Politik und Kabarett:Dumm zu sein bedarf es wenig

Ein politisches Kabarett, das keinen Mut mehr braucht, hat sein Verfallsdatum längst überschritten und verliert an Glanz.

Burkhard Müller

Die frühen Zeiten waren die besten. Damals, in der wilhelminischen Schlussphase des Kaiserreichs, hatten sich die Wege von Kabarett und Cabaret noch nicht geschieden, denn wer zu viel Bein zeigte, rief dieselben Mächte auf den Plan wie derjenige, der über den Schnurrbart des Kaisers spottete. So kam es zu einer äußerst reizvollen Verquickung von Erotik und Politik, wenn Frank Wedekind seine Lieder zur Klampfe vortrug.

Es war die ideale Situation von David und Goliath: Der Feind herrschte noch, aber hielt es bereits für nötig, um sich zu schlagen, und gab den Eingeweihten so zu verstehen, dass er insgeheim bereits auf dem absteigenden Ast saß. In den Wirtshäusern der Bohème gedieh eine Atmosphäre zuversichtlich heiterer Konspiration: die erotische Freiheit genoss man untereinander schon jetzt, die allgemeine politische würde gewiss demnächst folgen.

Leider erwies sich alsbald, dass sich die Ziele der politischen und der erotischen Befreiung durchaus voneinander trennen ließen, zum Schaden beider. Spätestens seit Marlene Dietrich vor den Nazis ins Exil floh, haben die zwei nicht mehr zusammengefunden. Das Cabaret fiel der Amüsierbranche anheim, das Kabarett aber verlor Glanz und Feuer und wurde, was es im wesentlichen bis heute geblieben ist.

Sagen wir es ungescheut: Richtig gut war das Kabarett nie. Seine Verdienste konnte es trotzdem haben, und zwar nach Maßgabe der Beherztheit, die es benötigte, um überhaupt zu existieren. "Wenn bei des Vollmonds Dämmerlichte, / das zagend durch die Zweige sieht, / durch dunkeln Hain von Tann' und Fichte / ein fauliges Gerüchlein zieht -: / Das ist, was da so grauslich riecht, / Herr Goebbels, der vorüberfliecht."

So geht ein Text von Kurt Tucholsky, ersichtlich für das Publikum einer Kleinstkunstbühne in den frühen Dreißigern verfasst. Darüber lachte man gern zusammen, weil sich an solchem Gelächter diejenigen erkannten und wechselseitig ihrer Präsenz versicherten, die dieselbe riskante Gesinnung hegten. Dieses Gelächter bedeutete einen Akt des Muts, es zu erregen eine Tat. Was Tucholsky schrieb, ist ein soziologisches, politisches, moralisches Dokument; ein Gedicht ist es schwerlich.

Frechheit! riefen die Empörten

Im geteilten Deutschland konnte es dann noch einmal scheinen, als bräuchten die zwei Gesellschaften, die sich da formierten, das Kabarett: die östliche als Unterschlupf des passiven Widerstands in einem totalitären System, die westliche als Ferment der überfälligen nachholenden Modernisierung. Das war die hohe Zeit der "Lach- und Schießgesellschaft", als Dieter Hildebrandts sich als Konfusion verkleidende Weigerung, einen Satz syntaktisch korrekt zu Ende zu bringen, an sich schon wie Anarchie und Zersetzung aussehen konnte und entsprechenden echten Ärger hervorrief. Frechheit! riefen die Empörten. Und in der Tat, das war es, eine Frechheit - und kein Gran mehr.

Frechheiten setzen eine funktionierende Autorität voraus, der sie als förmlicher Gegenpart dienen und von der sie transitorische Entlastung versprechen. Frechheiten sind eine verwickelte Art, vorhandene Strukturen zu stärken; letztlich eine umwegige Erklärung des Einverständnisses. Der archetypische Frechling war immer der Gymnasiast gewesen, der gegen den Stachel des Lehrkörpers löckte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Politiker wie Sandsäcke sind.

