Pop:Ewige Slacker

Dinosaur Jr.

Brachial, aber nie chauvinistisch: J Mascis (Mi.) und Dinosaur Jr.

(Foto: Jagjaguwar)

Das fabelhafte neue Album der amerikanischen Indierock-Band "Dinosaur Jr.", die das seltene Kunststück beherrscht, brachiale Rockmusik mit ausufernden Gitarren-Solo-Passagen zu machen - und dabei doch nie chauvinistisch zu klingen.

Von Torsten Groß

Joseph Donald Mascis Jr. alias J Mascis ist ein Mann mit festen Gewohnheiten. Veränderungen sind ihm ein Gräuel, seit Jahrzehnten trägt er eine nahezu unveränderte Frisur. Gemeinsam mit seiner Familie wohnt Mascis in seiner Geburtsstadt, dem Universitätsstädtchen Amherst im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts. Im Dachgeschoss seines viktorianischen Anwesens hat der Equipment-Nerd ein Studio eingerichtet.

Dort entstand auch "Give A Glimpse Of What Yer Not" (Jagjaguwar/Cargo). Es ist das beste Album seiner Indierock-Band Dinosaur Jr., in deren Vorprogramm einst Nirvana spielten und die zu den Urvätern des Grunge und Alternative Rock der Neunzigerjahre zählen, seit langer Zeit.

Mascis nimmt die Dienste eines hinduistischen Gurus in Anspruch, dessen Gleichmut in Gänze auf ihn übergegangen zu sein scheint. Womöglich eine Ursache für den störungsarmen Verlauf der dritten Karrierephase einer Band, zu deren Geschichte eine lange Liste von schweren Zerwürfnisse gehört.

Es gab Zeiten, in der man Mascis und Lou Barlow kaum gemeinsam in einen Raum bekommen hätte. Das schlechte Verhältnis der wortkargen Männer ist legendär. Nach dem dritten Album hatte Mascis den Bassisten aus der Band geworfen. Jahrelang sprach man kein Wort miteinander, 2005 folgte die überraschende Wiedervereinigung - und seitdem scheinen sich die beiden Musiker sich dauerhaft arrangiert zu haben.

Barlow wohnt ebenfalls in Amherst, nur einige Straßen von Mascis entfernt. Tatsächlich kann man sie sich inzwischen sogar gemeinsam bei einem Bier auf der Terrasse vorstellen. Der ewige Slacker Mascis und der hochsensible Lou Barlow sind die beiden Pole, aus denen Dinosaur Jr. seit über 30 Jahren ihre Kraft beziehen. Der Schlagzeuger Murph spielt im Wesentlichen Schlagzeug, allerdings auf eine derart stoische, auf jeglichen Zierrat verzichtende Art, dass auch sie zu einem wesentlichen Merkmal im Klangbild dieser Band geworden ist. Denn Dinosaur Jr. erkennt man ungefähr so schnell wie AC/DC oder die Ramones. Seit 1984 spielen sie nahezu unverändert dieselbe, irgendwo zwischen Punk, Black Sabbath und Crazy Hose changierende Musik.

Mit den Pixies und Sonic Youth legte die Band einst die Grundlage des Alternative Rock

Beim ersten Song des neuen Albums, "Goin Down", dauert es ungefähr fünf Sekunden runtergeschrubbter Power-Riffs, bis man weiß, aus wessen Hand der Lärm kommt. Und spätestens mit dem Einsatz von Mascis' gleichzeitig demonstrativ gelangweiltem und tief melancholischem Gesang ist sowieso alles klar. "Tiny" ist dann der Hit auf dieser Platte, ein Song wie aus der MTV-Alternative-Rock-Rotation der frühen Neunziger. Dem Genre, dessen Grundlage Dinosaur Jr. natürlich gemeinsam mit den Pixies und Sonic Youth überhaupt erst gelegt haben.

Auch Lou Barlow durfte zwei Songs beisteuern. Beide wirken beinahe wie Fremdkörper: "Love Is" ist psychedelisch angehauchter Indie-Folk, und bei "Left/Right" klingt Barlow ein bisschen so wie Eddie Vedder. Ein Vergleich, der ein bisschen weh tut, denn Vedders Pearl Jam ist natürlich eine Band, die Barlow-Verehrer inbrünstig hassen. J Mascis wiederum hasst die ewigen Neil-Young-Vergleiche, aber als er vor einigen Tagen als spontaner Gast - ausgerechnet! - bei einem Pearl-Jam-Konzert auftauchte, spielte er mit der Band: Youngs "Rockin' In The Free World".

Generell gilt: Alles, was der chronische Interviewaussitzer J Mascis zu sagen hat, kommuniziert er über seine Gitarre und die Texte, die wiederum diametral im Gegensatz zu seinem Gitarrenspiel stehen. Introvertiertes über Liebe und Verlust singt der seit Mitte der Neunziger fest liierte und seit 2004 verheiratete Familienvater auch jetzt wieder, es ist eine ewige Metapher für Isolation und unergründliche Sehnsucht. Dinosaur Jr. kleiden diese Worte in einige der schönsten Melodien ihrer Karriere, selbstverständlich konterkariert durch das Gitarren-Geschredder aus der Gitarre von J Mascis.

Niemandem sonst würde man in diesen Kreisen eine derartige Gniedelei durchgehen lassen. Aber weil Mascis' Spiel knarzig ist und vom Leistungsprinzip befreit, ist er vermutlich der letzte Gitarrist außerhalb des Metal, der noch für seine Solos bewundert wird.

Dinosaur Jr. leben durch die kompositorische Hand von J Mascis, der alleine niemals so gut ist wie mit Barlow und Murph. Gemeinsam beherrschen sie das seltene, auf diesem Album besonders konsequent zur Schau getragene Kunststück, auch die brachialste Rockmusik zu keinem Zeitpunkt chauvinistisch wirken zu lassen. Aus dieser Musik spricht all die Liebe und die Leidenschaft ihrer gemeinsamen Geschichte. Beinahe hat man den Eindruck, sie gehen im sonstigen Leben extra sparsam damit um, um sich diese Gefühle für die Musik aufzusparen.

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