Plattenkabinett:"Aus großem Bizeps erwächst große Verantwortung"

Kollegah

Gangster-Rapper Felix Antoine Blume aka "Kollegah" weiß, dass er grenzenlos übertreibt.

(Foto: dpa)

Kollegah rappt großmäulig über Koks, Bitches und fette Karren. Und stürmt damit die Charts. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zu Bushido und Co.: Der Rapper nimmt sich nicht allzu ernst. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Felix Reek

Felix Antoine Blume gewann mit 18 den Malwettbewerb "Komm mit in eine andere Welt: Märchen - Mythen - Sagen" der Volksbank Simmern. Zwei Jahre später machte er Abitur. Seit 2009 studiert er Jura in Mainz. Er ist auf dem Papier der perfekte Schwiegersohn. Und zur Zeit Deutschlands erfolgreichster Gangster-Rapper. Unter dem Künstlernamen Kollegah stürmt er mit seinem neuen Album "King" die Charts und will darauf vor allem eines: "Bitches" knallen, im Lambo cruisen und alle anderen Rapper mit dem AK-47 umnieten.

Das kennt man bereits von Kollegen wie Bushido. Der entscheidende Unterschied ist: Felix Antoine Blume nimmt sich selbst nicht allzu ernst. Er versteht Gangster-Rap als Unterhaltungsform. Und dazu gehört eben, dass man grenzenlos übertreibt.

Im ersten Song "Alpha" heißt es: "Ich habe Punchline-Rap revolutioniert, ich habe Doubletime-Rap revolutioniert, ich habe Deutschrap an sich revolutioniert". Bescheiden sein können die anderen. So geht das auf "King" munter weiter. Die Chromfelgen am lila Jaguar werden finanziert von Koksfeldern, er schwängert reihenweise Mütter mit seinem gewaltigen na-Sie-wissen-schon. Und die "Bitches" müssen im Bentley hinten sitzen, damit vorne Platz für die Kalaschnikow ist.

Da werden natürlich die ersten Feinfühligen aufschreien. Und Alice Schwarzer für die nächste Talkshow buchen. Doch bei Kollegah hat die Übertreibung System. Koks, Nutten und Knarren - das sind nur Klischees aus dem Baukasten, die zum Genre dazu gehören. Sie haben nicht mehr Bedeutung, als das "Yeah" und "Shalala" eines Pop-Songs. Wer das nicht als Selbstironie erkennt, hält Heino wirklich für einen Rocker.

Mit seiner Herangehensweise könnte Kollegah damit die Speerspitze einer neuen Bewegung sein, die die Brücke zwischen Cro und Bushido schlägt. Oder wie es der Rapper selbst sagen würde: "Aus großem Bizeps erwächst große Verantwortung - der King ist zurück."

Wem schenken? Dem kleinen Bruder, der glaubt, Bushido sei immer noch der Krasseste.

Wäre das Album ein Schauspieler, dann wäre es... Motherfuckin' Ice-T.

Wenn diese Platte ein Film wäre, dann sie: "Scarface". Natürlich mit Al Pacino.

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The Roots - ... And Then You Shoot Your Cousin

Es gibt ein Video von Late-Night-König Jimmy Fallon und The Roots, die seit 2009 seine Hausband sind. Zusammengepfercht in der Garderobe der Show spielen sie mit Robin Thicke dessen Hit "Blurred Lines". Ohne Geiley-Miley Cyrus, dafür auf billigen Schulplastikinstrumenten. Es klingt wunderbar. Denn genau so begann die Hip-Hop-Band der Legende nach: Weil sie sich keine Sampler und Turntables leisten konnten, spielten sie eben auf ausrangierten Instrumenten. 1987 war das und alle machten es ihnen seitdem nach. Kaum eine Formation des Genres geht heute noch ohne echte Instrumente auf die Bühne. Ernsthaft gefährden konnte The Roots trotzdem niemand. Noch heute gelten sie als die beste Hip-Hop-Band, die beste Live-Band oder gleich die beste Band überhaupt.

Nun könnte man meinen, das Showbiz und die damit einhergehende Mainstream-Aufmerksamkeit hätten den Sound der Roots verwässert. Dieses eigentümliche Gebräu aus Soul, Jazz, Hip-Hop und allem anderen, was den Musikern in den Sinn kommt. Doch das neue Album setzt genau da an, wo der Vorgänger "Undun" vor drei Jahren aufhörte: eine düstere Achterbahn der Gefühle, ein weiteres Konzeptalbum. Nur diesmal nicht aus der Sicht eines einzelnen Charakters. Stattdessen sind viele Protagonisten vertreten.

Entsprechend schizophren ist "...And Then You Shoot Your Cousin". "Theme From The Middle Of The Night" ist ein schmalziges Intro direkt aus Hollywood. Es folgt "Never", ein Song, der mit seiner schleppenden Elektronik und dem ätherisch-verschlurften Gesang an "Portishead" erinnert. In kurzen Zwischenspielen wie "The Devil" wird mit tiefem Bariton ein paar Sekunden im Chor gesungen, in "Black Rock" die Gospel-Orgel ausgepackt und fröhlich mitgeklatscht. Gerappt wird dazwischen natürlich auch.

