Phrasenmäher: Wohlverdient:Ein Biest von einem Wort

Kaum ist es ausgesprochen, schon hat die Aussicht auf Freizeit ihre Unschuld verloren: Nur Workaholics werden von dem Wort "wohlverdient" in den Urlaub geleitet.

Cornelia Fiedler

Ob Abteilungsleiter in den Ruhestand oder Politiker in den Sommerurlaub verabschiedet werden, immer ist es zur Stelle, dieses kleine, gemeine Biest von einem Wort. Da hockt es mit siegessicherem Lächeln zwischen Häppchen und Sekt, zwischen letzten Amtsgeschäften und Reisekoffern und braucht nur zu warten.

Wer macht denn da wohlverdienten Urlaub? Die Bundeskanzlerin samt Ehemann im Partner-Freizeitlook. (Foto: dpa)

Irgendjemand wird sich finden, irgendjemand wird es sagen: "Wohlverdient!" Kaum ist es ausgesprochen, schon hat die Aussicht auf die freie Zeit ihre Unschuld verloren. Schon ist man geneigt, den eigenen Urlaub für weniger wohlverdient zu halten, als den der Kanzlerin. Schon geht es um Leistung und um Belohnung.

Schon hat das protestantische Arbeitsethos gesiegt und verkündet: Des Menschen Bestimmung liegt im Schaffen, nicht einfach im Sein, im Genuss, im Leben. Eine etwas altertümliche Phrase, die eben noch mit dem Betriebsverfassungsgesetz unterm Arm in der Ecke herumlungerte, das Recht auf Freizeit, wirft einen müden Blick in die Runde und verabschiedet sich auf leisen Sohlen.

Gern würde es Urlaub machen, aber bei der momentanen Auftragslage verdient es wohl zu wenig dafür.

© SZ vom 27.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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