Plattenkabinett:Gott ist mit den Verrückten

Liam Finn

Liam Finns "The Nihilist" ist wirr, hat aber Potential.

Menschen wirken manchmal wirr, wenn sie extrem kreativ sind. Wir haben hier die frischesten Kreativen des Wonnemonats zusammengetragen. Doch nach Liam Finn, Then Thickens und Tune Yards (aka: Merrill Garbus) sind Sie nicht reif für die Anstalt, sondern einfach nur - begeistert. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Bernd Graff

Wir haben es schon einmal gesagt, wir können uns also nur wiederholen: Das Gras ist grüner in Neuseeland. Hier sprießen auf einmal die Talente. Lorde war es vor etwa einem halben Jahr, nun kommt Liam Finn.

Der Mann ist zeitlebens der Sohn von Neil Finn, dem Frontmann der australischen Band Crowded House. In der Gegend um Down Under ist man also eine Berühmtheit, Gevatter Finn spielt etwa auf, wenn irgendwo auf dem fünften Kontinent mal wieder ein Hobbit-Film-Premiere hat. Söhnchen Liam war von klein auf dabei. Nun macht der 30-Jährige aber auch schon seit geraumer Zeit Musik, man sah ihn schon als begleitenden Akt von Pearl Jam, Wilco und den Black Keys.

Aber immer wird Liam auf den Vater angesprochen. Und das geht dem Spross allmählich auf den Wecker. "Mal ehrlich", hat er dem Guardian gestanden, "die meisten Leute unter Dreißig kennen ihn vermutlich gar nicht mehr. Aber bis ich selber zwei Grammys gewonnen haben werde, müssen mich Journalisten immer auf ihn ansprechen." Kein Wunder also, dass der Rausschmeißer des Albums: "Wrestle With Dad" getitelt wurde.

Das mit den Grammys für Liam ist dann so ganz unwahrscheinlich nicht. Also: nicht, dass er erst zwei gewinnen muss, sondern, dass er überhaupt einen gewinnt. Sein neues Album "The Nihilist" hat ein sehr, sehr wirres Potential dazu. Überhaupt ist an Liam Finn etwas sehr Wirres, Catweazleshaftes. Nur, dass dieser nicht mit wirrem Blick zu wirrem Haupthaar "Salmei, Dalmei, Adomei", den Zauberspruch aus dem 11. Jahrhundert, säuselt, sondern zu sehr eingängigen Melodien meist irgendetwas Unterbewusstes, Albtraumhaftes wie "Wachtmeister, bitte geben Sie mir eine Chance, entfernen Sie die Handschellen, ich habe doch niemals jemandem etwas getan."

Wenn man sich einen Eindruck von der süßlichen Verstörung machen will, die "The Nihilist" durchgehend zueigen ist, dann werfe man mal einen Blick auf das Video "Snug as Fuck", das eine Jubiläumsfeier zeigt, auf der unbedingt Kuchen in Rattenform aufgetischt und in die Gesichter der Gäste geschmiert werden müssen, das aber zu konterkarierend verharmlosender Musik. Diese Party, der wirre Blick Liams - das ist starker Tobak, man will wegschauen. Und kann irgendwie nicht. Genau so ergeht es den Gehörgängen beim Album "The Nihilist". Anhören!

Wenn diese Platte von Karl Moik für den "Musikantenstadl" anmoderiert werden müsste, dann würde dieser sagen: "Hier ist er, unser positivster Mutant! Bitte jetzt mal nicht schunkeln!"

Wenn diese Platte ein Kleidungsstück wäre, das in den Koffer für den Wochenendtrip käme, dann wäre es: eine Jogginghose für die Relax-Phase.

Wem sollte man diese Platte besser nicht empfehlen? Seinem Therapeuten.

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Then Thickens - "Death Cap At Anglezarke"

Haben Sie sich nicht auch schon oft gefragt, warum nach der Auflösung der Talking Heads keiner in die Lücke gesprungen ist? Man müsste es ja nicht genau so ironisch-intellektuell verrätselt machen wie David Byrns Truppe in den 70er, 80er Jahren, aber eine zeitgemäß drückend rockige, auch melodiöse Narretei-Band mit der Schlagkraft der Talking Heads von damals wäre doch auch heute noch möglich, oder?

