Plattenkabinett:Avril und Céline kapieren es einfach nicht

Avril Lavigne

Avril Lavigne präsentierte vor wenigen Wochen ihr neues Album in New York

(Foto: Sony Music)

Wieso Avril Lavignes durchkommerzialisierter Feminismus heute noch weniger funktioniert als vor zehn Jahren. Wie Céline Dion auf gruselig-klebrige Art und Weise Markus Lanz retten wird. Und warum es sich lohnt, das Soulgenie Donny Hathaway noch einmal zu entdecken. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Sebastian Gierke

Avril Lavigne

Nein, für wirkliche weibliche Dissidenz stand Avril Lavigne beim allerbesten Willen noch nie. Trotzdem hat sie eine bemerkenswerte Karriere hinter sich. 2002 tauchte Lavigne mit "Complicated" auf der Popbühne auf, als punkig zurechtgemachtes Skater-Girl. Die damals 16-Jährige spielte rebellisch - und gegen den Rat der Plattenfirma - die Anti-Britney, und wurde so zum Idol für viele Jugendliche, vor allem für Mädchen. Für sie war Lavigne eine um Autonomie ringende Künstlerin, die einen Abwehrkampf gegen all die gut gemeinten Ratschläge und Unterstellungen führte.

Kommerzialisierter Feminismus wurde das genannt. Es hätte schlimmer sein können. Tatsächlich hat sich Lavigne im Popbusiness, in dem der angeschlossene Image- und Lebensstilapparat einen großen Teil der Außenwirkung ausmacht, lange einen emanzipatorischen Kern bewahrt. Sie war ein Beispiel dafür, wie manchmal falsche Konstruktionen echte Gefühle produzieren können.

Doch in den vergangenen Jahren hat sich viel verändert. Aus dem Versprechen der Popkultur, alles sei möglich, wurde der Zwang zu unbegrenzten Möglichkeiten. Noch in der schlichtesten Handyreklame ist das spürbar. Das aktuelle selbstbetitelte Album von Avril Lavigne zeigt: Sie hat nicht das Zeug dazu, dieser Falle zu entgehen. Hatte es nie. Mit keinem ihrer vier Folge-Alben konnte sie an den Erfolg ihres Debüts "Let Go" anknüpfen. Lavigne hat sich in den vergangenen zehn Jahren kein bisschen weiterentwickelt. Und mit dieser Platte macht die heute 29-Jährige sogar einen Schritt zurück.

Das hier ist wieder der so konservative Power-Pop mit Rock´n´Roll-Fransen aus ihrer Anfangszeit. Ein Kabinett der Adoleszenz-Banalitäten, die für Heranwachsende, zugegeben, natürlich alles andere als banal sind. Einige werden auch noch so etwas wie Wahrheit in Songs wie Bad Girl, Bitchin' Summer, Here's To Never Growing Up oder Rock´n´Roll entdecken. Namen, die absolut selbsterklärend sind. Doch auch die Posen der popindustriellen Rebellion sind heute andere als vor zehn Jahren. Heute ist diese Art von Antihaltung nur noch Klischee oder sogar Pathosformel. Die Musik ist nicht mehr das maßgebliche Identifikationsangebot für Jugendkulturen, sondern nur noch ein Teil davon. Lady Gaga, zum Beispiel, hat das verstanden. Avril Lavigne nicht.

  • Wäre dieses Album ein Schminkfehler, es wäre zu viel Kajal.
  • Wenn das Album eine Wohnung wäre, sie läge in Berlin, Prenzlauer Berg.
  • Wer dieses Album verschenkt, der verschenkt auch abwaschbare Tattoos.

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Céline Dion - Loved Me Back To Life

Céline Dion soll also "Wetten, dass..?" retten. Nicht alleine, natürlich. Sting kommt auch. Und Miley Cyrus. Zusammen sollen die Stars an diesem Samstag wieder für eine bessere Show sorgen. Und für viele Zuschauer.

Céline Dion war schon oft bei "Wetten, dass..?". Während ihres fünfjährigen Gastspiels in Las Vegas konnte man die Kanadierin hierzulande fast nur noch in der Samstagabend-Show erleben. Und es hat immer gepasst. Auf eine gruselig-klebrige Art und Weise. Die Show und die Sängerin, sie wirkten wie füreinander geschaffen. Weil beide irgendwie aus der Zeit gefallen waren. Oder sich einfach nicht besonders um den Zeitgeist scherten. Zuverlässig inszenierten sie sich als Teil einer gefühligen Behaglichkeitsindustrie zwischen Glitzerpathos und entspannter Langeweile: Hier war die Welt noch in Ordnung.

Doch dann kam Markus Lanz. Und jetzt kommt Céline Dion zu Markus Lanz. Mit ihrem neuen Album "Loved Me Back To Life". Und was soll man sagen: Es passt immer noch. Gruselt einen aber sogar noch ein bisschen mehr.

