Plattenkabinett:Revolution ist unmöglich, aber ...

Die Mitglieder der Band Trümmer

Kommen ohne Zynismus aus: Die Trümmer.

(Foto: Band)

Wer heute scheitert, schämt sich in unserer Selbstoptimierungswelt für sich selbst, statt die Umstände zu hinterfragen. Die jungen Hamburger von der Band Trümmer wissen das - und scheitern deswegen auf wunderbare Art und Weise.

Von Sebastian Gierke

Ja ja, schon klar, das mit der Revolution, das ist nicht so einfach. Philosophie-Professor Byung-Chul Han hat das in einem viel diskutierten Gastbeitrag für die SZ gerade wieder einmal sehr schön hergeleitet.

Han schreibt über die Freiheit, die uns, die jeden zu einem Unternehmer seiner selbst macht. "Jeder ist Herr und Knecht in einer Person." Auch der Klassenkampf verwandele sich in einen inneren Kampf mit sich selbst. Und wer heute scheitere, der beschuldige sich selbst. Schäme sich.

Paul Pötsch hat das verstanden. Er singt: "If you want to fight the system, you have to fight yourself". Und Pötsch schämt sich nicht fürs Scheitern. Der Sänger, Gitarrist und Songschreiber bildet zusammen mit Bassist Tammo Kasper und Schlagzeuger Max Fenski seit 2012 die Hamburger Diskursrock-Band Trümmer.

Hysterieüberschuss

Jetzt haben die drei ihr erstes Album veröffentlicht. Und scheitern auf wunderbare Art und Weise. Völlig zu Recht werden Trümmer mit Tocotronic, Blumfeld und Die Sterne verglichen. Der Bandname ist sogar eine Referenz an Die Sterne. Die sangen in den Neunzigern: "Wir hatten Sex in den Trümmern, wir träumten. Wir fanden uns ganz schön bedeutend."

Doch die drei genannten Bands haben mit ihren Debüt-Alben "Digital ist besser" (Tocotronic,1995), "Ich-Maschine" (Blumfeld, 1992) und "Wichtig" (Die Sterne, 1993) Klassiker geschaffen. Das wird Trümmer mit ihrem selbstbetitelten Erstling nicht gelingen.

Auch in 10 Jahren wird das Album kein Klassiker sein. Nicht, weil es das nicht verdient hätte, sondern weil heute keine Klassiker mehr geschaffen werden. Revolution is impossible. Und trotzdem gibt Pötsch einem in einigen Momenten den Glauben zurück. An eine andere Zukunft. Mit viel Hysterieüberschuss. Hibbelig, schrammelig, rumpelig und dennoch druckvoll, so klingen die Songs. Punk, Pop, Rock.

"Komplett normal zu sein, das ist doch wirklich geisteskrank"

Und dazu die Parolen. "Wo ist die Euphorie?". Oder: "Vor uns liegt immer noch mehr als hinter uns". "Unsere Lügen sind wahrer als das, was Ihr uns auftischt". Pötsch droht: "Wir verlassen die gemäßigten Zonen."

Ironie? Klar. Muss. Aber Trümmer kommen völlig ohne Zynismus aus. Und Antworten haben Trümmer auch keine. Manchmal klingt es etwas jugendlich naiv nach: Wir gegen die. Doch in dieser Naivität liegt eine Kraft, in der Sehnsucht, dem Pathos, das manchmal sogar an Joy Division erinnert, darin steckt die Ahnung von einem anderen Leben, einem Leben, in dem sich niemand fürs Scheitern schämen muss.

Pötsch klagt eine Welt ohne Pathos an, eine Welt, welche die beste Zukunft für die hält, die uns erspart bleibt. Er klagt die Lethargie an. Die ständige Selbstoptimierung. In dieser Welt singt Pötsch selbstbewusst: "Lieber ein offenes Ende als ein Leben ohne Sinn." Und: "Komplett normal zu sein, das ist doch wirklich geisteskrank." Trümmer entstehen gerade erst. Sie sind noch auf der Suche nach Antworten, hoffentlich dauert das noch eine Weile. Und Revolutionen finden nicht statt, um etwas zu verändern, sondern weil sich bereits etwas verändert hat.

Wenn das Album ein Getränk wäre, dann wäre es Bier.

Wo man das Album auf keinen Fall hören sollte: beim Joggen.

Wäre das Album Teil eines Hauses, es wäre am ehesten eine verlotterte, mit Büchern und Platten gefüllte Schreibstube.

Falls Sie das Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Sinkane - Mean Love

Ahmed Abdullahi Gallab stammt aus dem Sudan, lebt aber seit seinem fünften Lebensjahr in New York. Im Schmelztiegel. Der Multiinstrumentalist war als Schlagzeuger mit Of Montreal und Caribou unterwegs, trommelte für die Yeasayer im Studio. Er mag Michael Jackson, Bob Marley und ganz sicher auch Fela Kuti, Curtis Mayfield und Brian Eno.