Im Video: Salvator-Probe 2010: Strauß selig spielt Bohlen, und alle finden's wunderbar. Nur Stoiber wundert sich.

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Die Lebenslüge des Kabaretts

Die Auflösung des Gymnasiums konnte er nicht wünschen, denn dies hätte ihn seines Status' als Gymnasiast beraubt; es hätte ihn heimatlos gemacht. Und umgekehrt hielt sich auch die Anstalt mit ihren Sanktionen im berechenbaren Rahmen und zielte auf Disziplinierung, nicht auf Eliminierung des Frechdachses. Es war ein Spiel, ein Ritual, das nur so lange bestehen kann, bis das Gymnasium selbst durch die Einführung der Gesamtschule obsolet wird.

Das Kabarett war im alten Westdeutschland, neben Magazinen wie Stern und Spiegel, eine der wichtigsten Ausdrucksformen der Sozialdemokratie auf der Zielgeraden. Gibt es etwas Beflügelnderes, als kämpfender Held und doch schon sicherer Sieger zu sein? Was das Kabarett seinem dankbaren Publikum schenkte, war die beseligende Teilhabe an diesem Gefühl. Der persönliche Angriff auf den Mächtigen und die persönliche Gefahr, die er bedeutet, die Explosion des Witzes, die einen Geltungsanspruch zerfetzt wie eine Handgranate den Leib des Potentaten: das setzt im Fall des Gelingens gewaltige Mengen Glückshormone frei.

Da aber eine solche Gefahr nicht wirklich dabei war, hatte dieses verschwörerische Partisanentum wohl schon in den Sechzigern einen leicht faden Beigeschmack; und wie viel mehr erst, seit die Sozialdemokratie sich an der Macht befand, um sie niemals wieder abzugeben; denn nach der Ära Brandt konnten auch Christdemokraten in der Substanz nur noch sozialdemokratisch handeln.

Das Kabarett hat einen Zwillingsbruder

Als letztes Bollwerk der schwarzen Mächte, wo das Kabarett das nötige feindliche Spannungsfeld zu finden schien, hielt sich geraume Zeit noch Bayern mit der unbezahlbaren Feindfigur des Franz Josef Strauß; schließlich schmolz die freie Wildbahn auf die Stadt Passau und Umgebung zusammen, wo sich die letzten echten Schwarzkittel hielten. Hier wurde noch einmal in einer Art Hegegatter zur Jagd auf sie geblasen. Auch das Passauer Kabarett soll inzwischen bemerkenswert schwach geworden sein.

Dass es immer noch so gefährlich wie gefährdet sei, ist die unentbehrliche Lebenslüge des Kabaretts, dem es sein Fortwesen seit Jahrzehnten verdankt. In Wahrheit haben sich die Positionen der Gegner von einst inzwischen angeglichen, ja geradezu vertauscht. Darin gleicht das Kabarett seinem Zwillingsbruder, dem Karneval. Auch aus diesem ist längst der alte, ursprüngliche Geist der Anarchie entwichen; aber behauptet wird er noch immer, wenn mittelständische Faschingsprinzen Oberbürgermeistern auf Prunksitzungen lustige Orden umhängen, mit Tusch. Der Narr hat seinen Sinn nur als Rebell; und der Machthabende, der sich als Rebell verkleidet, ist ein besonders widriger Anblick.

Beim alljährlichen Starkbieranstich auf dem Nockherberg müssen die Politiker auch bei der schalsten Pointe, die auf ihre Kosten gemacht wird, klatschen und ein Grinsen faken, denn alles andere würde ihnen von der Kamera, die draufhält, als Humorlosigkeit und Mangel an Souveränität ausgelegt. Anders als in solcher angsterfüllten Heuchelei trauen sie sich die Zähne nicht mehr zu zeigen. Nicht einmal die unvergessene Monika Hohlmeier gibt es mehr, die immerhin, nachdem sie persifliert worden war und ein arglistiger Reporter sie nach ihrer Reaktion fragte, aus ihrem Herzen keine Mördergrube machte und trotzig wie ein gekränktes Kind rief: Derbleckt bin i worn!, den Tränen nahe.