Die Kanadierin hat auf ihrem ersten englischspachigen Album seit sechs Jahren 23 Songschreiber und Produzenten beschäftigt. Und die haben der Frau mit der gewaltigen Stimme ein Klangbild verpasst, das irgendwie modern, gegenwärtig sein soll.

Die Power-Balladen, für die Dion berühmt ist, stehen nicht mehr im Mittelpunkt. Nicht jeder konnte diese Lieder aushalten. Aber die, die mit dem schmalzigen Pathos kein Problem haben, hören Stücke, bei denen sich die Töne, die Dion anschlägt auf unerklärliche Weise von ihr lösen, mächtig werden, fast gegenständlich. Diese Töne umhüllen sie, geben ihr Schutz, schieben sich zwischen sie und die Welt.

Auf der neuen Platte gibt es stattdessen R´n´B-Beats, ein bisschen Elektronik und sogar Auto-Tune für die Stimme. Die Stimme als Heiligenschein, als Schutzzone, das funktioniert so natürlich nicht mehr. Die Up-Tempo-Nummern plätschern einfach dahin, offenbaren viele tote Winkel und leere Momente, Momente in denen die Gegenwart, von der Pop lebt, ihre Atmosphäre völlig verliert. Womit wir dann wieder bei "Wetten, dass..?" wären. Und bei Miley Cyrus. Die hat das verstanden. Céline Dion nicht.

  • Wäre dieses Album ein Schminkfehler, es wäre zu viel Tönungspuder.
  • Wenn das Album eine Wohnung wäre, läge die in einem Münchner Vorort ohne S-Bahn-Anbindung, aber mit Disko.
  • Wer dieses Album verschenkt, der verschenkt auch fabrikneue, weiße Shabby-Chic-Möbel.

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Donny Hathaway - Never My Love, The Anthology

Wenn Donny Hathaway heute irgendwo Erwähnung findet, dann meist in einer Reihe mit anderen schwarzen Sängern. Es geht dann meist darum, von wem aktuelle R´n´B- und Soul-Künstler beeinflusst sind. Hathaway steht dann meist nicht am Anfang der Liste, sondern mittendrin in der lange Reihe. Zusammen mit Bill Withers, Smokey Robinson, Marvin Gaye, Curtis Mayfield, Joe Williams, Gil Scott-Heron oder auch Stevie Wonder.

Die Bedeutung Hathaways ist damit klar. Er war einer der ganz großen Musiker. Aber der Songwriter, Sänger, Produzent und Session-Musiker ist bis heute auch einer derer, die mehr Aufmerksamkeit verdient haben.

Hathaway war ein schon zeitlebens gebrochener Mann. Er litt unter Depressionen und paranoider Schizophrenie, beschäftigte sich aber lieber mit seiner Musik und anderen berauschenden Mitteln, als mit seiner Gesundheit. Die für ihn so wichtigen Medikamente jedenfalls soll er nur selten eingenommen haben. Am 13. Januar 1979, im Alter von nur 34 Jahren und 26 Tagen wurde Donny Hathaway unter dem Fenster seines Hotelzimmers in New York gefunden. Er war im 15. Stock vom Balkon gesprungen.

Sein Werk ist aufgrund des frühen Todes schmal, nur vier Studioalben hat Hathaway hinterlassen. Doch jeder seiner Songs ist von herzzerreißender Inbrunst, von großer Wärme, Intensität, dabei meist verspielt, immer abgrundtief traurig.

Jetzt kann man das Soulgenie neu entdecken. Das Label Warner widmet Hathaway eine Box mit vier CDs: "Never My Love, The Anthology". Auf der ersten CD finden sich Hathaways bekanntesten 22 Songs, auf der zweiten bisher unveröffentlichte Studioaufnahmen. Die dritte vereint zehn New-Yorker-Live-Aufnahmen aus dem Jahr 1971 und die vierte enthält das im Jahr 1972 erschienene Studioalbum "Roberta Flack & Donny Hathaway" zusammen mit zwei Songs, die für das Album entstanden sind, aber dann nicht darauf veröffentlich worden waren.

Die Zusammenstellung ist schlüssig, bringt unbekanntes Material zu Gehör und könnte dafür sorgen, dass der Name Donny Hathaway in Zukunft öfter ganz vorne zu finden ist, auf den Listen der größten Soulmusiker.

  • Wäre dieses Album ein Schminkfehler, es wäre einfach immer noch zu wenig.
  • Wenn das Album eine Wohnung wäre, läge diese, klar, in New York.
  • Wer dieses Album verschenkt, der verschenkt auch viel Liebe.

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Finden Sie hier nun unten alle Platten, die in dieser Rubrik besprochen wurden:

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