Plattenkabinett:Jack Johnson, du Geschirrspüler

2013 Bonnaroo Music & Arts Festival - Day 1

Jack Johnson und sein Zahnpastalächeln, unzertrennlich.

(Foto: AFP)

Warum Jack Johnson nicht auszuhalten ist und trotzdem die Welt retten könnte, wie die arroganten Kings of Leon zur größten Band der Welt werden - und warum bei den Chvrches Glück und Melancholie so nahe beieinander liegen. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Sebastian Gierke

Eigentlich ist das Leben ja zu kurz für eine Meinung zu Jack Johnson. Aber er ist einfach zu penetrant, um ihn komplett zu ignorieren. Wie Sonne in der Wüste.

Jack Johnson hat gerade verraten, dass er gerne spült. Geschirr spült. Eine total nachvollziehbare Erweiterung des Jack Johnson ins Materielle. Passt so perfekt zu ihm, wie zu James Bond Luxusautos mit Raketen-Arsenal.

Jack Johnson, der ewige Zahnpastalächler. Jack Johnson, der Songwriter, Sänger, Produzent, Labelchef, Filmemacher, Umweltretter, Surfer. Jack Johnson der spülende Saubermann, der auch noch bei der nervendsten, langweiligsten, geistlosesten, ödesten Tätigkeit unter dieser unserer Sonne Spaß hat.

Als was sich der Hawaiianer sieht: Als einer, der Musik macht, die der Freiheitsliebe reinster Ausdruck ist, Musik als Triumph des Unbeschwerten - aber natürlich mit Tiefgang. Und so trällert und klimpert und pfeift er seit über einem Jahrzehnt mit beachtlichem Erfolg vor sich hin.

Das aktuelle Album "From Here To Now To You" bringt da nichts Neues. Die ersten Sekunden der Platte: Johnson pfeift, Johnson klimpert. Gar nichts Neues. Das ist immer noch so unerträglich Dur, so perfekte-Welle-mäßig, so tiefenentspannt, so... einfach nicht auszuhalten.

Kann man selbst von einem Gute-Laune-Spüler nicht irgendwann mehr als dieses hellblaue musikalische Nichts, dieses interesselose Mittelmaß, diese banal-nachdenkliche Glückstotalität verlangen? Nur ein klitzekleines bisschen mehr Peer Steinbrück? Natürlich nicht. Die Frage an sich verbietet sich, schon klar.

Aber vielleicht hat das ja auch was Gutes! Zum Beispiel für alle, die die richtige Musik zum Geschirrspülen suchen. Und möglicherweise ist die Musik Jack Johnsons sogar subversiv. Vielleicht macht sie die Menschen ja zu dümmlichen, seehundähnlichen Wesen, die nichts wollen, außer den ganzen Tag am Strand rumzuliegen, statt ständig - ihrer Natur gehorchend - etwas zu unternehmen, zu planen, voranzubringen - und damit ein Unglück nach dem anderen auszulösen. Jack Johnson, Geschirrspüler und Weltenretter.

  • Wenn das Album in Deutschland wählen könnte, es würde Angela Merkel wählen.
  • Wenn das Album ein Möbel wäre, es wäre eine Katzen-Plüsch-Hängematte.
  • Wenn das Album ein Schuh wäre, dann wäre es ein gelber Croc.

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Kings of Leon - "Mechanical Bull"

Sie fliegen im Privatjet, Millionen auf dem Konto. Auf einem Festival mit dutzenden anderen Bands lassen sie sich schon mal die Hälfte der Toiletten reservieren, behandeln die anderen Bands, als wären sie Luft. Einer der Bodyguards soll sogar Desinfektions-Spray dabei haben, falls ein Bandmitglied doch jemandem die Hand geben muss. Und weil ein paar Tauben über einer Bühne irgendwo in Missouri ihr Geschäft verrichteten, haben sie das Konzert abgebrochen.

Die Brüder Caleb, Nathan und Jared sowie Cosin Matthew sind divenhafte Rockstars. Der Followill Familienclan aus Nashville, Tennessee: arrogante Säcke. Spricht das gegen sie? Ganz im Gegenteil.

'Kings of Leon'

Die Kings of Leon sind Matthew, Nathan, Jared und Caleb Followill (von links nach rechts).

