Plattenkabinett:Ein Schiff mit guter Ladung

American singer-songwriter John Mayer performs during NBC's 'Today' show summer concert series in Midtown, New York

Der amerikanische Sänger John Mayer liefert mit "Paradise Valley" solide Sommer-Arbeit ab.

(Foto: REUTERS)

Travis sind wieder da, John Mayer zeigt seinen Sinn für Humor und Volcano Choir sind DIE Entdeckung der Woche. Neue CDs im "Plattenkabinett", der neuen Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Bernd Graff

John Mayer gehört zu den Leuten, die eben noch etwas ankündigen, und das nächste, was man mitbekommt, ist, dass er das alles schon umgesetzt hat. So gibt es auf seiner brandneuen LP einen Song, den er gemeinsam mit Katy Perry eingespielt hat. Dazu muss man wissen, dass Katy Perry erstens seine aktuelle Freundin ist und dass der Song zweitens "Who you love" (Wen du liebst) heißt. Und jetzt Achtung und Wham! Während diese unglaublichen Zeilen hier verfasst werden, erreicht uns die Nachricht, dass John Mayer um die Hand seiner Freundin Katy Perry angehalten hat - und abgeblitzt ist. Sie hat einfach: NEIN, NIENTE, NO WAY gesagt, es sei noch zu früh. Irrtum Katy, ist nicht zu früh.

John Mayer, der mal während des Crossroads Festivals 2008 gesagt hat, dass er jede Note, die an diesem Tag aus seiner Gitarre komme, B.B. King widme, ist ein ganz ausgereiftes Bürschchen, mit einer sehr prägnanten Stimme, er kann was an der Gitarre und hat ordentlich Sinn für Humor. So hat er eine Ausspielung aus dem neuen Album "Paradise Valley", das Lied Paper Doll, zu einem Video verdichtet, in dem ausgerechnet Joanna Rohrback, eine 61-Jährige aus Florida, ihre an Pferdebewegungen orientierte Freiluft-Aerobic vorführen darf. Das ist spektakulär!

John Mayer "Paper Doll"

John Mayer "Paper Doll" Musik-Video mit Joanna Rohrback, dem prancercise guru

(Foto: John Mayer)

Ansonsten ist dieses sechste Album von John Mayer eine gute, solide Sommer-Arbeit, am besten ist Mayer an der Gitarre, aber seine fast heitere, timbrevolle Stimme kann überzeugen, sogar bei dem J. J. Cale-Cover: Call Me The Breeze.

  • Wenn das Album eine Reise wäre, führte sie ... zu Katy Perry
  • Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es ... ein "Sonoma - Raffia Straw Cowboy Hat" (bitte googeln)
  • Für das Party-Gespräch: Drei pseudointellektuelle Begriffe, die das Album umschreiben: 1. Ehrerbietend entschleunigt, 2. Gefühlvoll geschichtsbewusst, 3. Bestens ausgewogen.

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Travis "Where you Stand"

Diese Herren sind ja nun auch schon etwas älter, gereifter und sie sind vom Leben auch schon geschüttelt worden. Jedenfalls hatte man längere Zeit, genau genommen fünf Jahre, nichts von ihnen gehört, was man aber bei dieser Britpop-Band, die quasi die Ur-Britpop-Band, ja die Mutter aller Britpop-Bands in den 90er Jahren war, auch schon gewöhnt war.

Denn nach ihrem Wahnsinnsalbum "The Man Who", es war erst ihr zweites und wurde von Rolling Stone auf Platz 200 der besten Alben aller Zeiten gesetzt, baute sich die Band nach und nach musikalisch um, wurde Festival-Band und ließ manchmal jahrelang albummäßig nichts Neues von sich hören. Die größte Pause gab es zwischen 2004 und 2007, aber auch danach blieb es relativ ruhig. Bis zum März 2013, da erschient - hier muss man: "out of the green" sagen - ein Video zu einem Track, der die neue LP: "Where You Stand" ankündigte. Da erschien ein bewusst stümperhaft bebildertes Travis-Lied: Another Guy, das entweder ruhende oder ausdruckslose Travis-Musiker in einer Green-Box, im Kino oder im Auto zeigte.

