Plädoyer für Open Source:Einmal Weltraum und zurück, bitte

Zum Teufel mit den Viren verseuchten Rechnern und den selbst ernannten PC-Doktoren! Mit Open Source kämpfen wir gegen den Potemkinschen Gerätepark. Ein erfahrungssattes Manifest von Stephan Maus

Jetzt locken wieder megahertz-zerreißend die neuesten Chips. Jetzt säuseln wieder sirenengleich die schnellsten Festplatten. Jetzt flüstern uns Lüfter wieder neue Begehrlichkeiten ein, und die WLAN-Funkwellen verdrehen wieder die Moleküle in unseren Hirnen.

Plädoyer für Open Source: Jetzt suchte ich erst einmal ein Betriebssystem, das mich aus den Klauen der PC-Doktoren befreien würde. Ich habe mich für NetBSD entschieden.

Jetzt suchte ich erst einmal ein Betriebssystem, das mich aus den Klauen der PC-Doktoren befreien würde. Ich habe mich für NetBSD entschieden.

Doch mit den glitzerndsten Features buhlt man um die Kaufkraft der Hartz-IV-Gesellschaft. Und diese Gesellschaft zahlt begeistert. Dabei gibt die neu erblühte IT-Branche freimütig zu: Bis auf Roland Emmerichs Special-Effects-Team braucht niemand die neuen Gigahertz-Computer.

Es geht darum, neue Fetische zu produzieren. In rasender Hatz entwickelt die Computerindustrie Potemkinsche Geräteparks. Doch hinter den hysterisch blinkenden Benutzeroberflächen werkelt Software, deren Funktionalität auch schon für ein Hundertstel der Rechenleistung zu haben wäre.

Gegen das High-Tech-Wettrüsten aber hilft nur konsequentes Low Tech. Zum Glück haben die ehrenwerten Hacker der Open-Source-Bewegung immer schon Wert darauf gelegt, dass ihre freie Software auch auf alter Hardware läuft. Ressourcenschonendes Programmieren nennt man so etwas. Und den aufgeblähten Code beschimpft man so: Bloat!

Vi, der 1976 von Bill Joy programmierte Editor, läuft auch in seiner neuesten Version noch auf der ältesten Maschine, die man bei Ebay ersteigern kann. Wer dagegen versucht, neuere Microsoft-Produkte auf einem alten Computer laufen zu lassen, wird keine Freude haben. Der Programmkern kommerzieller Software trägt eben reine Kapitalismus-DNA.

Einmal Weltraum und zurück, bitte

Die Lektion der Open-Source-Bewegung dagegen ist revolutionär: Für eine schnelle, sichere und aktuelle Arbeitsumgebung braucht man weder die neueste Hardware noch teure Software. Die wahre Heilsbotschaft für die bankrotte Gesellschaft kommt nicht aus der IT-Branche, sondern aus der Open-Source-Gemeinde. Sie lautet: Der gute Recycling-Laptop für 50 Euro ist keine Utopie.

Lässt man sich auf ihn ein, ist der Erkenntnisgewinn beeindruckend. Geht es doch darum, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit auszusteigen. Nur so kann auch der Computer zu seiner ursprünglichen Kraft zurückfinden und sich zu einer Erkenntnismaschine entwickeln, die durchaus eine neue Lebenshaltung produzieren könnte. Das wäre dann die wahre digitale Revolution. So in etwa hatten sich die Hippie-Hacker in den kalifornischen Garagen den souveränen Umgang mit dem Rechenknecht vorgestellt, bevor Bill Gates die Garagen dann für seine Porsches brauchte.

Ich jedenfalls bin bedingungslos bekehrt. Und das seit sechs Monaten. Denn vor genau einem halben Jahr musste ich den PC-Doktor an meinen virenverseuchten Arbeitsplatz rufen. Der Mann mit Notrufhandynummer, Goldkettchen und zu kurzer Joop-Jeans kam mit einem Aluminium-Koffer und nahm meinen Computer in Geiselhaft. Wie es bei mir in der Zone eigentlich aussehe, wollte er wissen. Warum meine Fenster eigentlich so morsch seien? Er besaß die Macht, ich war der Microslave. All meine Daten waren ungesichert! Ein halb vollendeter Roman! Vier weitere Entwürfe! Mein berüchtigter E-Mail-Verteiler! Meine noch viel berüchtigteren Steuerunterlagen! Alles in den Händen dieses PC-Dr. No! Ich war ein hilfloser DAU: der dümmste anzunehmende User. Als der Mann über meine brüchige Treppe verschwand, tat ich einen Schwur: "Ab morgen sprengt hier ein Microslave seine Fesseln."

Bei Ebay habe ich mir dann einen acht Jahre alten Laptop ersteigert. Bei genau 50 Euro fiel der Hammer für das rustikale "IBM Thinkpad 760 XL". Und wie ein rätselhafter Monolith stand das Gerät dann bald vor mir: Intel Pentium, 166 MHZ, 48 MB RAM, 2 GB. Seinerzeit war dieser Tyrannosaurus Rex XL für Weltraumflüge zugelassen worden.

