viel männlichen Machismo. Und zwar die Art von ruppiger, beinahe bebender Sexualität, die im zeitgenössischen Indiepop, also unter aufgeklärten Slackern, eher selten offensiv präsentiert wird.

Der Bass pulsiert fiebrig, die Synthesizer spielen funky und breitbeinig auf, und bald drücken sich auch schwer verzerrte Gitarren um die Ecke. Man hört Anspielungen auf schillernde Glamrock-Zeiten, und Thorpes Stimme besingt im Falsett das Tier im Manne, die große Raubkatze: "Big cat, top of the food chain". Es ist allerdings dennoch oder vielmehr womöglich gerade deshalb die bisher zugänglichste Platte der Band, und ihre eigenartig künstliche Kauzigkeit hat die Band natürlich trotzdem nicht ganz verloren.

Und so einfach, wie es zunächst scheint, macht es sich die Band dann doch nicht mit der Männlichkeit im Jahr 2016. Die Geschlechterstereotypen werden bald nach Herzenslust demontiert. Die Wild Beasts gehen so demonstrativ vor, dass alles zum ironischen Kommentar gerät. Und in Liedern mit schönen Titeln wie "Tough Guy", "Get My Bang" oder "He The Colossus" geht es bald ums Ganze: die Identitätskrise der Männerwelt, ihre Bedürfnisse und Makel, Macht und ökonomische Strukturen der Liebe, Narzissmus und Lust, das Besitzen- und das eigentlich nur Geliebt-werden-Wollen. Ein wenig funktioniert die Platte also wie ein Trojanisches Pferd: Erst werden unübersehbar die primitiven Triebe hereingerollt, bevor doch alles anders und der Erkenntnistrieb viel größer ist. Ein Balanceakt, der der Band mit eindrucksvoller Leichtigkeit gelingt. Dass die Sache mit der Männlichkeit eine widersprüchliche ist, kommt auch sehr schön im eigenartigen Stimmenpaar der beiden Sänger - ein brummender Bariton und ein zärtliches Falsett - zum Ausdruck.

"Won't be your house cat, are you okay with that", fragt Thorpe einmal und meint damit vielleicht doch nicht sich selbst, sondern dominante Egomanen wie Donald Trump. In "Tough Guy" ist alles "fucked-up", der Mann liegt am Boden und redet sich selbst gut zu, alles klaglos und wie ein harter Kern zu ertragen - "so I better suck it up like a tough guy would". "Alpha Female" ist dagegen ein futuristisch groovender feministischer Dance-Song, eine bedingungslose Unterwerfung unter die Frau. In "He The Colossus" hadert der Mann mit der eigenen Zerstörungsmacht - "Don't mean you no harm / Everything just dies in these hands" - und in "Ponytail" wird schließlich um Liebe gebettelt.

Mit anderen Worten: In einer Welt, in der Präsidentschaftskandidatinnen und Regierungschefinnen, in einer Welt, in der weibliche Popstars von Beyoncé bis PJ Harvey, von M. I. A. bis Anohni mehr zur Lage zu sagen haben scheinen als die meisten Männer - in dieser Welt fühlt sich dieses Album ganz und gar zeitgemäß an. Im Grunde ist "Boy King" also gar nicht die Sex-, sondern die Politik-Platte der Band geworden.

© SZ vom 31.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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