Pop:Wie "Whitney" Softrock ins Jahr 2016 holen

Pop: Bittersüße Wunderwahrhaftigkeit: Julien Ehrlich (oben) und Max Kakacek.

Bittersüße Wunderwahrhaftigkeit: Julien Ehrlich (oben) und Max Kakacek.

(Foto: Sandy Kim/Secretly Canadian)

Als würden sie Butterblümchen mit dem Lasso fangen: Mit "Light Upon The Lake" liefern "Whitney" bittersüße Wunderwahrhaftigkeit - das letzte was man in diesem Popjahr erwartet hätte.

Von Jens-Christian Rabe

Dieses Popjahr prägte bislang der politisch hoch sensible und notorisch eklektizistische, soundschnipselwütige Hip-Hop und R 'n' B. Das Letzte, das man da erwartete, ist ein so harmonisches und warmes Neo-Softrock-Album wie das Debüt der aus Chicago stammenden Band Whitney: "Light Upon The Lake" (Secretly Canadian). Und je länger man über sie nachdenkt, umso ratloser macht einen diese Musik auch erst einmal.

Theoretisch jedenfalls. Wir haben es schließlich mit allerfeinster Retromanie zu tun, also extrem detailverliebtem Pophistorismus. Im Grunde ist "Light Upon The Lake" nämlich ein klassischer Fall dessen, was in der Kulturtheorie gerne "Reenactment" genannt wird. Also die möglichst authentische Wiederaufführung eines geschichtlichen Ereignisses. Nur dass hier eben nicht die Schlacht von Tannenberg oder irgendein Ritterturnier nachgestellt wird mit der beflissenen Peinlichkeit von aufwendigem Laientheater - sondern ein alter Pop-Sound wieder zum Leben erweckt wird. Und zwar maximal unpeinlich. Und herzerwärmend.

Jaulende junge Männer, Patsche-Drums und samtweich dengelnde Dingel-Gitarren

Praktisch nämlich sind Whitney-Songs wie "No Woman", "The Falls", "Golden Days", "Dave's Song" oder auch einfach gleich das ganze Album mit seinen vielen unwiderstehlich unaufdringlichen Trompetentupfern voller so bezaubernd zarter Momente, dass man alsbald höchstens noch darüber grübelt, an welchen See man dazu denn nun schnellstmöglich mit leicht zusammengekniffenen Augen durch die Nachmittagssonne fahren soll.

Auf keinen Fall kaufen sollten ma diese Platte natürlich, wenn man noch immer einer der niedlichen Unverbesserlichen ist, die Rockmusik zu ernst nehmen. Oder einer von denen, die sie nicht ernst genug nehmen. Man sollte mithin ein großes Herz für den Gegenlicht-Schmelz des Softrocks der Siebziger haben, also bei jungen Männerstimmen, die in der Nähe des Falsetts herumjaulen, bei formvollendet abgedämpften Patsche-Drums und samtweich dengelnden Dingel-Gitarren nicht gleich eine mittelschwere Identitätskrise bekommen oder nervöses Herzflimmern. Weil man seine Rockerehre gefährdet sieht. Oder weil man der Ansicht ist, dass diese akustische Restauration den - in mittlerweile fast fünf Jahrzehnten mühsam erkämpften - Fortschritt des Pop zunichte zu machen droht, nach dem das wahrhaftig Gefühlte nicht mehr zwangsläufig das Beste sein muss.

Vielleicht muss man aber, um dem, was man die bittersüße Wunderwahrhaftigkeit dieses Albums nennen kann, wirklich gerecht zu werden, noch einmal ganz anders ausholen.

In einer seiner Abrechnungen mit den Eagles, der berüchtigtsten aller Softrock-Bands der Siebzigerjahre, schrieb Lester Bangs, der temperamentvollste aller Rockkritiker, einst: "Was mich am meisten nervt an den Eagles, ist die Tatsache, dass sie all die Mythen, die für Amerika stehen - Autos, James Dean, Gesetzlose, Indianer -, einfach in Beschlag nehmen, sie sterilisieren und kastrieren, und aus einem Kriegsgesang einen lahmen Schlager machen." Krank an der Band machte ihn ihre "schmachtende Resignation, dieses Gesuhle in der eigenen Passivität". Angesichts der unerträglichen Lage der Welt sei das doch eine unmögliche Haltung, so Bangs, bevor er zu dem endgültig vernichtenden Urteil ausholte, dass "diese Typen nicht mal'n paar Butterblümchen mit dem Lasso einfangen könnten".

Da machte Lester Bangs ein paar gute Punkte, keine Frage - nur die Sache mit dem Lasso und den Butterblümchen kann man nicht so stehen lassen. Das darf doch nun wirklich nicht gegen eine Band sprechen. Und schon gar nicht spricht es gegen Whitney. Im Gegenteil. Denn genau genommen ist es doch die perfekte Umschreibung für ihre Musik: Da sitzen ein paar Jungs herum, patschen ein wenig auf ihrer unverdienten Alltagsmelancholie herum, weil dieses oder jenes Mädchen sie nicht ganz so super findet, wie sie es gerne hätten, und dann versuchen sie 'n paar Butterblümchen mit dem Lasso einzufangen. Hoffentlich schaffen sie es nie.

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