Jetzt suchte ich erst einmal ein Betriebssystem, das mich aus den Klauen der PC-Doktoren befreien würde. Ich habe mich für NetBSD entschieden, das aus einer Allianz von akademischer Unix-Tradition und wuchernder Hackerkultur entstanden ist. Linux ist ja gut, und dieser Pinguin ist ja zu sympathisch. Aber die Maskottchen von NetBSD sind ikonoklastische Teufel. Das passte zu meiner Stimmungslage. Doch NetBSD ist berüchtigt für seine benutzerunfreundliche Installation. Man wird irre daran.

Nach einer Woche blinden Herumstocherns in schwarzen Pixelwüsten sah ich endlich Zahlenkolonnen über meinen Bildschirm laufen: Der Bootvorgang! Das nackte System war aufgespielt. Auf dem Display stand: "Copyright 1980-1994: The Regents of the University of California. Copyright 1996-2005: The NetBSD Foundation. Welcome to NetBSD!" Diese drei Zeilen resümieren die bewegte Geschichte der freien Software, die ursprünglich aus den Universitätsrechenzentren stammt, später von Unternehmen übernommen wurde, um dann schließlich von Freiwilligen noch einmal programmiert zu werden, damit man sie jedem Interessierten zur freien Verfügung stellen konnte. Welcome to NetBSD! Ich war in der Matrix, in den Kellergewölben der Maschine. Keine Icons, keine Maus, weder Drag noch Drop. Das Ende von Klickibunti. Nur ein zaghaft blinkender, dünner Cursor. Nun galt es, eine komfortable Arbeitsoberfläche einzurichten. Alles, was man sonst schlüsselfertig bekommt, muss hier in Handarbeit erledigt werden. Dabei lernt man jeden Chip seines Computers persönlich kennen.

Der Weg aus dem potemkinschen Gerätepark ist steinig. Nach sechs Monaten durfte ich in einer nasskalten Märznacht mein persönliches Berkeley-Wunder erleben: Um 01:23 Uhr Systemzeit sah ich meine grafische Benutzeroberfläche.

Ein halbes Jahr lang hatte ich im Dunkel der Kommandozeile gesessen. Aber nun kam die Epiphanie: Der elegante Windowmanager "Blackbox" zauberte mir ein Bild auf das Display, und in einem "X-Terminalfenster" erschien der legendäre Kommandoprompt der Unix-Bourne-Again-Shell "Bash": "maus@phoenix~$".

Der Phönix kauerte in der Asche meiner Unmündigkeit und wartete auf meine Befehle. Nie war des Menschen Liebe zur Maschine größer. Vor mir lag schimmernd das Graphical User Interface, die frisch polierte GUI. Von da an ging alles sehr schnell. In einer Stunde hatte ich alle nötige Software aufgespielt. Texte, Mails und News-group-Postings werden von nun an mit dem mythischen Text-Editor "GNU Emacs" verfasst, der praktisch alles kann. Sogar Psychoanalyse. "Emacs" wurde 1985 vom Open-Source-Guru Richard Stallman programmiert und spricht inzwischen auch Chinesisch und Sanskrit. Dieser Kult-Editor wird von seinen Anhängern so abgöttisch verehrt, dass sie die Church of Emacs gegründet haben.

Die Jünger tauschen sich in der Newsgroup "alt.religion.emacs" aus, wo zum Beispiel über die göttlichen Attribute des Pufferspeichers höchst ernsthaft debattiert wird.

Texte werde ich zukünftig mit TeX in Form bringen. Dieses Satzprogramm wurde in den späten Siebzigerjahren von Donald Knuth geschrieben, nachdem er den schrecklichen Drucksatz seines Opus Magnum "The Art of Computer Programming" sah. Und ins Worldwideweb gehe ich mit einem der schnellsten grafischen Browser der Welt: Dillo.

Mögen die PC-Doktoren draußen in der Stadt weiter ihren infamen Geschäften nachgehen. Ich weiß schon heute, dass ich diese Programm-Klassiker auch noch in zehn Jahren glücklich benutzen werde. Und alle werden sie auf einer 50-Euro-Maschine schneller und stabiler laufen als der neueste Word-Bloat auf dem Giga-PC. Denn irgendwo da draußen im Netz, in dieser weltumspannenden, feuerfesten Bibliothek von Alexandria, sitzen fleißige Programmiermönche und arbeiten an einem der beeindruckendsten Gemeinschaftsprojekte der Geschichte: Der Entwicklung von freier Software.

Und es ist eine Schande für die Europäische Union, dass sie beschließen will, dieser beispiellosen kollektiven Kulturleistung durch neue Softwarepatente den Garaus zu machen. Das ist, als hätte ein dummer Mittelaltertyrann Gutenbergs Druckerpresse eingeschmolzen. Vom Schriftsteller Stephan Maus erschien zuletzt der Collage-Band "Handbuch des massiven Unsinns" (DuMont Literatur Verlag).

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