Pop:Fahrstuhl nach Bamako

Ludovic Navarre

Ludovic Navarre alias St. Germain adaptiert Musik aus Mali.

(Foto: Benoit Peverelli)

Der Pariser Lounge-Musiker "St. Germain" bringt auf seiner neuen LP traditionelle malische Instrumente und Clubbeats zusammen. Das klappt erstaunlich gut - und ist vielleicht auch ein Kommentar zur Integrations-Diskussion.

Von Jonathan Fischer

Nichts langweilt schneller als das Hipstertum von gestern. Und so kommt doch Skepsis auf, wenn der französische Elektroproduzent Ludovic Navarre alias St. Germain, der in den Neunzigern als Stilgott des "French Touch" gefeiert wurde, nach eineinhalb Jahrzehnten Pause ein neues Album veröffentlicht. Der Kritiker packt die schlicht "St. Germain" betitelte CD mit spitzen Fingern aus. Will man das Teil gleich an die nächste Hotel-Lobby weiterreichen? Navarre, der für das Album mit malischen Gastmusikern kooperiert hat, stand im Rückblick nicht nur für die supergeschmackvolle Adaption von Blues-, Soul- und Jazz-Samples in die elektronische Tanzmusik, sondern auch für einen Wildleder-Slipper-Hedonismus, der die House-Peitsche aus den Abbruchläden Detroits zu einer sexy Soundtapete für Rotweintrinker zurechtgeschmirgelt hatte.

Der Pariser Produzent erzählt, als er und seine Mitmusiker 2001 nach großer Welttour zurück ins Studio gegangen seien, hätten sie nicht mehr zur alten Kreativität gefunden. "Wir wiederholten uns. Einen Teil zwei des Vorgänger-Albums einzuspielen, interessierte mich aber nicht." Kommerziell gesehen eine Dummheit: "Boulevard", St. Germains Debüt aus dem Jahr 1995, ein samtiger Downbeat-Teppich mit Rauchspuren alter Jazz- und Blues-Aufnahmen, verkaufte sich über eine Million mal. Der Nachfolger "Tourist", erschienen auf dem legendären Blue-Note-Label, weichte die Grenzen zwischen live und digital auf und fand sogar drei Millionen Käufer - auch damals schon Michael-Jackson-Dimensionen.

Mit Navarres ernsthafter und eher grüblerischer Persönlichkeit ließ sich das kaum erklären. Eher mit seinem Rezept: Neben Pariser Produzentenkollegen wie Daft Punk, Etienne de Crécy oder Cassius hatte er schwarze amerikanische Musik eklektisch umgedichtet. Diese Adaption fremder Kulturen prägt auch sein neues Album - nur dass Navarre sich für "St. Germain" auf ein anderes Terrain begibt. Zwar haben vor ihm schon Produzenten wie Mark Ernestus, Batida oder Daniel Haaksman Techno längst auf Afrika gereimt. Aber afrikanische Musik als bloßer Geschmacksverstärker?

Um es vorwegzunehmen: "St. Germain" bleibt nicht bei stilistischen Fingerübungen stehen. Auf seinem dritten Album lässt Navarre dem malischen Blues vielmehr seine unwiderstehliche Eigendynamik. Die Single "Real Blues" wie auch "How Dare" bauen mit Gesangs-Samples von Lightnin' Hopkins und R. L. Burnside elegante Brücken - vom Mississippi zum Niger. Sollte die These von der Entstehung des Blues im Sahel zutreffen, dann untermauert Navarre sie mit malischen Klagegesängen, die wie Echos alter Robert-Johnson-Schellacks aus dem Mix stechen. Nervöses Ambient-Gezischel treibt traditionelle malische Instrumente vor sich her. Klöppelnde Balafone, Kora-Harfen und eine aufreizend schräge Ngoni-Laute tanzen um Pariser Beats. Oder ist es doch umgekehrt?

Afrikanische Musiker und Pariser Beats: Wer passt sich wem an?

Auch wenn Navarre das Endprodukt am Mischpult verlötete: Die malischen Musiker haben seine Elektronik hörbar beeinflusst. Immer wieder wechseln die Instrumente zwischen rhythmischem Puls und manischen Ausbrüchen. Kurze wiederkehrende Gitarrenriffs stacheln Mitspieler und Vokalisten zu gegenläufigen Einwürfen an. Dabei fand Navarre seine wichtigsten Mitspieler, wie etwa den großartigen Gitarristen und Sänger Guimba Kouyaté, überraschenderweise vor Ort: In der malischen Community von Paris, wo zwischen Telefonläden und Trockenfisch-Märkten immer noch die traditionelle Musik aus der Heimat spielt.

Es war sozusagen ein langer Weg vor die eigene Haustür. Zunächst hatte Navarre Nigeria und Ghana bereist. Doch Afrobeat schien ihm popkulturell dann doch zu ausgewalzt. In Mali wurde er fündig: Hier hatte sich die Musik ihre jahrhundertealten Wurzeln, ihre rauen, pentatonischen Traditionen bewahrt, ohne gestrig zu klingen. Navarre übersetzt sie in Clubmusik, die leichtläufig, aber nicht unterkomplex ist.

"St. Germain" brauchte viel Zeit: sechs Jahre für acht Tracks. "Ich grübelte lange über die Plausibilität meines Projekts", sagt Navarre. "Denn so sehr ich die technischen Fähigkeiten der Malier schätzte, so sehr brachten sie mich aus dem Gleichgewicht. Sie zählen ihre Beats anders als wir. Und spielen viel organischer. Ich musste mich anpassen." Am Ende machte er noch einen Glücksgriff: Jorge Bezerra. Der Perkussionist aus Rio untermalt die malischen Gesänge mit Regentropfen-Beats, gibt den Samba zum Wüstenblues und bricht den Rhythmus immer rechtzeitig auf, bevor er ins Einförmige kippt.

Wird "St. Germain" als Urbarmachung afrikanischer Traditionen für ein Dinnerparty-Publikum in die Geschichtsbücher eingehen? Zum Glück hat Navarre diesmal das Schmirgeln nicht zu weit getrieben. Dem Mali-Blues ein paar Zähne gelassen. Möglich, dass er so manchen Hörer gar auf die Idee bringt, im Anschluss die famose Musik der auf "St. Germain" gastierenden Gesangs-Diva Nahawa Doumbia aus Bamako kennenzulernen. Viel wichtiger noch: Navarre, Sohn eines Innenarchitekten aus dem wohlhabenden Pariser Vorort Saint-Germain-en-Laye - daher sein Künstlername -, nahm für sein Werk zum ersten mal Tuchfühlung mit der Migrantenkultur in seiner urbanen Nachbarschaft auf. Führte Welten zusammen, die in Metropolen wie Paris oft mehr nebeneinander als miteinander existieren. "Die Malier wussten nichts über elektronische Musik", erzählt Navarre. "Ich dagegen kannte ihr Leben bisher nur aus den Medien." Und so sind wir mittendrin in der aktuellen Integrations-Diskussion.

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