So etwas passiert keinem von denen mehr. Das sollen die mächtigen Feinde sein? Ministerialbürokraten sind es, die sich bloß von der vorsätzlichen Verkennung als bedrohliche Widersacher missdeuten lassen; Sandsäcke, die höchstens ein bisschen hin- und herbaumeln, aber niemals zurückschlagen. Kein Wort drängt sich bei den heutigen Darbietungen des Kabaretts so sehr auf wie: Geschenkt!

Auf der dritten Seite lesen Sie, ob es noch einen Lichtblick für das Kabarett gibt.

Kein Tsunami, sondern eine Westerwelle

Besonders intelligent war das Kabarett zwar nie; es hatte methodisch nie eine andere Wahl als die gedankenarme Personalisierung. In seinen Blütezeiten aber machte es das durch Kampfesmut wett. Den benötigt es heute wahrlich nicht mehr. Wer in jüngster Zeit einem Münchner Kabarett-Abend beiwohnte, konnte erleben, wie die kleinere und größere Politik zwei Stunden lang in der Kategorie der zu entlarvenden Dummheit verhandelt wurde.

Das Kabarett gedachte sich über die verzweifelte Verwechselbarkeit der karikierten Figuren hinwegzuhelfen, indem es diese Dummheit als den verborgenen gemeinsamen Nenner von Phänomenen, die sonst recht verschieden waren, ans Licht brachte. Aber wenn man gar zu genussvoll die Dummheit der anderen verhöhnt, wird man selber dumm.

Zum Schluss stimmten die Akteure auf der Bühne den Kanon an "Dumm zu sein bedarf es wenig, und wer dumm ist, der ist König"; und das Publikum fiel nur allzu gerne ein. Der Saal war erfüllt von einer selbstzufriedenen Einhelligkeit, die den wahren Gegenwert der zwanzig Euro Eintrittsgeld darzustellen schien. Der Ausklang geriet zur wunderbaren Prunksitzung. Wenn man zu einem Kanon schunkeln könnte, hätte dieses Publikum es getan. Hat es gemerkt, wie sehr es an diesem Abend selber König war? Wohl kaum.

Da wackeln die Alpen

Da das Kabarett nun einmal zäh die Illusion festhält, es begehre von unten her gegen die Mächtigen auf, stand an diesem wie wohl an sämtlichen bayerischen Kabarett-Abenden die Figur des Ministerpräsidenten im Zentrum der Bemühungen. Zu fassen bekamen sie ihn so wenig wie den FDP-Chef und Bundesaußenminister, der mit seinen Angriffen auf den Sozialstaat für Unruhe gesorgt hatte.

Das war schon dem Bruder Barnabas mit seiner Predigt auf dem Nockherberg nicht gelungen; und hätte nicht Charlotte Knobloch sich seiner erbarmt und aus ihren Mitteln einen gewaltigen Löffel von der Sahne der Empörung hinzugegeben, wäre die trockene Kläglichkeit dieses Kuchens offenkundig geworden.

Gibt es also gar keinen Lichtblick fürs Kabarett? Doch, einen kleinen. Ihn lieferte niemand anders als Seehofer selbst bei seiner Aschermittwochsrede. Auch er kommentierte die Ausfälle des FDP-Chefs: Da wackeln die Alpen, da schäumt der Chiemsee - doch nur keine Nervosität, meine Damen und Herren, das war kein Tsunami, sondern bloß eine Westerwelle! Für einen Augenblick lebte das Kabarett da wieder auf wie zu seinen besten, den gefährlichen Zeiten. Denn im Gegensatz zu seinen Profi-Kollegen riskierte Seehofer etwas, ein besonders kostbares Gut sogar: den Koalitionsfrieden.

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