Pop für Fremdeinsteiger:Machen wir in Singsang!

Der Schriftssteller Maxim Biller und die Hollywood-Schauspielerin Minnie Driver flüchten in den Pop - dort sind sie nicht allein. Im Gegenteil: Ein Chor von Stars und Starletts hat längst den Hymnus angestimmt: "Wir mussten überredet werden. Aber Musiker waren wir im Grunde schon immer."

DIRK PEITZ

Murmeltiertag, sagt Maxim Biller. Er sitzt in einer Bar, in der er vor ein paar Tagen schon einmal gesessen hat, Kastanienallee, Prenzlauer Berg.

Pop für Fremdeinsteiger: Das ist die fabelhafte Minnie Driver. Sie sagt. "Ich bin ja nur eine kleine Schauspielerin, die ein kleines Country-Album herausgebracht hat." Sicherstes Krisensymptom, sowas.

Das ist die fabelhafte Minnie Driver. Sie sagt. "Ich bin ja nur eine kleine Schauspielerin, die ein kleines Country-Album herausgebracht hat." Sicherstes Krisensymptom, sowas.

(Foto: Foto:)

Er gibt ein Interview, wie er es hier vor ein paar Tagen schon einmal getan hat.

Auf dem Tisch vor ihm liegen die ersten Kritiken.

In einer steht etwas über ein Interview mit ihm in dieser Bar, in der er nun wieder sitzt. Die Kritiken selbst klingen auch eher nach: Murmeltiertag.

Nur dass die Zeitschleife, in der Biller, der Schriftsteller und Journalist, als veröffentliche Meinung feststeckt wie Bill Murray in "Und täglich grüßt das Murmeltier", zwanzig Jahre umfasst.

Wie ein Loop wird es ihm immer wieder vorgespielt, trotz der wirklich wahnsinnig kurzen Melodie: Biller, der Polemiker.

Der jetzt also auch noch eine Platte veröffentlicht. Mit Musik drauf.

Selbst geschrieben, selbst gesungen, selbst eingespielt auf einer manchmal nicht besonders korrekt gestimmten Gitarre oder dem Klavier.

Aufgenommen wurde alles mit einem billigen Kassettengerät. Die 18 Stücke entstanden zwischen 1981 und gerade eben, die meisten erst in den letzten Monaten, seitdem klar war, dass es das Album "Tapes" geben würde.

Biller ist trotzdem nicht in ein Studio gegangen. Die Musik habe authentisch klingen sollen, sagt er, "und nicht wie eine Carla-Bruni-Nummer". Also nicht wie: Ehemaliges Supermodel macht in Chansons und klingt dabei besser, als sie ohnehin ausschaut.

"Ich glaube bis heute nicht, dass die selbst singt", sagt Maxim Biller. Ihm hingegen glaubt man das sofort.

Machen wir in Singsang!

Eines seiner Stücke heißt "Deine Muschi mag ich sehr", in dem Text kommt die Zeile "Mohammed Atta war ein Schweizer und kämpfte für Neutralität" vor und einige andere wild herbei assoziierte Seltsamkeiten.

Der Refrain von "Hey Mr George Tabori" lautet: "Du bist ein alter Jude, du machst mich ganz schon mude".

Also wieder: Biller, der Polemiker.

Biller, der wandelnde Skandal.

Er macht es einem wirklich nicht leicht.

Oder zu leicht.

Im Spiegel stand die allerdings originelle Formulierung: "Die munterste Selbstdemontage des Jahres". Biller schaut müde. "Das ist ja eher eine Satire auf einen Verriss." Man sieht ihm förmlich an, wie sehr das nervt, dieses taube Gefühl, das sagt: Murmeltiertag.

"Vielleicht kann man einfach nicht erwarten, dass Leute einen unschuldigen Blick darauf werfen, wenn jemand mal etwas anderes macht", sagt Biller. Er sei eigentlich schon immer Musiker gewesen, 700 Stücke habe er aufgenommen über die Jahre. Nur dass außer seinen Freunden niemand davon wusste. Und dass einer von denen ihn schließlich gefragt habe, ob er nicht ein Album machen wolle.

Das hat wunderbar zarte Momente, wenn es um die Liebe geht zumeist; es hat einen echten Gassenhauer, der "I Love My Leid" heißt; und es hat wahrhaft grauenvolle Passagen, wenn es peinlich wird mit der immer wieder auftauchenden, hohl wirkenden Vulgärsprache, wenn die zehn Akkorde, die er als Gitarrist beherrscht, ziellos umherirren.

Aber grundlos polemisch wird es nie.

So ist Billers Platte eines der bemerkenswerteren Beispiele für eine erstaunliche Häufung von Popalben und Band-Gründungen von Künstlern, die eigentlich anderen Disziplinen entstammen. Schauspieler sind es vor allem, das ist nicht neu, aber in der Ballung und Qualität außergewöhnlich. Sie produzieren nicht mehr ausschließlich Skurrilitäten, sondern Vorzeigbares: Julie Delpy, Robert Downey Jr. und William Shatner haben tatsächlich annehmbare Platten vorgelegt, die deutschen Nachwuchstalente Julia Hummer, Jana Pallaske und Robert Stadlober spielen in anständigen Bands, Nicole Kidman und Juliette Lewis hatten respektable Gastauftritte bei Robbie Williams und The Prodigy.

Herausragende Belege für Mehrfachbegabungen aber kommen bislang vor allem aus der bildenden Kunst: Michaela Melián, die allerdings schon immer Mitglied von F.S.K. war, hat mit "Baden-Baden" gerade erst das interessanteste Elektronikalbum des Jahres veröffentlicht - und an Rodney Grahams Musik ließe sich nur bemängeln, dass er ein zu offensichtlicher Fan der Kinks und der Beatles ist.

Symptomatisch an dieser Entwicklung ist zweierlei: Die popfremden Akteure tauchen fast ausschließlich in solchen musikalischen Zusammenhängen auf, wo sie auf das alte, eigentlich längst verbrauchte Ideal des vermeintlich authentischen Ausdrucks zurückgreifen - und gerade nicht in technisch aufpolierten Produktionen, die etwa mögliche Gesangsdefizite ausgleichen könnten. Und sie treffen auf eine Musikbranche, deren Interesse an ausgeliehenem Star-Potenzial auffällig demjenigen ähnelt, das das alte Hollywood-Studiosystem vor seinem Niedergang in den 60er Jahren erst für die Rat-Pack-Entertainer und dann für die neuen Rockstars zeigte - ein offensichtliches Krisensymptom also.

Minnie Driver hat zu der Frage keine Meinung. Außer der: Sie sei "nur eine kleine Schauspielerin, die ein kleines Country-Album herausgebracht hat." Dieses kleine Country-Album namens "Everything I've Got In My Pocket" sei in einer Garage aufgenommen worden, enthalte Stücke, die sie im Laufe der letzten sieben Jahre geschrieben habe, sie sei vor ihrer Hollywood-Karriere ja schon Musikerin gewesen - und ein Freund habe sie überreden müssen, es zu veröffentlichen.

Es ist, als hätten sich Minnie Driver und Maxim Biller abgesprochen. Wenigstens haben ihren Platten nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun.

Driver, die mit der weiblichen Hauptrolle in "Good Will Hunting" bekannt wurde und demnächst in der "Phantom Of The Opera"-Verfilmung zu sehen sein wird, sitzt in einem Hotelkonferenzraum in Köln, sieht selbstredend fabulous aus und gibt die Art von netten Standardantworten, wie dies Schauspielerinnen ihres Fachs üblicherweise im Zehnminutentakt vor Filmplakaten tun. Egal.

Ihr zart-melancholisches Album jedenfalls ist nicht nur gemessen an ihrem eigentlichen Job gut und ihre Balladen-Version von Springsteens "Hungry Heart" beinahe beeindruckender als das Original. Und auch wenn ihre Stimme weit davon entfernt ist, charakteristisch anders zu sein als die all der weiblichen Country- und Folk-Stimmen, bleibt wenigstens ein Distinktionsmerkmal: Ähnlich geschickt hat man noch keine britische Songschreiberin das Thema Americana interpretieren hören. Vielleicht hat Hollywood gerade einen Star verloren. Pop könnte ihn brauchen.

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