Ja, ist sie auch. Irgendwie seelenverwandt zeigen sich Then Thickens, eine britische Formation um John Lee-Martin, den früheren Frontmann der jetzt leider verstummten Energielieferanten von Kong. Sicherlich ist das Debütalbum "Death Cap At Anglezarke" beim Label Hatch Records noch kein bis in die letzte Faser durchgestalteter Meilenstein in der Musikgeschichte, aber den verlangt ja auch erstmal keiner. Lee-Martin beschreibt den nach Kong tatsächlich überraschenden Grunge-Sound seiner insgesamt sechsköpfigen Neu-Formation als dem einer Underground-Version von Fleetwood Mac ähnlich, allerdings ohne deren Big Band, Effekte und ohne Koks. Slacker Rock will er ihn genannt wissen. Und er hat Anleihen bei gutem Pop, wird dann auch mal härter, aber immer plausibel, erinnert dann an die Queens of the Stone Age, wenn sie am melodiösesten sind.

Um den Zeh mal in diesen See zu stecken, sollte ein kurzes Anspielen von "Heaven Won`t Wait" oder "Wasp in Your Mouth" reichen. Man kann sich aber auch das etwas durchgeknallte Video zu "Tiny Legs" zu Gemüte führen. Die Then Thickens wird man ab da auf dem Schirm haben müssen. Und das ist richtig gut so!

Wenn diese Platte von Karl Moik für den "Musikantenstadl" anmoderiert werden müsste, dann würde dieser sagen: "Hier ist ein Kessel Buntes, der nicht in die falschen Hände geraten darf. Bitte jetzt mal nicht schunkeln!"

Wenn diese Platte ein Kleidungsstück wäre, das in den Koffer für den Wochenendtrip käme, dann wäre es: das T-Shirt vom letzten Nirvana-Konzert.

Wem sollte man diese Platte besser nicht empfehlen? Einem Kong-Fan.

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Tune Yards - "Nikki Nack"

Heute bleiben wir bei den Verrückten: "Nikki Nack" ist das dritte Album von Tune Yards, die aber nur eine Person sind: die britische Autodidaktin und Vollblutmusikerin Merrill Garbus.

Sie macht alles selber, früher hatte sie lediglich ein Digital-Aufnahmegerät zur Verfügung. Damit nahm sie Spur für Spur sehr lo-fi auf und assemblierte sich so einen unverwechselbaren Code, der von einem sich niemals wiederholenden Drum-Rhythmus befeuert wird. Ihr niemals synthetisch klingender Wechselgesang wirkt mal wie Frage und Antwort, mal wie These und Gegenthese, mal wie Stimme und Echo. Das war insgesamt schon ziemlich brillant, aber für Hörer auch anstrengend.

Das neue Album "Nikki Nack" ist wieder komplett von ihr eingespielt. Der Sound, ihre unverwechselbare Stimme gehen ins Ohr, aber als melodiös möchte man keinen der Tracks bezeichnen. Am leichtesten zu verdauen ist wohl das hypernervöse "Water Fountain". Dass die Künstlerin, die sich gerne mal einen Strich über die Nase malt, vom eigenen Schaffen auch selber ganz schön erschöpft sein kann, hat sie in einem Interview mit Fact bestätigt: "Die vierte Woche Arbeit am neuen Album war: Oh, mein Gott! Ich kann das nicht mehr."

Doch sie ist Perfektionistin, schafft ein Album weg, wie man seine Arbeit eben diszipliniert erledigt. Offen gestanden, das merkt man dem Album auch an. Es bleibt - so irre und sperrig es sich an manchen Stellen anhört - im Gehörgang festsitzen. Das haut man nicht einfach mal so schnell weg. Eine harte Nuss also, aber lohnenswert, sich damit auseinanderzusetzen.

Wenn diese Platte von Karl Moik für den "Musikantenstadl" anmoderiert werden müsste, dann würde dieser sagen: "Jahahaha, sie malt sich einen Strich auf die Nase! Bitte jetzt mal nicht schunkeln!"

Wenn diese Platte ein Kleidungsstück wäre, das in den Koffer für den Wochenendtrip käme, dann wäre es: die Federboa für den Regentanz.

Wem sollte man diese Platte besser nicht empfehlen? Einem Fan von Windows-Rechnern.

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Hier finden Sie Platten, die in dieser Rubrik kürzlich besprochen wurden.

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