Pirelli-Kalender von Annie Leibovitz:Schämt euch nie mehr!

Aufsehenerregende Normalität: Der neue Pirelli-Kalender zeigt keine Supermodels, sondern Frauen, die ihre Kritiker beschämen.

Kommentar von Johanna Bruckner

Manchmal sagen Bilder mehr als Worte. Manchmal sagen Worte alles, was es zu sagen gibt. Und manchmal braucht es beides, damit die Botschaft durchdringt. Serena Williams äußerte sich im September in einem TV-Interview zu jenen Leuten, die versuchen, ihr wegen ihres muskulösen Körpers Selbstzweifel einzureden. Body Shaming heißt diese psychologische Waffe im Englischen treffend. Williams, aktuelle Nummer Eins der Tennis-Weltrangliste, sagte also: "Ich habe einfach keine Zeit, mich runterziehen zu lassen. Ich habe zu viele Dinge zu tun, wissen Sie. Ich muss Grand Slams gewinnen. Ich muss Menschen inspirieren. Darum bin ich hier."

In der Tennis-Sprache würde man sagen: Das war ein wuchtiger, für den Gegner unerreichbarer Schmetterball. Insofern ist das Pirelli-Kalenderblatt von Serena Williams eigentlich nur noch ein Kunstschlag. Er führt dem bereits besiegten Gegner noch einmal Williams' Überlegenheit vor. Auf dem Schwarz-Weiß-Bild, inszeniert von der New Yorker Star-Fotografin Annie Leibovitz, steht die 34-Jährige nur mit einem Slip bekleidet vor einer Wand, im Ausfallschritt, die Hände hat sie gegen die Wand gedrückt.

Es ist eine Kunstpose, die die Muskeln der Sportlerin an Rücken und Beinen hervortreten lassen. Es ist ein Bekenntnis zum eigenen Körper. Und es ist eine Botschaft an alle Menschen, die ihr jede Weiblichkeit absprechen wollen, nämlich: der ausgestreckte Mittelfinger. Ihr kommt nicht mit meinem Körper klar? Nicht mein Problem! Verlierer.

Über dem Bund des Spitzenslips wölben sich drei Bauchringe

Wie gesagt: Für sich selbst hätte Serena Williams dieses Foto nicht mehr machen müssen. Aber es ist gut, dass sie es getan hat - für alle Frauen, die weniger selbstbewusst sind in Bezug auf ihren eigenen Körper, die sich verunsichern lassen von Kommentaren, ob sie nun vom Partner kommen, von der besten Freundin, oder von der Stimme im eigenen Kopf. Die die omnipräsenten Fotos von sogenannten "Supermodels" auf Werbewänden und in Zeitschriften als Bewertungsmaßstab für ihren eigenen Körper nehmen. Für all diese Frauen kann es gar nicht genug Bilder wie das von Serena Williams oder Amy Schumer geben.

Schumer, amerikanische Komikerin, Schauspielerin und Feministin, posierte für Annie Leibovitz auf einem Barhocker. Sie sitzt da, wie man eben auf einem Barhocker sitzt: Die Beine leicht gespreizt, fürs Gleichgewicht, in der Hand einen Kaffeebecher, to go. Es könnte ein alltägliches Bild vom Set des neuesten Schumer-Film sein, wäre die 34-Jährige mit mehr bekleidet als einem Höschen und Stilettos. Über dem Bund des Spitzenslips wölben sich drei Bauchringe. So normal, so außergewöhnlich. Weil Schumer eben nicht da sitzt, wie das wohl jedes Model bei einem Nacktshooting tun würde - Rücken gerade, Bauch rein, Brust raus.

Auch Schumer wurde in der Vergangenheit schon für ihren Körper angefeindet. Auf Twitter kommentiert sie ihr Kalenderblatt mit Worten, die Fremdzuschreibung wie Selbstkritik sein könnten - es ist ja nur allzu menschlich, sich manchmal selbst der größte Feind zu sein. "Schön, eklig, stark, dünn, fett, hübsch, hässlich, sexy, widerlich, makellos, Frau", schreibt Schumer. Die Botschaft ist so klar wie bei Williams: Schämt euch nie mehr eures Körpers!

Annie Leibovitz hat sich schon bewiesen

Da ist es auch egal, dass die Fotos rein künstlerisch eher unspektakulär sind: klassische Leibovitz-Porträts von prominenten Frauen, die meisten sind angezogen. Leibovitz hat sich als Fotografin eben auch schon bewiesen und kann sich bei diesem Auftrag souverän in den Dienst der guten Sache stellen. Zu zeigen, wie unterschiedlich und wie schön Frauen sein können, jenseits von Photoshop. Ein Ansatz, der weniger für Leibovitz als für den Pirelli-Kalender ungewöhnlich ist, in dem normalerweise makellose Erotik abgebildet ist.

Vielleicht tragen die Fotos ja dazu bei, dass sich Frauen irgendwann um andere Dinge kümmern können als die Verteidigung ihrer Körper. Darum zum Beispiel, Grand Slams zu gewinnen.

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