Sinkane nennt sich der sudanesisch-amerikanische Musiker, der mit "Mean Love" sein zweites Album hierzulande veröffentlicht. Auf ihm bringt er wieder alle möglichen Genres kunstvoll zusammen. Seele und Geist, kurz Soul, das ist die Voraussetzung dafür, dass ihn ein Genre interessiert. Und Soul, das findet er im Reggae, im Afrobeat, in Funk, R&B, Jazz, im Glam Rock, psychedelischen Gitarren und in Country-Music. So ziemlich überall.

Pop passt auf sich auf

Eine Pedal-Steel-Gitarre? Selbst die passt. Musikalische Grenzen kennt Sinkane nicht. Weiß codierte Elemente in schwarz codierter Musik? Solche Trennungen spielen für Sinkane keine Rolle. Er nutzt universalistisches Pop-Wissen, schöpft daraus, rekombiniert disparate Elemente, verbindet sie durch seine wandlungsreiche, falsetthafte Stimme und erschafft so Musik, die nicht durch die Last der Bezüge und Zitate schwer und ungenießbar wird, sondern entspannt swingt.

Darin ist eine große Kraft zu spüren, eine Gleichzeitigkeit von Anspannung und Entspannung. Mean Love ist direkt, zeugt von großem kompositorischem Talent. Wer hat da noch Angst um den Pop? Pop, das zeigt Sinkane, Pop passt auf sich auf. Pop, das ist ein dynamischer Prozess.

Wenn das Album ein Getränk wäre, dann wäre es ein starker, fruchtiger Cocktail.

Wo man das Album auf keinen Fall hören sollte: im Bett.

Wäre das Album Teil eines Hauses, es wäre am ehesten die grün überwucherte Terrasse.

Falls Sie das Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Tricky - Adrian Thaws

Und noch so einer, der kraft seines musikalischen Genies Genres einschmelzen kann und aus dem so gewonnenen Grundstoff etwas Eigenes erschafft. Tricky ist, im Vergleich zu Sinkane, allerdings bereits sehr lange dabei.

Seit drei Jahrzehnten macht der Trip-Hop-Pionier Musik, wurde als Teil von Massive Attack zum Weltstar, etablierte den "Bristol Sound" auf der Weltkarte des Pop. "Adrian Thaws" ist sein elftes Studioalbum. Der Name führt dabei in die Irre. Denn mit Adrian Thaws, seinem bürgerlichen Namen, hat Tricky sein wohl bislang unpersönlichstes Album aufgenommen.

In Statements dazu hat Tricky genuschelt: "Ihr kennt mich nicht! Ich wachse ständig." Schon klar. Aber gar nicht wichtig. Wichtiger ist, dass Tricky sich und seine Probleme für dieses Album offenbar etwas besser in den Griff bekommen hat. Keine selbstzerstörerische Introspektion mehr, langweiliges Problemewälzen, keine Aggressionen nach außen und - laut Selbstauskunft - weniger Marihuana. Adrian Thaws wurde so zum fokussiertesten, konzentriertesten Tricky-Album seit langer Zeit - ohne die Vergangenheit auszusperren. Der Hip-Hop-Track "Gangster Chronicles" beinhaltete zum Beispiel ein Sample aus Massive Attacks berühmtem Track "Unfinished Sympathy".

Lange Gästeliste

Die Atmosphäre ist dabei Tricky-typisch: dunkel, elegant, brüchig, verführerisch, manchmal klaustrophobisch. Unter diesen sonischen Überbau passen clubtaugliche House Tracks ("Nicotine Love") genauso wie Hip-Hop ("Why Dont You", "Gangster Cronicles"), elektronische Experimente mit politischem Anliegen ("My Palastine Girl"), verzichtbarer Zeitlupen-Reggae ("Silly Games") und natürlich Trip-Hop, mal sanft ("Sun Down"), mal relaxt-bluesig und trocken ("Keep Me In Your Shake").

Die Gästeliste ist lang: sieben verschiedene Rapper, Sängerinnen, Sänger, Produzenten und Musiker hat er sich ins Studio geholt: Francesca Belmonte, Nneka, Mykki Blanco, Bella Gotti, Tirzah, Blue Daisy und Oh Land. Tricky schafft es, diese verschiedenen Persönlichkeiten, deren Eigenständigkeit, seinen Vorstellungen untertan zu machen - ohne sie auszulöschen.

Nach einigen enttäuschenden Alben ist der damit wieder da, setzt wieder Impulse. Tricky hat die monotone Ruhelosigkeit der vergangenen Jahre wieder in Produktivität verwandelt.

Wenn das Album ein Getränk wäre, dann wäre es ein Jahrgangs-Portwein.

Wo man das Album auf keinen Fall hören sollte: auf einer Kreuzfahrt.

Wäre das Album ein Teil eines Hauses, es wäre am ehesten der alte Heizungskeller.

Falls Sie den Song nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

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