Poetik des Liedes:Nah am Herzen

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Dirk von Petersdorff schreibt gern gereimte Gedichte, die man leicht vertonen könnte. Jetzt analysiert er "Die Bar zum Krokodil" und andere Lieder.

Von Burkhard Müller

Dirk von Petersdorff gehört zu jener Minderheit zeitgenössischer deutscher Lyriker, die gerne zu Strophe, Metrum und Reim greifen. Diese traditionellen Mittel haben ja durchaus ihre Vorzüge; solche Gedichte gehen leichter ins Ohr und ins Gedächtnis als freie Verse, und man kann ein Übriges tun und sie vertonen. Dann ist ihnen der Sprung ins Lied gelungen.

Es überrascht daher nicht, dass von Petersdorff sich mit der Poetik des Liedes beschäftigt: In diese Richtung geht die Sehnsucht seines eigenen Schaffens. "Was ist ein Lied?", fragt er in einem einleitenden Kapitel. Und gibt darauf, obwohl er drei verschiedene Definitionen aus dem "Handbuch der literarischen Gattungen" anführt, keine Antwort, aus der sich ersehen ließe, mit welchem Begriff davon er arbeiten will. Über die spezifische Wechselwirkung von Sprache und Musik macht er sich wenig Gedanken und landet stattdessen gleich bei den Einzelfällen.

Bei Eichendorffs "Es war als hätt' der Himmel" lautet der Befund: "Das Lied gibt keine Gewissheit, sondern sagt: Denkt über Gewissheit nach, sucht nach ihr, empfindet sie in bestimmten Momenten!" Zu Heine fällt ihm ein: "Menschen können sich im Herzen ganz nahe sein, und wenn sie sich gegenüberstehen, empfinden sie auch Fremdheit." Zu den Comedian Harmonists (die auch den Titel des Buchs liefern dürfen: "In der Bar zum Krokodil"): "Man erkennt daran: Liedtexte nutzen Veränderungen der gesellschaftlichen Umwelt, um neues Material zu gewinnen." Zu Udo Lindenberg: "Wenn er in witziger Weise die Freiheitseinschränkungen in der DDR erwähnt ('du ziehst dir doch heimlich auch gerne mal die Lederjacke an / und schließt dich ein auf'm Klo und hörst West-Radio'), dann benennt er damit gleichzeitig ein ernstes politisches Problem. (. . .) Songs übergreifen eben nicht nur Zeiten, sondern auch Räume." Zu Judith Holofernes: "Welches Problem steckt dahinter? Der Song stellt die Frage, ob man eine feste Zweierbeziehung so führen kann, dass daraus keine Einschränkung der innerlichen Beweglichkeit hervorgeht."

Man kann Dirk von Petersdorff in der Behandlung seines Themas nicht einmal akademische Trockenheit vorwerfen. Was er liefert, gehorcht vielmehr den Konventionen der gymnasialen Gedicht-Interpretation, einschließlich der beliebten Frage: Was will uns der Dichter damit sagen? Bei einem Autor, der etliche Bände Lyrik und Prosa veröffentlicht, promoviert wurde und sich habilitiert hat, steht man doch einigermaßen verblüfft vor so viel Unbedarftheit.

Dirk von Petersdorff: In der Bar zum Krokodil. Lieder und Songs als Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 114 S., 14,90 Euro. E-Book 11,99 Euro.

© SZ vom 11.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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