Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg:Zerfall einer Legende

Theodor Eschenburg

Empfahl die Wiener Firma Blaskopf "zu entjuden": Der verstorbene Tübinger Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg (Foto von 1988).

(Foto: dpa)

Neue Vorwürfe: Theodor Eschenburg, einstmals angesehener Begründer der deutschen Politikwissenschaft, war wohl an "Arisierungen" beteiligt.

Von Willi Winkler

Jetzt scheint es endgültig erwiesen zu sein: Theodor Eschenburg, 1999 in Tübingen hochgeachtet als Stammvater der deutschen Politikwissenschaft gestorben, Lehrer kaum weniger berühmter Schüler wie Theo Sommer, Ekkehart Krippendorff, Friedrich Karl Fromme, Johannes Agnoli und Gerhard Lehmbruch, war im Dritten Reich an "Arisierungen" beteiligt.

In seiner Eigenschaft als Verbandsgeschäftsführer hat Eschenburg, wie Rainer Eisfeld in einem Beitrag für die jüngste Ausgabe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte dokumentiert, mitgeholfen, jüdische Eigentümer um ihren Besitz zu bringen, ihr Vermögen zu konfiszieren und sie vollständig zu entrechten.

Der einem strikt konservativen Elternhaus entstammende Eschenburg war nach seinem Studium und einem bald gescheiterten Versuch, in die Politik zu gehen, Geschäftsführer der Fachuntergruppe Knopf- und Bekleidungsverschlussindustrie geworden, für heutige Begriffe also Lobbyist, wofür er mit seiner lebenslang gepflegten Kontaktfreude geradezu prädestiniert war.

Aus Opportunismus, kaum aus Überzeugung trat er 1933 in die SS ein, die er bald wieder verließ (dass er die Mitgliedschaft in einem Lebenslauf von 1936 nicht erwähnt, spricht nach Eisfelds Meinung auch gegen ihn). 1938, im Umfeld der Reichspogromnacht, war Eschenburg mit der Arisierung der Kunstharz-Firma Lozalith befasst, die Wilhelm Fischbein gehörte.

Fischbein musste als Jude um sein Leben fürchten, und er versuchte, seine Firma nach England zu verlegen. Eschenburg warnte vor dieser Möglichkeit, empfahl die Einziehung seines Reisedokuments, befürwortete dann aber, dass "dem Juden Fischbein" ein Pass ausgestellt und die Ausreise ermöglicht werden solle. Der Pass wurde ihm dennoch verweigert, Fischbein tauchte unter und konnte nach mehreren Wochen ins Ausland fliehen.

"Substanzielle Ergebnisse"

Inwieweit Eschenburg Fischbein durch sein ambivalentes Verhalten womöglich sogar geholfen hat, lässt sich nicht mehr feststellen.

Mit gesundem Selbstbewusstsein lobt sich Eisfeld dafür, dass seine Archiv-Recherchen zu "substantiellen Ergebnissen" geführt hätten, wodurch die Diskussion um Eschenburgs berufliche Tätigkeit zwischen 1933 und 1945 "neuerdings wieder an Gewicht und Seriosität" gewinne.

Recherchen über den Hintergrund der Enteignung Fischbeins, wie sie beispielsweise Hans-Joachim Lang für das Schwäbische Tagblatt und die Zeit angestellt hat, lässt er nicht gelten, sondern heftet das als "private Beziehungen zu jüdischen Mitbürgern" ab. Heldenhaft war sein Verhalten bestimmt nicht, aber Lang zufolge blieb Eschenburg mit den Familien befreundet, die zur Emigration gezwungen wurden.

"Die lupenreine Demokratie bringt sich um"

Weit gravierender ist der Fall der Wiener Firmen Auerhahn und Blaskopf, mit deren "Entjudung" Eschenburg nach dem Anschluss Österreichs im Frühjahr 1938 befasst war. Auch sie fielen in seinen Verantwortungsbereich, und auf seine Anregung wurde dem Reichswirtschaftsministerium empfohlen, die Reißverschlussfirma Auerhahn zu liquidieren und die Firma Blaskopf "zu erhalten und zu entjuden".

Wie effektiv diese "Entjudung" war, durfte der enteignete Inhaber Max Blaskopf vier Jahre später erleben, als er zusammen mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert wurde, wo die beiden vermutlich 1943 starben.

Wenn sich diese neuen Vorwürfe durch weitere Funde bestätigen sollten, wird Eschenburgs Ruf als "Lehrer der Demokratie" kaum mehr zu halten sein. Als Professor und vor allem als regelmäßiger Autor in der Zeit profilierte sich Eschenburg vor allem als Etatist, ein Staatsrechtler, dem es weniger um Thomas Hobbes und Carl Schmitt als um das Verhältnis der Bürger zum demokratischen Staat ging.

Eschenburg musste Demokratie selber erst erlernen und war keineswegs so fest darin verankert, wie es der Beamteneid erfordert hätte. In einem Gespräch mit der Zeit kurz vor seinem Tod erklärte er: "Die lupenreine Demokratie bringt sich um."

Niemand kannte sich besser mit der Macht aus als der ehemalige Lobbyist. So ist es kein Zufall, dass er zu den glühendsten Verteidigern von Adenauers Staatssekretär Hans Globke gehörte, der im Dritten Reich die Nürnberger Gesetze kommentiert hatte. Globke blieb bis 1963, bis zum Erreichen des gesetzlichen Ruhestandsalters, ein tapferer deutscher Beamter.

Systemkonformes Verhalten

Der staatsgläubige Eschenburg litt, wie viele Professoren seiner Generation, unter dem Ansturm der Studenten in den Jahren 1968 bis 1973. In der Neuauflage seines Buches "Über Autorität" gelang ihm eine erstaunliche Parallelisierung - er verglich seine Situation an der Eberhard-Karls-Universität mit jener im Dritten Reich. "Die Älteren hatten im Dritten Reich sich anzupassen versucht und auch gelernt, um sich so Gefährdungen zu entziehen."

Wenn zutrifft, was Eisfelds Dokumente andeuten, wenn sich weitere Belege für dieses systemkonforme Verhalten finden, dann hat Eschenburgs Anpassung ihm allerdings das Überleben im Unrechtsstaat gesichert. Die Kosten dafür hatten andere zu tragen.

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