Plattenkabinett:Was, wenn ich niemals zusammenbreche?

Surreale Musik, stylisch auf der Bühne: Sänger Paul Banks von Interpol.

Vergleiche zu Joy Division drängen sich auf: Interpols Musik ist dunkel und obskur.

(Foto: Getty Images)

Das Jahresende hält Erfrischendes und Rätselhaftes bereit. Allen voran die Post-Punker von Interpol, aber CHLLNGR und das Submotion Orchestra müssen sich so was von überhaupt nicht verstecken.

Von Bernd Graff

Um einen ersten Eindruck vom obskuren, gleichwohl drängenden Beat der New Yorker Post-Punk-Band "Interpol" zu bekommen, sei das von Mr. Charlie White 2010 gedrehte Schwarz-Weiß-Video des Songs "Lights" (von der LP "Interpol") ebenso dringend wie wärmstens ans Herz gelegt.

Es beginnt mit einem Insert, weißer Schrift auf schwarzem Grund. Darin heißt es: "Tief in den inneren Kammern eines dreihörnigen Rhinozeros-Käfers (Chalcosoma caucasus) beginnt gerade das Ritual einer eng bewachten Pheromon-Ernte". Solche Sätze und die dann folgenden Videobilder erinnern an Matthew Barneys "Cremaster"-Videos, Arthouse-Filme, in denen es auch nie um das geht, was gerade angekündigt wird: hier zum Beispiel.

So auch bei Interpol: Man sieht eigentümlich angestrichene Damen, die irgendwas schnupfen, eine andere, irgendwie betäubte Dame erst rasieren, um ihr dann was zu spritzen und sie dann anzukleiden. Danach geht es dieser Dame in Schwarz auf schwarzem Grund irgendwie schlecht - oder es passiert außerhalb des Bildes irgendwas Obszönes. Jedenfalls passt das Lied kaum zu den Bildern, im Text finden sich aber immerhin die bemerkenswerten Zeilen: "All that I fear, don't turn away / And leave me to plead / In this hole of a place / What if I never break?"

Vorbildlich gekleidet

Songtitel wie: "Stella was a Diver and she was always down" tun ihr Übriges. Damit sind wir beim aktuellen Rätsel: Das neueste Album der Band heißt: "Turn on the Bright Lights (Tenth Anniversary Edition)", es enthält remasterte Versionen des gleichnamigen Debüt-Albums. Allein, dieses Album ist 2002 erstmals erschienen, die Band hat sich 1997 gegründet. Wo, zur Hölle, ist da ein zehnjähriges Jubiläum?

Gut, dafür sind die Herren wenigstens immer vorbildlich gekleidet! Auf der Bühne herrscht immer bester Nebel. Und an das immer zahlreicher werdende Publikum wird schon mal überhaupt gar kein Wort gerichtet. Denn die Herren sind schon mit den Strokes und - obwohl sie es abwehren, zu Recht - mit Joy Division verglichen worden.

Dunkel, surreal, stylish, das beschreibt es ganz gut. So kann man mit "Turn on the Bright Lights" ja mal anfangen - und irgendwie passt dieser David-Lynch-Stil auch gut zum Jahresende 2014. Wer also noch nicht von Interpol ausgesucht wurde, hier kann man sie noch einmal finden.

  • Wenn dieses Album eine Baum wäre ... dann eine Nordmanntanne.
  • Wenn dieses Album eine Tageszeit wäre ... dann der Mittagsschlaf.
  • Wenn dieses Album ein Geschmack wäre ... dann Cremaster.

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"Form of Release" von CHLLNGR

Dieser junge Mann hier wurde einer etwas größeren Öffentlichkeit vor fast fünf Jahren bekannt, weil er "Islands" von THE XX remixte. CHLLNGR (alles in Großbuchstaben und ohne Vokale) nennt er sich, sein Remix ist hier.

Damals wurde auch klar, dass Dubsteb die elitären Zirkel Südlondons verlassen hatte und schon bis nach Kopenhagen gedrungen war. Da kommt der junge Mann nämlich her. Im wirklichen Leben heißt er Steven Borth, nach seinem zwiespältig aufgenommenen Debüt-Album "Haven" ist das hier jetzt sein zweites: "Form Of Release".

Die reine Dubstep-Lehre - bis auf "Inside my Skin" vielleicht - ist das jetzt nicht mehr. Dafür sorgen emsige Zubringer wie Blaqstarr, Grace Hall, die mit Nick Turco zur Formation "Skin Town" gehört, und JOSIAHWISE IS THE SERPENTWITHFEET. (Heißt wirklich so, wird auch so geschrieben, wird aber einer weiteren Karriere wohl abträglich sein, wollte der Künstler immer mit vollem Namen genannt oder ausgeschrieben sein.) Hier eine Kostprobe von CHLLNGR bei Youtube.

Der Zweitling ist insgesamt poppiger, vor allem in den Stücken mit Gesang, da kann man sogar mitunter fast von Wärme sprechen, etwa "First Time", das Dels mitsingt. Fast aus der Rolle fällt "Yes" mit der erfrischenden Grace Hall.

Steven Borth ist auf dem Weg, soviel ist sicher, auf welchem, weiß er wohl aber selber noch nicht.

  • Wenn dieses Album eine Baum wäre ... dann eine Birke im Wind.
  • Wenn dieses Album eine Tageszeit wäre ... dann kurz nach dem Frühstück.
  • Wenn dieses Album ein Geschmack wäre ... dann Zimt.

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"Alium" von Submotion Orchestra

Submotion Orchestra sind sieben äußerst musikalische Personen aus Leeds, die 2009 zusammen gefunden haben. Auch sie haben am Dubstep-Topf genippt, in den hier allerdings eine Prise Soul, Ambient und Jazz gerührt war. Hier ihre Youtube-Künstler-Seite. Das ist jazzig, dabei äußerst melodisch, harmonisch, sehr orchestral und befeuert vom Blech der Trompete, aber auch der (weibliche) Gesang kann sich unbedingt hören lassen.

Tatsächlich warten Fans von Submotion Orchestra nach den Erstlingen "Fragments" und "Finest Hour" bereits gespannt auf "Alium", das insgesamt klassischer, ausgearbeiteter, getragener und ruhiger geworden ist, weniger innovativ und aufbruchsfreudig vielleicht als die Vorläufer. Das muss der guten Sache aber überhaupt keinen Abbruch tun. Im Gegenteil: Der Track "Bring Back the Wolf" etwa klingt wie ein Spross von Fever Ray und Till Brönner.

Nach allem, was man hört, muss Submotion Orchestra ein absolutes Highlight auf jedem Festival darstellen. Das glaubt man sofort. "Rust" allerdings sollte man besser alleine hören, nachts im Auto etwa. "The Hounds" dann klingt aber wie Sherlock Holmes auf dem Weg nach Baskerville. Da dräut was, man weiß aber nicht was. Insgesamt: Eine sehr gelungene Arbeit, in die man sich versenken kann, aber gar nicht muss. Sehr schön.

  • Wenn dieses Album eine Baum wäre ... dann eine Blutbuche mit frischen Blättern.
  • Wenn dieses Album eine Tageszeit wäre ... dann kurz vor dem Zubettgehen.
  • Wenn dieses Album ein Geschmack wäre ... dann prickelndes Tonic.

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