(Foto: dpa)

Mit whiskeygetränkten Bärten und ruppigem Americana-Punk sind sie als stolze Südstaaten-Weirdos bekannt geworden. Sänger Caleb unterdrückte anfangs noch seinen Redneck-Akzent, aus Unsicherheit. Aus dieser Unsicherheit entwickelte die Band kreative Energie. Die weltweite Rockgemeinschaft fühlte sich durch die Außenseiter herausgefordert - und widmete sich ihnen fortan mit großem Interesse.

Das ist lange vorbei. Die Kings of Leon sind längst größer als der Rock, haben den Blues schon seit mindestens drei Alben gegen die ganz großen Hymnen, die Rockstar-Attitüde, gegen phallusträchtige "Wir sind die Größten"-Riffs eingetauscht. Stadien sind ihr zu Hause. Die Kings of Leon arbeiten an der Optimierung von alten Modellen popmusikalischer Emotionserzeugung.

Mit ihrem sechsten Album "Mechanical Bull", das fast genau eine Dekade nach dem ersten erscheint, bewegen sie sich dabei wieder ein bisschen zurück zu ihren Ursprüngen. Die Band klingt wieder etwas staubiger, sogar die Queens of the Stone Age sind deutlich durchzuhören ("Don´t Matter"). Das ist immer noch sehr radiotauglich, aber etwas weniger glatt, das ist immer noch Breitwand, aber der Bass ist wieder dreckiger, das Schlagzeug scheppernder, das ist immer noch eingängig, aber der Gesang ist wieder etwas sägender. Die Kings of Leon besinnen sich auf elementare Formen musikalischen Miteinanders. Mit dem Blues hat alles angefangen, mit dem Blues wird es irgendwann wieder enden. In der Zwischenzeit ist dieses Album ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die größte Band des Planeten zu werden.

  • Wenn das Album in Deutschland wählen könnte, es würde Winfried Kretschmann wählen.
  • Wenn das Album ein Möbel wäre, es wäre ein auf alt gemachtes Ledersofa, so groß, dass es in keine bezahlbare Wohnung passt.
  • Wenn das Album ein Schuh wäre, dann wäre es, klar, ein Hipster-Cowboystiefel.

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Chvrches - "The Bones Of What You Believe"

Der Name hat nichts mit Kirche oder Religion zu tun. "Chvrches." Klingt einfach cool. Und mit dem "V" statt dem "U" sieht's auch noch cool aus. Ein bisschen prätentiös ist das. Und sagt damit auch schon eine ganze Menge über die schottische Band aus, die von der BBC zu Beginn des Jahres zu einer der meistversprechenden des Jahres gewählt worden war.

Mit ihrem Debüt-Album "The Bones Of What You Believe" werden die Chvrches den Vorschusslorbeeren gerecht. Wenn auch nur knapp. Ihr catchy Elektro-Pop ist nichts außer schillernder Oberfläche. Doch wie immer im Pop liegt da, im Schein, auf der Oberfläche, auch schon das Ganze - und deshalb erleben die Chvrches gerade auch einen veritablen Hype.

chvrches

Chvrches, das sind Iain Cook, Lauren Mayberry und Martin Doherty (von links nach rechts).

(Foto: Pressebild)

Fast übertrieben klischeehaft verwenden sie immer die richtigen Sounds: Genau die richtige HiHat für exakt dieses Keyboard, genau die passende Bassdrum zum Syntheziser. Opulent und bombastisch klingen die meisten Songs, einige wenige dagegen fast steril. Manchmal funkelndes Glitzern, manchmal schwelende Glut. Dazu die klassisch schöne Stimme von Lauren Mayberry. In guten Momenten ("The Mother We Share", "Lies") kommen die Songs einem Gefühl von wohliger Ekstase ziemlich nahe, einem Punkt, an dem Glücksempfinden und Melancholie nahe beieinander liegen. In weniger guten ("We Sink", "Night Sky") kann man die Chvrches immer noch ganz gut beim Spülen hören.

  • Wenn das Album in Deutschland wählen könnte, würde es nicht wählen.
  • Wenn das Album ein Möbel wäre, es wäre eine extrem gut erhaltene Designerlampe aus den 80ern.
  • Wenn das Album ein Schuh wäre, dann wäre es ein perfekt nachgemachter Manolo Blahnik Pump.

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