Plattenkabinett:Heult doch, Pearl Jam!

Pearl Jam 2013

Das Karohemd sitzt, fertig für ein bisschen traurigen Rock: Eddie Vedder und seine Band Pearl Jam enttäuschen auf ihrem zehnten Studioalbum.

(Foto: Universal)

Eddie Vedder und Kollegen schlingern in Richtung Truckstop-Romantik, Nachwuchs-Robbie-Williams John Newman setzt komplett auf schmalziges Liebesgedöns und Poliça versöhnen den Hörer mit entrückt verfremdeter Stimme. Neue Alben im Plattenkabinett, der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Jonas Beckenkamp

Das Dumme an Grunge ist ja, dass diese Musikrichtung irgendwann einfach futsch war. Dabei hatte alles so gut begonnen: Nirvana fingen mit ihrem Geschrammel jene verlorenen Seelen auf, die weit vor allen Williamsburg- und Mitte-Hipstern schon Holzfällerhemden trugen und ein bisschen weltvergessen rumgammelten. Das Album "Nevermind" war die Hörbibel, Cobain der Prediger und die hübschesten Mädchen der Klasse ihre zopfkauenden Jünger. Als Nirvana sich auflösten, sollte Eddie Vedder mit seiner Rockkapelle Pearl Jam die Kohlen aus dem Höllenfeuer holen. Die Band kam schließlich auch aus Seattle.

Blöd nur, dass ihre Musik dann in eine völlig andere Richtung schlingerte: Mitten in die Gefilde des phallusträchtigen Erektionsrock nämlich. Ja richtig, jene Spielart des Großbühnengeklampfes, dessen fürchterlichstes Aushängeschild bis heute der singende Friseur Jon Bon Jovi ist. Und jetzt? Kommen Pearl Jam mit ihrer zehnten Platte um die Ecke gejault und nichts hat sich geändert. Das kann man nun irre toll finden und sich denken: Heidewitzka, die sind sich treu geblieben - oder man besinnt sich darauf, was hier wirklich vorgeführt wird: triefender, leiernder Jammersound, also genau das, was Nick Hornby in seinem Pop-Roman High Fidelity einst so treffend als "sad bastard music" beschrieb.

Aufregendes passiert auf "Lightning Bolt" wahrlich nicht, vielmehr verwalten Vedder & Co. ihren Status als schwermütige Stadionrocker. Nichts als ein bisschen Schmachtgedudel hier ("Sleeping by myself") und ein wenig Truckstop-Romantik da ("Let the records play"). Erlösung bringt nur die Tatsache, dass nach 50 quälenden Minuten und der erschlafften Country-Nummer "Future Days" bei den alten Herren offenbar das Viagra alle ist. Möge die Zukunft anders klingen als dieses Werk.

Wem schenken? Am besten niemandem.

Wenn dieses Album ein Fußballer wäre, wäre es: Christian Wörns.

So müsste das Album eigentlich heißen: Heult doch alle!

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

John Newman - Tribute

Da ist also dieser Typ mit den Pausbäckchen und der Streifenhörnchen-Tolle. Und dann ist da dieses betörend hübsche Mädchen aus dem Video zu seiner Hitsingle "Love me again". Die Story geht so: John Newman musiziert mit seiner Band auf einer dieser Swing-Parties, wie sie in London derzeit very trendy sind. Während der gut frisierte Sänger seine Hymne schmettert, lernt die Schöne eine Art britischen Matthias Schweighöfer kennen und brennt mit ihm durch. Dass die Sache kein gutes Ende nimmt, ist dann auch schon wumpe, denn: Hier geht es nur um die Kraft des Augenblicks!

Newman röhrt den Refrain "Iiiiiiii wannnaaa knooooow nooooow, if you love me agaiiiiin", als gäbe es kein Morgen, als kulminiere dieses ganze Liebesgedöns in diesem einen magischen Moment: Boy meets girl, großes Drama, now or never! Schon klar, wir haben's verstanden. Ganz schön kitschig. Aber auf eine Guilty-Pleasure-Art auch irgendwie mitreißend. Das Problem von Newmans Debütplatte ist nur, dass alle Songs auf den gleichen Pop-Höhepunkt abzielen. Unter einer satten Ladung Pathos macht es der gute John eben nicht - höret und schmachtet! Dieses Motto bekommt der Plattenkonsument mit jedem Akkord dieses überproduzierten Albums um die Ohren geprügelt.

Textproben gefällig? "Please don't stop looooooooving meeeee" ("Losing sleep"), "Whoever said love was eeeeeeeeeaaasyyyyyyy" (nun ja, "Easy") oder "I keep, keeeeep runniiiiiiing" ("Running"). Das alles unterlegt von Streichern, Gospelchören und melodiösen Piano-Hooks, versteht sich. So dick trägt normalerweise nicht mal Robbie Williams auf. Und genau hier versteckt sich der entscheidende Haken: Wo Robbie den Frauen einfach augenzwinkernd auf den Arsch klappst, erzählt Langweiler Newman ständig was von großer Liebe und schenkt zum Valentinstag die neue Kuschelrock-CD von der Bravo.

Wem schenken? Kuschelrock-Aficionados.

Wenn dieses Album ein Fußballer wäre, wäre es: Paul Gascoigne, ausnahmsweise im Liebesrausch.

So müsste das Album eigentlich heißen: John's Schmalz-Boutique.

Falls Sie diese Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Poliça - Shulamith

Wir müssen kurz über Auto-Tune reden. Das ist dieser Stimmenverfremder, der bei R'n'B-Barden inflationär dazu führt, dass alles nach Mickey Mouse klingt. Was mit dem Tonhöheneffekt noch so alles möglich ist, führte die amerikanische Sängerin Channy Leaneagh bereits 2012 auf dem Poliça-Debüt "Give you the Ghost" vor. Exemplarisch stand damals der Indie-Hit "Lay your cards out" für einen ausgesprochen ohrenverträglichen Umgang mit Auto-Tune. Und auch diesmal verwendet Leaneagh die Technologie wieder als Kunstgriff, um ihren Songs etwas Verstörendes, Düsteres einzuhauchen.

Umgarnt wird ihr entrückter Gesang von sphärischen Synthesizersounds, die auf "Shulamith" aber nie ins Billige abdriften. Vielmehr gelingt es, dass trotz aller thematischen Dunkelheit der Stücke ordentlich Wumms in die ganze Sache kommt. Schon zum Auftakt trägt einen "Chain my name" mit verspielter Verträumtheit in Richtung Tanzfläche, dort kann man dann zu "Smug" auch gleich bleiben, obschon mit angezogener Handbremse - aber das ist derzeit in den Clubs eh angesagt.

Es folgen hochinteressante Ausflüge in die Old-School-Schatzkammer des Trip-Hop (Portishead anyone?) wie bei "Very cruel" oder die fast schon sonnigen Blubbernummern "Trippin" sowie "I Need $". So liefern Poliça ein überraschend geradliniges Gesamtkunstwerk ab. Spaß macht diese Platte vor allem deswegen, weil hier so wunderbar viel passiert, ohne dass der Faden verloren geht. Und seinen Frieden mit Auto-Tune kann man ganz nebenbei auch noch schließen.

Wem schenken? Me, you and everyone we know.

Wenn dieses Album ein Fußballer wäre, wäre es: Toni Kroos, wenn der nicht Pur hören würde, sondern Geschmack hätte.

So müsste das Album eigentlich heißen: Give you the most.

Poliça hören? Hier geht's lang. Unten finden Sie nun alle Platten, die in dieser Rubrik bisher besprochen wurden. Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: