Pop:Archaische Männlichkeit

Pop: Chris Cornell, die Zentralgestalt der Band Soundgarden, war auch stilistisch ein Trendsetter. Das Foto zeigt ihn im Juli 2015, als er für sein Album "Higher Truth" posierte.

Chris Cornell, die Zentralgestalt der Band Soundgarden, war auch stilistisch ein Trendsetter. Das Foto zeigt ihn im Juli 2015, als er für sein Album "Higher Truth" posierte.

(Foto: Casey Curry/Invision/AP)

Zum Tod von Chris Cornell, dem Sänger der Noise-Hardrock-Dampframmen-Band "Soundgarden", der als Musiker ein gewaltiges Ikonenpotenzial hatte.

Von Torsten Gross

Es ist eine traurige Gewissheit: Der letzte Song, den Chris Cornell jemals auf der Bühne gesungen hat, ist "Slaves & Bulldozers", eine jener brachialen Noise-Hardrock-Dampframmen, mit denen Cornell und seiner Band Soundgarden zu Beginn der Neunzigerjahre der Durchbruch gelungen war. Nun befanden sich Soundgarden auf einer Tournee durch die USA, in deren Rahmen sie am gestrigen Mittwoch, dem 17. Mai, in Detroit auftraten. Auf Twitter hatte Cornell sich auf das Konzert gefreut: "Finally back to Rock City!!! #nomorebullshit", lautete sein letzter Tweet.

Für die Vorfreude gab es einen guten Grund: Das Konzert im Fox Theatre war ausverkauft, und als Soundgarden den zwanzigsten und letzten Song des Abends, eben "Slaves & Bulldozers" anstimmten, sang das Publikum laut mit. Es war - man kann das auf zahlreichen Wackelvideos im Netz verfolgen - eine ordentliche, routinierte Rockshow mit einem vital wirkenden Chris Cornell.

Doch am Ende des Konzerts passierte etwas Unerwartetes: Soundgarden hatten den ohnehin nervenaufreibenden Song bereits in die Unendlichkeit gedehnt, als Cornell plötzlich ein ganz anderes Lied anstimmte: "In my time of dying, I want nobody to mourn", sang er. "All I want for you to do is take my body home." Die Zeilen aus dem klassischen Gospel "In My Time Of Dying" wären unter normalen Umständen lediglich als eine Reverenz an Led Zeppelin im Gedächtnis geblieben, die den Song unter anderem popularisierten. Nun aber bieten sie Raum für Spekulationen, denn Christopher John Boyle ist in der Nacht zu diesem Donnerstag überraschend in seinem Hotel in Detroit gestorben.

Der Mann war groß, schlank und unverschämt gut aussehend, sogar mit seinem Ziegenbart

Selbstmordgerüchte schossen ins Kraut, doch die Todesumstände sind bislang ungeklärt, und Soundgarden hatten die Led-Zeppelin-Reverenz bereits häufiger eingewoben. Kein Wunder: Der typische Soundgarden-Sound war ebenso stark von Led Zeppelin geprägt wie von Black Sabbath. Damit gelang es der Band aus Seattle einen Mix zu popularisieren, der in den Folgejahren die Welt erobern sollte. Den Nihilismus und die Energie des Punk kombinierten sie und andere Grunge-Bands mit der wuchtigen Kraft des Hardrock der Siebzigerjahre. Soundgarden waren die erste große Seattle-Band auf Sub Pop, die erste mit einem großen Plattenvertrag und später auch die erste, die über eingeweihte Kreise hinaus für Aufmerksamkeit sorgte. Der Megaerfolg von Pearl Jam und Nirvana blieb ihnen verwehrt, aber mit dem Album "Superunknown" erreichten sie 1994 Platz 1 der US-Billboard-Charts, "Black Hole Sun" und zahlreiche andere Soundgarden-Hits waren für die Neunzigerjahre prägend.

Das lag vor allem an Chris Cornell, der auch stilistisch ein Trendsetter war. Der Sänger hatte ein gewaltiges Ikonenpotenzial, nicht nur wegen der biblischen Motive in einigen seiner Songs: groß, schlank, beinahe unverschämt gut aussehend, war er der perfekte Rockstar. Mit seinen Doc Martens, halblangen Cargo-Hosen, wallenden Haaren und dem Ziegenbart prägte er die Uniform einer ganzen Generation. Cornell spielte nicht nur sämtliche Instrumente, er beherrschte sie mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit. In seinen besten Tagen hatte er eine Vier-Oktaven-Stimme, die nicht von dieser Welt zu sein schien. Hinzu kam eine den Sänger und seine Musik stets begleitende Schwermut, die besten Cornell-Songs waren immer auch Depressionshymnen. Das ließ die Musik von Soundgarden so faszinierend wie bedrohlich wirken - der Stoff, aus dem gute Rock'n'Roll-Geschichten sind.

Nachdem die Gruppe sich zerstritten hatte, gelang Cornell 1999 mit "Euphoria Morning" noch ein ziemlich gutes Soloalbum. Danach hatte er nicht immer eine glückliche Hand in künstlerischen Belangen: Mit den verbliebenden Mitgliedern von Rage Against The Machine gründete er die Supergruppe Audioslave, die Schwerelosigkeit durch Muckertum und Melancholie durch Breitbeinigkeit ersetzte. Chris Cornell war nun ein muskelgestähltes Mitglied des Rock-Jetset. Er produzierte ein misslungenes Mainstream-Album mit Timbaland ("Scream"), nahm mit "You Know My Name" den Titelsong für den James-Bond-Film "Casino Royale" auf, der bestens zur archaischen Männlichkeit von Daniel Craig passte, und eröffnete ein Restaurant in Paris, wo er mit seiner Frau und den drei Kindern wohnte.

Die Musik jener Jahre war nicht immer gut, aber der Mann wirkte zum ersten Mal in seinem Leben rundum glücklich. Die Schwermut schien von ihm abgefallen zu sein. Zuletzt wandte er sich seinen Ursprüngen zu. Zunächst trommelte er 2012 Soundgarden wieder zusammen, dann begab er sich im vergangenen Jahr auf eine Tournee mit den alten Freunden von Temple Of The Dog. Das Grunge-Projekt mit späteren Mitgliedern von Pearl Jam war 1990 gegründet worden, um Cornells verstorbenen Mitbewohners, des Sängers Andrew Wood, zu gedenken. Nun ist Chris Cornell selbst gestorben. Er wurde 52 Jahre alt. Sie werden ihn nach Hause tragen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: