Pop:Auffällige Neigungen

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Wainwright besitzt auch im Alter noch seinen jungenhaften Charrme. (Foto: Alex Brandon/AP)

Der 70-jährige amerikanische Folksänger Louden Wainwright III, sein deutscher Tourauftakt in Bremen - und die unterschätzte Kunst des würdevollen Seniorenpop.

Von Karl Bruckmaier

Das müssen Pappenheimer sein, hier in Bremen, denn Loudon Wainwrigth III kennt sie alle. Pünktlich um 20 Uhr entert er die Bühne im Schlachthof, einem beneidenswert gut gestalteten Veranstaltungsort in der Kategorie 400 Zuschauer, betont sportlich macht er das, vielleicht um von seiner Krankenkassengehhilfe abzulenken - da zwickt was, da schmerzt was -, und später im Programm werden wir alle zum Mitsingen aufgefordert bei "The Doctor", in dem es um einen eigentlich überflüssigen Arztbesuch geht, doch gleich von Beginn an kokettiert Wainwright mit seinem Alter - gut siebzig ist er -, dem nahenden Tod, der Vergänglichkeit, seiner nicht eben bügelfreien Vergangenheit, dem Wunsch nach Unsterblichkeit und der Vorstellung von einem Himmel, in dem auch ein guter Whiskey und eine ungepflegte Orgie ihren Platz haben.

Und mit diesen Themen hat er das Silberrücken-Publikum in Bremen schnell auf seiner Seite, erwähnte Pappenheimer eben, die von Sex im Alter und Gehhilfen auch so einiges verstehen. Loudon Wainwright III ist eine recht singuläre Figur im weit ausgreifenden Genre des Singer-Songwritertums. Als er um 1970 mit ersten Veröffentlichungen auf sich aufmerksam gemacht hat, war er eigentlich ein Nachzügler in dieser Bewegung der modernen Barden, konnte weder die bohèmehafte Sehnsucht nach Verlust eines Leonard Cohen, die politische Ernsthaftigkeit eines Phil Ochs oder die heute offenbar kaum mehr zu schulternde Gravitas eines Bob Dylan aufbieten.

Was Wainwright aber hatte, war ein jungenhafter Charme, über den auch noch der Greis gebietet, eine Art, die offenbar die Frauen aller Generationen schätzen - und die Plattensammlung seines Vaters, in denen die Satire eines Lenny Bruce, Broadway-Shows und die Lieder des heute fast vergessenen Tom Lehrer den bildungsbürgerlich-liberalen Ton angaben. Speziell die launigen Kabarettnummern à la Tom Lehrer hat Wainwright seine ganze Karriere über in seine jeweilige Gegenwart herübergerettet, ausgebaut, verfeinert. Schließt man die Augen hier in Bremen, fühlt man sich manchmal direkt in eine der Live-Aufnahmen seines Vorbilds zurückversetzt, zeitloses Lachen, kennerhaftes Schmunzeln, keine Pointe wird ausgelassen und ein Thema immer frontal attackiert.

Hier liegt auch Wainwrights Schwäche: Er ist manchmal schnell mit sich zufrieden. Die Subtilität eines Randy Newman, die Raffinesse eines Geoff Muldaur wird ihm auf immer verschlossen bleiben. Aber für Schwächen hat Wainwright eben keine Zeit, höchstens, wenn es gilt, sie in einem Song zu thematisieren. Sein Programm für die an diesem Abend beginnende Europatournee ist klar durchdacht, ein Ausbund an Cleverness.

Neben der geriatrischen Komponente bietet Wainwright seine komplexe Familiensituation auf - da sind zum einen Wainwright I und Wainwright II, Vater und Großvater, an denen er sich als Songwriter und als Rezitator der Texte seines journalistisch tätigen Vaters abarbeitet. Und zum anderen sind da noch seine drei ebenfalls musikmachenden Kinder, die er mit zwei der aufregendsten Liedermacherinnen des 20. Jahrhundert in die Welt gesetzt hat, mit Suzzy Roche und Kate McGarrigle: Lucy Wainwright Roche und die beiden Weltstars Rufus Wainwright und Martha Wainwright, unter deren Popularität der nicht eben uneitle Loudon durchaus zu leiden scheint - so wie diese einst unter seinem mäßig ausgeprägten Verantwortungsgefühl und seiner notorischen Neigung, intime Details des Familienalltags in Lieder einzubauen.

Das Private und das Seniorenhafte werden schließlich noch durch eine auffällige Neigung zur Hommage gepuffert: Wainwright bringt insgesamt vier Songs von Peter Blegvad, Mose Allison und - Merle Haggard. Speziell bei dessen "Today I Hated ..." darf man kurz erahnen, was für einen talentierten Country-Sänger uns die folklastige Karriere eines Loudon Wainwright III vorenthalten hat. Obwohl: Je länger der Abend dauert, desto häufiger strahlen ältere Songs auf - "My Red Guitar", "Motel Room Blues", "Swimming Song" oder "The Man That Couldn't Cry" -, und diese Lieder sind schon aller Ehren wert. Wie der Mann selbst, der alte Pappenheimer.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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