Plattenkabinett:Schinken für das Würstchen

Reinhold Beckmann.

Reinhold Beckmann ganz verträumt mit Gitarrenkoffer.

(Foto: Universal/oh)

Reinhold Beckmann hat eine Midlife-Crisis und weidet sich an schlüpfrigen Erinnerungen. This Void verstehen etwas von eingängigen Hooks und Foster The People lassen "Pumped Up Kicks" vergessen. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Thierry Backes

Reinhold Beckmann macht jetzt Musik.

Atmen Sie ruhig weiter, alles wird gut.

Haben Sie sich erholt? Dann nochmal von vorne:

Reinhold Beckmann macht jetzt Musik. Richtig, das ist der TV-Moderator, bei dem Sie am späten Donnerstagabend entweder a) regelmäßig eindösen. Oder b) nach spätestens zwanzig Minuten ausschalten, weil er sich so offensiv an seine Gäste heranrobbt, dass Sie vor lauter Fremdscham Pickel bekommen. Es ist in der Tat nicht einfach, die Fernsehfigur Beckmann zu mögen, aber es wäre auch unfair, dem Musiker Beckmann keine Chance zu geben. Mit der Talkerei hört er bekanntlich Ende des Jahres auf, spätestens dann wird er sich wohl verstärkt auf seine Gitarre konzentrieren.

"Bei allem sowieso vielleicht" haben Beckmann & Band ihr erstes Album getauft, es enthält zwölf Songs zwischen Bar-Jazz und Bossa Nova. Der Rock, den Beckmanns Lederjacke auf dem Cover und der Name Celentano in einem Songtitel versprechen, sucht man indes vergeblich. Beckmann gibt vielmehr den altersweisen Liedermacher, er singt zu gefälligen Melodien auf Deutsch, klingt dabei manchmal einen Tick zu weinerlich und manchmal gekünstelt, aber irgendwie auch ganz okay. Wer an einem verregneten Sonntagmorgen die Zeitung am Frühstückstisch durchblättert, kann diese Platte schon einlegen.

Allerdings darf man dann nicht genau hinhören. Was enttäuscht, ist nämlich nicht, wie Reinhold Beckmann singt, sondern was er singt. Nun sollte man von einem Journalisten, der sich nun mal an Fakten orientiert, nicht erwarten, dass er nebenberuflich Poet ist. Aber ein Beckmann weiß sehr wohl, was ein Klischee ist. Warum also bedient er sich an derart abgegrasten Bildern? In "Das Beste" etwa soll ihm ein Therapeut durch eine Midlife-Crisis helfen, indem er rät: "Geh mal ins Kloster! Zu Fuß durch El Salvador! Mach Ayurveda! Schreib mal 'ne Oper! Oder sing im Kirchenchor!"

Hat die Welt schon mal gehört, nicht wahr? So ungefähr 1000 Mal. Nicht viel besser sieht es in "Bremen" aus. Im Norden nichts Neues, könnte man schreiben - also, wenn man Beckmann hieße:

"Weißt du noch, die eine Nacht?/ Da war'n wir so betrunken/ Du hast meinen Käfer vollgekotzt/ Und deine Hand auf meinem Knie/ Ich konnte kaum noch lenken/ Die Polizei hat reingeglotzt/ In deinen Ausschnitt reingeglotzt."

Apropos Ausschnitt. Reinhold Beckmann widmet einer Wurstverkäuferin namens "Charlotte" ein eigenes Stück, darin nennt er sie "Du mein Schnitzel/ Meine Liebe /Du mein Leben." Doch schon vorher fragt man sich, ob er das wirklich ernst meint, ob das noch in die Kategorie Ironie fällt - und ob man die schlüpfrigen Erinnerungen eines notgeilen Teenagers wirklich hören möchte:

"Für die ersten Abenteuer meiner kleinen Welt/ Hab' ich mich ganz geduldig angestellt/ Selbst noch ein Würstchen, war ich schon dabei/ Damals bei Charlotte in der Metzgerei/ Was ist ein Schinken neben deinem Dekolleté/ Wenn ich dich tief gebeugt im Aufschnitt wühlen seh'."

Was sonst noch zu sagen wäre? Ach, vielleicht das: Bei Amazon tobt seit vergangener Woche ein bizarrer Krieg über die Bewertung von "Bei allem sowieso vielleicht". Die einen Rezensenten würden die Platte am liebsten sofort wieder einstampfen, die anderen loben sie in den Himmel. Die Frage ist allerdings, wer die vielen Fünf-Sterne-Besprechungen geschrieben hat. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat in seinem Blog auf die merkwürdige Lobhudelei hingewiesen - und seine Leser offenbar inspiriert. Denn seitdem finden sich eine Reihe von Rezensionen im Netz, die "in bester Tradition eines unterschätzten literarischen Genres verfasst [sind]: der, nun ja, grandios irren Amazon-Rezension." Eine davon liest sich fast so, als hätte Reinhold Beckmann sie selbst geschrieben:

"Ich kann das oben angegebene Produkt $article_name vorbehaltlos empfehlen. Als ich $article_medium endlich erwerben konnte, war ich mehr als positiv überrascht. Ich werde auch in Zukunft $article_name immer wieder konsumieren und habe gleich noch einmal zugegriffen, da auch der Preis $article_price für das Produkt $article_name sehr gut ist. (...)"

Wer dieses Album kauft, kauft auch: "Zu viel Information" von Annett Louisan (kein Scherz).

Dieses Album hört man am besten: zu später Stunde in einer Bremer Hafenkneipe.

Wenn dieses Album eine Sportart wäre, wäre es: Kegeln. Oder Golf.

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This Void - Crystals

Jess war weit vorne, wenn es um irgendwas mit Musik oder Technik ging. Er war 2004 unser Austauschstudent von der University of Cincinnati, lief schon damals mit dicken Kopfhörern herum und klappte ständig sein iBook auf. Irgendwann drückte er mir eine lilafarbene imation-CD in die Hand, darauf hatte er das Debüt-Album von Zykos gebrannt, einer jungen Indierock-Band aus Austin, Texas. Nun muss man Zykos nicht kennen, es gibt sie wohl längst nicht mehr (auch wenn die Myspace-Seite noch existiert). Doch sie stehen nach wie vor in der Sammlung zwischen Franz Ferdinand und Mando Diao. Nun haben sie einen neuen Nachbarn im Regal, eine junge Band aus, äh, Jever, Friesland: This Void.

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Die alten Schulfreunde, die gerade ihr zweites Album "Crystals" veröffentlicht haben, sind musikalisch ein gutes Stück von den eben Genannten entfernt. Sie orientieren sich eher am "Two Door Cinemas Club" und haben sich weniger dem Rock als vielmehr dem Indiepop verschrieben. Indiepop, das klingt gefährlich nach Mainstream-Radio, und wenn dort irgendwann Songs wie "Forever" laufen, sollte einen das nicht wundern; die Melodien auf "Crystals" sind enorm catchy, und es ist auch kein Geheimnis, dass sich die Jungs von den Radio NRJs dieser Welt gerne umschmeicheln lassen.

So richtig angekommen ist das Quintett in der deutschen Popwelt aber noch nicht. Sei's drum: This Void gefällt als dynamische Band mit frischen Ideen, die etwas von eingängigen Hooks versteht, vor allem aber weiß, wie sie Gitarren abwechslungsreich einsetzt und wie treibend Hi-Hats sein können. Das sind übrigens die musikalischen Parallelen zu Zykos. Apropos: Jess, ich hätte da was für dich.

Wenn dieses Album kauft, kauft auch: T-Shirts mit weitem V-Ausschnitt bei H&M.

Dieses Album hört man am besten: beim Staubsaugen.

Wenn dieses Album eine Sportart wäre, wäre es: Speedminton.

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Foster The People - Supermodel

Tja! Was macht eine Band, die mit einem Ohrwurm wie "Pumped Up Kicks" bekannt wurde? Mit einem Hit also, der im Sommer 2010 so lange rauf und runtergenudelt wurde bis ihn wirklich keiner mehr hören wollte? Die Frage ist meist obsolet: Eine Band wie Foster The People landet meist (und meist zu Recht) in der Schublade One-Hit-Wonder, sie muss bis ans Ende ihrer Existenz Konzerte geben, bei der die Stimmung so naja ist - bis irgendwann die ersten Töne ihres einen Überhits ertönen.

Was also blieb Foster The People nach mehr zwei Millionen verkaufter Alben und neun Millionen verkaufter Singles übrig? Richtig: Was anderes machen. Das haben die Kalifornier nun versucht. "Supermodel" beginnt zwar mit vielen "nananas" und einem Stück, das ganz gut auf ein Vampire-Weekend-Album passen würde ("Are You What You Want To Be?"), geht aber recht bald andere Wege als sein Vorgänger "Torches". "Pseudologia Fantastica" etwa klingt mit seiner Mischung aus verzerrten Gitarren und verspieltem Gefrickel in etwa so, wie MGMT klingen würden, wenn die nicht so abgedreht, sondern irgendwie hörbar wären.

Foster The People experimentieren tatsächlich viel auf ihrem zweiten Album, und das ist hier mal als Lob zu verstehen. "Best Friend" etwa ist eine reine Disco-Pop-Nummer, "A Beginner's Guide To Destroying The Moon" kommt mit wütendem Sprechgesang um die Ecke. Und Mark Fosters Gesang in "The Truth" ist so intensiv und schmerzvoll, dass man als Hörer mitleidet, bis Foster von einem hoffnungsfrohen Chor und einer weniger traurigen Botschaft überstimmt wird: "There is a hope for the hopeless/ I can promise you that."

Wir fassen zusammen: Wenn eine Band mit ihrer Hit-Vergangenheit brechen und künstlerisch ernst genommen werden will, dann muss sie das so machen wie Foster The Peolpe. "Supermodel" ist nicht nur ein kapitalismuskritisches, sondern allgemein ein sehr schönes, abwechslungsreiches Album geworden.

Wenn dieses Album kauft, kauft auch: Kapuzenpullis mit psychedelischen Mustern.

Dieses Album hört man am besten: mit Kopfhörern.

Wenn dieses Album eine Sportart wäre, wäre es: Beachvolleyball.

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Unten finden Sie Platten, die in dieser Rubrik kürzlich besprochen wurden.

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