Travis war also wieder da: Man muss vielleicht noch einmal daran erinnern, dass der Bandname von einer Figur aus einem Wim Wenders-Film herrührt, der Titel ihres Hammer-Albums "The Man Who" ist ein verkürzter Buchtitel des Neurologen Oliver Sacks. Ihr größter Hit war: "Why does it always rain on me". Das ist intellektuelle Melancholie pur. So etwas wie Donald Duck im Popgeschäft. Nun sind diese Ducks wieder da. Ihr neues Album ist klar erkennbar Travis. Große Überraschungen? Fehlanzeige. Dafür gute alter Rhythmus, etwa sehr elaboriert in "Moving", sehr tanzbar dann "Reminder", der Titelsong gemahnt an Ducksche Fehlschläge. Aber all das ist so fein travisgesäuselt, dass man die muntere Tristesse dieser schottischen Intellektuellen auf der Zunge zu spüren glaubt. Mein Favorit auf der Platte ist: "Mother" ... nein, doch "Moving"

  • Wenn das Album eine Reise wäre, führte sie ... zum Mittelpunkt der Erde
  • Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es ... der "Skull Crystal Crown Ring" von Alexander McQueen (bitte googeln)
  • Für das Party-Gespräch: Drei pseudointellektuelle Begriffe, die das Album umschreiben: 1. Entschieden melancholisch, 2. Verständnisvoll Emo, aber nicht zu sehr. 3. Radikal sich selbst verpflichtet - was angesichts der eigenen Bedeutung aber gerechtfertigt ist.

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Volcano Choir "Repave"

Jetzt ist die Zeit, gutem, nein bestem Bombast zu huldigen! Sehr rhythmisch-melodischem, sehr, sehr stimmendominiertem und insgesamt berührendem Musik-Gewoge. Wir hören jetzt alle mal Volcano Choir: "Repave!"

Es ist, vor allem für Menschen, die noch nie dieser Band aus Wisconsin ausgesetzt waren, eine Erfahrung der anfassenden, Gänsehaut erzeugenden Art.

Da gibt es Pauken, Klaviere und, nur ein wenig, Elektronik und Accoustic-Gitarren zu sehr getragenen Melodien voller Fernweh und Sehnsucht. Vor allem aber gibt es wunderbare Stimme von Justin Vernon (von Bon Iver). Er klingt sogar machmal wie der Bariton von "National"-Sänger Matt Berninger.

"Repave" ist erst das zweite Album dieser Formation, aber es ist ... ungeheuer erwachsen und erfahrungssatt. Auch wenn Vernons mit seinem unverkennbaren Falsett die meisten Tracks dominiert, gibt es bassbetonte Stücke, die fast schon bedrohlich wirken. "Alaskans" ist säuselnde Verführung, "Comrade" ist so einfach und klar, fast ein Shanty, dass man sofort und unbedingt jetzt an einem fernen Meeresstrand sitzen möchte, um einem Schiff mit guter Ladung bei der Einfahrt in den Hafen zuschauen zu können.

"Repave" ist also unbedingt der Rede wert. Bitte, ihr Volcanos, hört nach eurem Ausbruch nie, nie mehr auf. Ihr weckt Wehmut und Ahnung vom besseren Leben. Irgendwann singt ihr ja sogar selber: "Take note, there`s still a hole in your heart!" - wie es in "Dancepak" heißt.

  • Wenn das Album eine Reise wäre, führte sie ... bis zum Orion und darüber hinaus oder auf eine sanfte Woge des Pazifischen Ozeans.
  • Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es ... "Men's Black Sanded Shark Boots" von Lucchese (bitte googeln)
  • Für das Party-Gespräch: Drei pseudointellektuelle Begriffe, die das Album umschreiben: 1. Tadellos rhythmisch, 2. Als ob der junge Bob Dylan alten Brecht singen würde. 3. Altersgerecht für jedes Alter.

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