Plattenkabinett:Wenn nur der Fußball nicht wäre

Herbert Grönemeyer

Kitsch ist gleich Kunst: Schmerzensmann Herbert Grönemeyer schafft auf seinem neuen Album fast Unmögliches.

(Foto: dpa)

Herbert Grönemeyer verrennt sich hingebungsvoll und ein bisschen peinlich mit einer Hymne auf die deutsche Weltmeister-Elf. Trotzdem: Im goldenen Käfig glänzt keiner wie der größte deutsche Popstar.

Von Sebastian Gierke

Ein Problem erfolgreicher Musiker ist der goldene Käfig, in den die Fans sie sperren. Die Fans wollen nur noch die alten Hits, die alten Gefühle. In diesem Käfig gehen viele Künstler zu Grunde; manche bringt das obsessive Verhältnis zwischen sich und den Hörern dazu, nichts mehr zu produzieren. Sie befreien sich durch Schweigen aus dem Sklavendienst an die Welt, wie es Susan Sontag einmal beschrieben hat. Herbert Grönemeyer, dessen Verhältnis zu den Fans durchaus obsessiv ist, schweigt nicht - und wird trotzdem nicht zu seiner eigenen Parodie. Wie etwa Campino, Westernhagen oder Lindenberg. Das Überraschende daran: Grönemeyer gelingt das, ohne aus seinem Käfig auszubrechen.

Auf seinem neuen Album "Dauernd jetzt" erfindet sich Grönemeyer, der wahrscheinlich größte Popstar, den Deutschland im Moment hat, nicht neu. Sein Produzent Alex Silva, Ehemann von Nina Hoss, verpackt seine Songs in einen zeitgemäßen internationalen Sound. Im Grundsatz bleibt Grönemeyer sich aber treu. Deutschrock, Ballade, Ballade, Deutschrock... Es geht um Liebe, Fußball, Deutschland, Gerechtigkeit.

Man kann das langweilig finden, aber übel nehmen kann man es ihm nicht. Weil Grönemeyer, der Schmerzensmann, der einzige deutsche Soulsänger, etwas fast Unmögliches schafft: Er verbindet die theatralische Übertreibung, die schweren, tragödienhaft gesteigerten Popgesten, die er so gut wie nie parodistisch bricht, mit Bodenständigkeit. Zwischen Kunst und Kitsch gibt es dann keinen Unterschied mehr.

Diesen Sänger lieben so viele auch deshalb, weil er sich immer wieder hingebungsvoll verrennt. So wie in "Der Löw", eine Hymne auf den WM-Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft in Brasilien. "Und ee-heendlich hat es gereicht. Es fiel der viiierte Stern", singt Grönemeyer. "Der Löw war los, sie waren grannn-dioos. Und endlich wars iiiiihre Zei-heit." Es ist ein Song, den man aus der Euphorie des Augenblicks, wie sie Fußballfan Grönemeyer nach dem 7:1 gegen Brasilien und dem gewonnen Finale gefühlt haben mag, erklären kann. In all seinem Pathos und der fehlenden Leichtigkeit misslingt der Song allerdings.

Anders: "Unser Land", ein grüblerisches Liebeslied an Deutschland. Grönemeyer vertritt in dem Lied seine Meinung, versinkt aber nicht in Nationalismen, sondern schafft es in vier Minuten, seine Gefühle zu erklären, ohne den Zuhörern zu ersparen, was an der Liebe so kompliziert ist. "Die Tühh-hücke", die liege nämlich "im Detai-hiiel".

Der deutsche Soulsänger, der bei aller Nuschelei, all den merkwürdig betonten, herausgespuckten Konsonanten, Sehnsucht in seiner Stimme transportiert, spricht vielen hierzulande aus der Seele. Das ist sein größtes Talent, das er mit seinem neuen Album wieder beweist. Grönemeyer fühlt sich wohl in seinem goldenen Käfig - und ist dabei ganz hübsch anzuhören.

Das Album hört man am besten auf dem Weg ... vom Stadion nach Hause.

Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es ... ein Mats-Hummels-Trikot.

Wenn das Album eine Süßigkeit wäre, dann wäre es ... Wackelpudding mit Waldmeister-Geschmack.

TV on the Radio - "Seeds"

"Rain comes down like it always does / This time I've got seeds on ground." Diese Zeile singt Tunde Adebimpe insgesamt acht Mal. Es ist eine Zeile aus "Seeds", dem besten Song des neuen, gleichnamigen "TV on the Radio"-Albums. Und sie erklärt schon sehr viel.

2011 ist Bassist Gerard Smith an Lungenkrebs verstorben. Lange war danach unsicher, ob die New Yorker Band, von der einige Mitglieder mittlerweile an der Westküste der USA leben, überhaupt weiter macht, noch einmal ein Album aufnimmt. Jetzt ist "Seeds" erschienen und herausgekommen ist das zugänglichste, vielleicht auch optimistischste der Bandgeschichte.

TV on the Radio waren, seit ihrem Debütalbum von 2004, ein Versprechen. Das Versprechen, nichts weniger als die aufregendste Band der Welt zu werden. Die Essenz der afroamerikanischen Popgeschichte, das gesamte Poperbe aufgenommen, verarbeitet und recycled - zu etwas unbegreifbar Schönem. Jeder Song gründete in der Dunkelheit, begann dort mit einem Pochen, einem Drängen zum Licht. Ein künstlerischer Prozess wurde so ausgestellt, die Lieder waren immer auch die Dokumentation eines Bemühens um Erkenntnis, hielten eine Position des Übergangs zwischen den musikalischen Welten. Nervöse Experimente zwischen Soul und Funk und Gospel und Postpunk. Eine Herausforderung.

Doch was TV on the Radio jetzt machen, ist radikal anders. Nicht mehr die Verdrehtheit bildet das Zentrum, nicht mehr die Verschrobenheit. Die Band vereinfacht, reduziert ihre Musik und findet sich plötzlich im Mainstream wieder. Die Verrücktheiten haben sie sich erhalten, stehen aber nicht mehr im Mittelpunkt. Sie werden eingestreut, im Hintergrund verhandelt. Subkutan scheint es durch, das surreale, tiefe Gewimmer, wird jedoch immer von konventionellen Songstrukturen eingegrenzt. TV on the Radio haben ihren Sound unverschämt gründlich aufpoliert. Die Melancholie ist nicht verschwunden, doch an der Oberfläche funkeln und glitzern die Songs. Das klingt luxuriös, teuer, auch risikoloser. Nicht mehr so hektisch. Eine Hymne nach der anderen. Pop. Dance-Rock. Pur und eingänglich.

TV on the Radio finden zu einer Einfachheit, die das ständige Weiter, die ständige Verfeinerung durch die elementare Erfahrungen der Euphorie ersetzt. Das gefällt nicht allen Fans. Es wird der Band aber viele neue Fans bringen.

Das Album hört man am besten auf dem Weg ... von einer Party nach Hause.

Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wären es ... teure schwarze Sneakers.

Wenn das Album eine Süßigkeit wäre, dann wären es ... Lakritz-Bonbons.

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Bryan Ferry - Avonmore

69 Jahre ist Bryan Ferry mittlerweile alt. Auf dem Cover seines neuen Albums Avonmore sind diese Jahre nicht zu finden. Der Bryan Ferry, der dort auf dem alten Foto zu sehen ist, ist mehr als 30 Jahre jünger.

"Avonmore" hätte Ferry auch als Mittdreißiger aufnehmen können. Es klingt wie damals, als er 1982 das letzte Album mit Roxy Music eingespielt hat. Softes Piano, smarter, erwachsener, eleganter Softpop. Ferry, der 15 Alben als Solokünstler veröffentlichte und sich für "Avonmore" fast vier Jahre Zeit gelassen hat, verändert seine Musik kaum. Wirft aber auch keinen Blick zurück, will an keiner Stelle retro sein. Das Album ist völlig zeitlos. So jenseits aller Verortung, wie die Musik damals war, so klingt sie auch heute. Als wären die vergangenen Jahrzehnte Popmusik einfach nicht passiert. Den Songs verleiht das Dauer, Gültigkeit.

Ferry hat das Album mit vielen berühmten Kollegen aufgenommen. Mit Todd Terje, Nile Rodgers, Johnny Marr, Flea, Ronnie Spector, Mark Knopfler und Maceo Parker. Keiner von ihnen scheint durch, nur Rodgers' funky Rhythmus-Gitarren fallen hin und wieder auf. Ansonsten buttert Ferrys samtene, coole Crooner-Stimme die verschiedenen Einflüsse und Stile einfach unter. Der Sound, glamourös, glänzend poliert, vielschichtig - aus einem Guss.

Trotzdem kommt das Album nicht ran an Ferrys Meisterwerke aus den 1980ern, an "Boys and Girls" oder "Bête Noire". Seine nonchalante Stilsicherheit, dieses genau richtige Mischverhältnis von Opulenz und Understatement, die besitzt Ferry immer noch. Doch es fehlt die Brillanz von damals.

Das Album hört man am besten auf dem Weg ... vom Sonntags-Museums-Besuch nach Hause.

Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es ... ein Maßanzug.

Wenn das Album eine Süßigkeit wäre, dann wäre es ... "After Eight".

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