Phrasenmäher: Aufentern:Freund und Feind

Üblicherweise bietet Deutschland dem Seemannsjargon, der irgendwo hinter Lüneburg versickert, wenig Angriffsfläche. Doch dann kam die Gorch-Fock-Affäre.

Christopher Schmidt

Deutschland war nie eine große Seefahrernation. Nur ganz oben spitzt unser in Europa eingebuddeltes Land ins offene Meer hinaus und schaut sich vorsichtig nach beiden Seiten um, damit es nicht von einem vorbeifahrenden Tanker gerammt wird.

Entsprechend wenig Angriffsfläche bietet Deutschland dem Seemannsjargon, der irgendwo hinter Lüneburg versickert. Und auch mit der Seefahrerromantik war es ja nicht mehr weit her. Das änderte sich erst, als wir es in internationalen Gewässern wieder mit "Piraten" zu tun bekamen und längst am Meeresgrund geglaubte Ausdrücke an die Oberfläche stiegen wie Treibgut eines gesunkenen Schiffs.

Und dann gab es die Gorch-Fock-Affäre. Von "Meuterei" war die Rede und davon, dass diese sich am Befehl zum "Aufentern" entzündete. Trotz des Niedergangs der Freibeuterei einerseits und der großen Rahsegler andererseits konnte "entern", das auf das harmlose lateinische intrare zurückgeht, seine abenteuerliche Aura jedoch bewahren. Das liegt wohl daran, dass es sowohl für das Kapern eines feindliches Schiffes steht als auch für das Hinaufsteigen in den Mast - ganz so, wie man ein Enterbeil dazu benutzen kann, um an der Bordwand hochzuklettern oder dem Feind den Schädel zu spalten.

Dass bereits das Aufentern in die eigene Takelage ein äußerst gefahrvolles Tun ist, wird durch die doppelte Bedeutung des Wortes dramatisch unterstrichen. Denn auch, wenn keine Piraten in Sicht sind, bleiben Wind und Seegang dein Feind. Sie können dir helfen, über die Wellen zu klettern, oder dir den Schädel spalten.

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