Questlove

Questlove, Mitbegründer und Schlagzeuger der legendären Hip-Hop-Band.

(Foto: AP)

Das ist so vielfältig, dass "...And Then You Shoot Your Cousin" bei jedem Hören wächst. Immer wieder schälen sich neue Details aus dem Gesamtsound. Dabei klingen "The Roots" so entspannt und souverän, dass man in Ehrfurcht nur erstarren kann. Unweigerlich fragt man sich: Wie können die auch noch jeden Tag in der "Tonight Show" spielen? Wahrscheinlich haben die Kritiker doch Recht: The Roots sind die beste Band der Welt.

Wem schenken? Dem kleinen Bruder, der glaubt, bei Hip-Hop ginge es immer nur um Koks, Bitches und fette Karren.

Wäre das Album ein Schauspieler, dann wäre es... Sidney Poitier.

Wenn diese Platte ein Film wäre, dann dieser: "Flucht in Ketten".

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Killer Be Killed - Killer Be Killed

"Supergroup". Das ist so ein Begriff, bei dem vor allem Plattenfirmen die Dollarzeichen in den Augen funkeln. 1966 verwendete man ihn wohl zum ersten Mal, als sich Ginger Baker, Eric Clapton und Jack Bruce zu Cream zusammenschlossen. Sie alle spielten in erfolgreichen Bands, den Yardbirds, Manfred Mann und Graham Bond Organisation. Die einfache Rechnung: drei Ausnahmemusiker mal drei bekannte Bands ergibt jede Menge Aufmerksamkeit. Und jede Menge Geld. Seitdem versuchen es bekannte Musiker immer wieder miteinander. Meist äußerst erfolgreich, zumindest in Sachen Verkaufszahlen. Das musikalische Ergebnis hingegen lässt oft zu wünschen übrig.

In die Reihe der Supergroups wollen sich nun auch Killer Be Killed einreihen. Der sich auf Mord- und Totschlag konzentrierende Name deutet an: Hier handelt es sich um ein Star-Quartett der harten Zunft. Greg Puciatio gibt hauptberuflich den Tourette-Sänger bei den Mathe-Metallern The Dillinger Escape Plan, Troy Sanders frickelt sich mit Bass und Stimme durch die verkopften Epen von Mastodon. Dave Elitch trommelte bei den Prog-Rockern The Mars Volta und Max Cavalera brachte anno dazumal mit Sepultura den Ethno-Beat in den Metal.

Die Voraussetzungen sind also vielversprechend, hat sich hier doch nicht etwa die dumpf knüppelnde Zunft zusammen getan, sondern die Speerspitze des anspruchsvollen Gebolzes. Dummerweise hört man das kaum. Der Opener "Wings Of Feather" klingt so, als wäre er auf dem Reißbrett entstanden: Mastodon-Strophe, Dillinger-Escape-Plan-Refrain, Ethno-Getrommel und dann freundlich moshen mit Sepultura. Dazu die üblichen nihilistischen Texte.

Dazu hätte man keine Band gründen müssen. Überhaupt prügeln sich Killer Be Killed im Gegensatz zu den Hauptbands der Beteiligten erstaunlich geradlinig durch ihre Songs. Aber immerhin sind "Melting Of My Marrow" und "Curb Crusher" veritable Hits - Dank der hochmelodischen Gesangsbeiträge von Greg Puciato.

Das Tempo fahren Killer Be Killed erst in der zweiten Hälfte des Albums runter. Dann sind auch verspieltere Zwischenklänge möglich. Im letzten Song "Forbidden Fire" zum Beispiel wabert man sich durch fünfeinhalb psychedelische Minuten. In der Mitte wird Genre-üblich trotzdem die Schlachtplatte gereicht.

Zurück bleibt wie bei den meisten Supergroups ein zwiespältiger Eindruck. Denn drei Ausnahmemusiker mal drei bekannte Bands ergibt eben nicht nur jede Menge Aufmerksamkeit, sondern auch jede Menge Erwartungen. Die können Killer Be Killed noch nicht erfüllen. Sie klingen bisher nur wie der kleinstmögliche Nenner aller Beteiligten. Aber vielleicht schaffen sie es ja in ein paar Alben, die engen Genregrenzen zu überwinden. Weniger Härte ist eben doch manchmal mehr. Mit ihren Hauptbands haben sie das nach ein paar Jahren schließlich auch kapiert.

Wem schenken? Dem kleinen Bruder, der glaubt, Metallica wären immer noch die Härtesten.

Wäre das Album ein Schauspieler, dann wäre es... Vin Diesel.

Wenn diese Platte eine Film wäre, dann dieser: "Evil Dead". Das Remake.

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