Pop:Das Ding groovt halt

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Mit gespaltener Zunge: Nik Void und Gabriel Gurnsey. (Foto: DFA Records/Pias)

Das Duo "Factory Floor" gibt herzlich wenig darauf, ob dein Mittagessen kalt wird: Das neue Album "25 25" beweist, warum das so ist.

Von Juliane Liebert

Im Grunde ist "Groove" ein altmodisches Wort, und man mag es ja auch schon gar nicht mehr. Weg mit den Revivals, möchte man sagen, weg mit den Neunzigern, den Achtzigern, jeder, der einen analogen Synthesizer auch nur anfasst, ist ein Verräter und gehört verbannt. Und dann kommen Factory Floor, ein Duo aus London, lasziv, hermetisch, schamlos rückwärtsgewandt und darin überaus modern.

Die nennen den ersten Track ihres neuen Albums "25 25" (Seriennummer des Albums) "Meet Me at the End", und das "Ende" beginnt so: Vier gummiartige Töne, repetiert, jedes Mal eine Nuance anders verzerrt. 30 Sekunden gibt man ihnen, dann schaut man nach, ob iTunes hängen geblieben ist. Ist es nicht. Genau die vier Töne sollen es erst mal sein, und Factory Floor geben herzlich wenig darauf, ob dein Mittagessen kalt wird, diese vier Töne hörst du dir jetzt gefälligst an. Erst bei Sekunde 53 setzt die Snare ein, ab Minute zwei beginnt die Kiste zu schnurren.

Und wie. Dabei verweigern Nik Void und Gabriel Gurnsey sich zunehmend jeglicher Melodie. Wer braucht 2016 bitte noch Melodien? Es passiert trotzdem die ganze Zeit was, sofern genau genug hingehört wird: In Wirklichkeit sind die besagten vier Töne nämlich jedes Mal anders gespielt, bei Sekunde zehn wird ein Hall reingekleckert, der bei Sekunde 20 wieder weg ist. Man hört, dass dieses Ding, der Synth, eben mindestens so sehr Gerätschaft wie Instrument ist, etwas, das aus Knöpfen und Gummi und Schaltungen besteht. Man hört auch, wie aufregend das sein kann - man bedenke, wir sind hier schon im dritten Absatz dieses Textes, und es hat immer noch keiner gesungen.

Dann kommt der Gesang, immer nur eine Line, immer zurückgenommen. Verantwortlich ist Nik Void von Carter Tutti Void. Die will nach Aussage von Gurnsey "klingen, als sei sie ein anderer Mensch" - mit dem Effekt, dass sie überhaupt nicht mehr menschlich klingt. Das Witzige daran: Der mit Autotune zugeblasene Gegenwartshörer ist eh schon so sehr daran gewöhnt, dass die Entmenschlichung der Stimme, eigentlich sogar der Musik, die Logik dieses Sounds vervollkommnet.

Die beiden machen Musik nach dem Prinzip guter Designer: Form follows function

Gleichzeitig klingen die Nummern teilweise herrlich unfertig. Einige auf "25 25" sind Livetakes. Ja, Livetakes, 2016. Factory Floor sind sagenhaft subtil in dem, was sie tun, es klingt leicht und ist dabei genau ausgewählt, lose in der Tradition von Kraftwerk, nur weniger melodiös. Alles wirkt sehr poliert, obwohl so wenig passiert. Sie musizieren, wie gute Innenarchitekten Innenarchitektur machen: Form folgt Funktion, mehr Design als Rock 'n' Roll.

Beinahe entsteht der Eindruck, dass FF sich systematisch an der Musikgeschichte, also vor allem der Geschichte der Tanzmusik abarbeiten. Am Anfang klangen sie wie ein Joy Division-Ripoff oder jede andere semi-erfolgreiche Factory-Records-Band, dann kamen Singles, die sehr nach Wave Punk klangen, nur entschlackt. Mit "25 25" haben sie die frühen Neunziger erreicht, sprich Acid House. Alles kommt hedonistischer und weniger beklemmend daher als auf den Vorgängeralben, das Düstere ist nur noch rudimentär. Sie haben ihren Stil darin gefunden, alles auf die wesentlichen Bestandteile zu reduzieren.

Ein Bekannter verkündete neulich, er werde sich die Zunge spalten lassen - aus ästhetischen Gründen. Das ist, auf Factory Floor bezogen, keine Metapher, sondern die Wahrheit: Wir leben wohl schlicht in einer Zeit, in der Leute sich aus ästhetischen Gründen die Zunge spalten lassen, oder Neunziger-Elektro nehmen, entmenschlichen und durch Maschinenknacken wiederbeleben, bis er abgeht nach Gesetzen, die eigentlich jeder Logik widersprechen. "Groove" ist im Grunde genommen ein altmodisches Wort, aber verdammt, das Ding groovt halt, was soll man machen.

"25 25" (DFA/Pias Cooperative) von Factory Floor erscheint am 19. August.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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