Philosophie der Liebe:Im Labyrinth

Philosophie und Literatur gehen zusammen: Angelika Krebs studiert Liebe und Gemeinschaft anhand des großen Erzählers Henry James.

Von Thomas Meyer

"Henry James mitten unter Philosophen", titelte im Februar 1991 die New York Times. Der 1916 in London verstorbene amerikanische Schriftsteller werde benutzt, um die Grenzen zwischen Literatur und Philosophie einzureißen. Die Polemik, man mag das heute kaum mehr glauben, erwies sich als unglaublich einflussreich und fand besonders in Deutschland viel Zustimmung. Doch das ist inzwischen vorbei. Soeben erklomm eine Neuübersetzung von James' Roman "Die Gesandten" die Bestenliste des SWR, zahlreiche deutsche Verlage füllen ihre Programme mit alten und neuen Ausgaben dieses einzigartigen Erzählers und Essayisten (SZ 2.1.2016) Seit einiger Zeit gehört es sogar zum guten Ton bei Philosophen, James' unendlich fein gearbeiteten Paarkonstellationen aufmerksam zu folgen, in seine geradezu unverschämt klug arrangierten Irrgärten komplexer Gefühlsschattierungen, in denen man weder den Erzählern noch den Protagonisten ein Wort glauben darf. Dabei wusste Henry James besser als die meisten seiner Zeitgenossen den alten Ratschlag zu beherzigen, dass die, die verstehen worüber sie schreiben, über das Eigentliche zu schweigen haben. Das stellt für die Freunde der Weisheit zweifellos eine Herausforderung dar.

Mit dem Buch "Zwischen Ich und Du" von Angelika Krebs liegt nun der erste gewichtige deutschsprachige philosophische Beitrag zu dem Schriftsteller vor. Die Basler Philosophin will mit "philosophischen Mitteln" erkunden, was "Henry James mit literarischen Mitteln vorführt". Es geht um die "Liebe", also das, was zwischen Ich und Du passiert, wenn zwei sich treffen. Und diesen alles andere als leeren Zwischenraum nimmt Krebs sehr ernst, so ernst, dass sie darin das eigentliche, genuin menschliche Geschehen verortet. Zwischen Ich und Du werden nämlich Handlungen und Gefühle "notwendig geteilt". Die Teilhabe am Leben und Lieben des Anderen ist aber für Krebs keine Verschmelzung, die das jeweilige Ich aufhebt, oder eine dem Sorgeprinzip folgende Zweckgemeinschaft, die im Miteinander Mängel aufheben und Stärken ausbauen möchte.

Stattdessen überrascht Krebs mit einem Konzept, dem sie den Titel "romantische Liebe" gibt, genauer: ",Liebe' meint in diesem Buch die Liebe, wie sie in 'Liebeserklärung', 'Liebespaar' und 'Liebesgeschichte' vorkommt." Doch wie sich in ihren genauen Analysen von James' Erzählungen und Romane wie "Die goldene Schale" oder "The Beast in the Jungle" schnell zeigt, nutzt Krebs das Angebot, um diese Begriffe inhaltlich zu füllen und mit ausgewählten philosophischen Positionen abzuklären. Dass letztere sich dabei bis in unsere Gegenwart als weiterhin lernbedürftig erweisen, dürfte am Gegenstand der anregenden und klugen Studie liegen. Krebs weiß um die Tatsache, dass Liebe auch Arbeit bedeutet, Arbeit am Ich, Du und nicht zuletzt am Mythos, der daraus entstehen kann, gerade dann, wenn man "romantische Liebe" glaubt leben zu können. Das Buch ist also gleichermaßen ein wichtiger Beitrag zur Philosophie der Liebe - und zu Henry James.

Angelika Krebs: Zwischen Ich und Du. Eine dialogische Philosophie der Liebe. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 269 Seiten, 18 Euro.

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