Phänomen "The Dome":Die Eingeweide des Pop

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Seit mehr als zehn Jahren ist die RTL II Chart-Show "The Dome" so etwas wie die Eier legende Wollmilchsau der Popbranche. Und das Mekka für alle, die gerne Boybands mögen. Auch bei der 41. Auflage der Show hat sich das nicht geändert.

Frederic Huwendiek

Wäre die Welt gerecht, wäre Mike Petschel ein Superstar. Seit er über die Bühne der Mannheimer SAP-Arena hüpft, gibt es kein Halten mehr: Tausende Teenager kreischen schrille Iiiiihs und Ääääähs, recken dürre Ärmchen in die Höhe und winken mit überdimensionalen Luftkissen-Händen.

Auch die "Popstars"-Gewinner Monrose sollten Mannheim rocken. (Foto: Foto: Huwendiek)

Gröhlen mit dem 38-Jährigen "Dubdädubdädädubdubdub" zu lauten Techno-Beats. Und stören sich kein bisschen daran, dass sich bei dem Mann, der sie, mit "Ladies and Gentlemen" anspricht, langsam das Haupthaar lichtet.

In den vergangenen zehn Jahren hat der braungebrannte Blonde mit dem kräftigen Händedruck über 400.000 Teenies in Ekstase versetzt, mit Lenny Kravitz und Kylie Minogue die Bühne geteilt und dutzende Mehrzweckhallen zum Beben gebracht.

Nur der anonyme Anheizer

Er hat mehr Zeit auf der Bühne getanzt, gequasselt und gegrölt als jeder Künstler oder Moderator hier. Und doch kennt kaum einer seinen Namen. Denn Petschel ist nicht "Superstar Mike", sondern "Warm-Up-Mike", wie man ihn hinter den Kulissen nennt. Er ist nur der anonyme Anheizer, nur das Preludium zum großen Spektakel. Wenn er aufhört, gehen die Kameras an.

In den grauen Eingeweiden der SAP-Arena, in der sonst die Eishockey-Spieler der "Adler Mannheim" über die Eisfläche gleiten oder Handballstars wie Andrej Klimovets Bälle werfen, herrscht quirlige Betriebsamkeit: Ein Gruppe weißgewandeter Mädchen stimmt ihre Geigen, wichtig dreinschauende Mittdreißiger murmeln Anweisungen in schwarze Headsets.

Junge Männer mit liebevoll geföhnten Strähnchen-Frisuren suchen kichernd ihren Manager, eine dunkle Schönheit mit einnehmend ausladendem Dekolleté stakselt in Richtung Maske. Am Ende des Gangs nestelt Ex-"Echt"-Sänger Kim Frank in seinem akkuraten Scheitel.

"Betrailerung" und "Branding"

Am roten Teppich zielen hunderte Fotohandys unter heftigen Liebesschwüren auf Tokio Hotel et al. Biiiiiiill. Toooom. Die blondierte Mitarbeiterin vom Mobilfunk-Sponsor nennt das dann "erfolgreiche Kontakte-Generierung" mit der "emotional aufgeladenen, jungen Zielgruppe". Und überhaupt, erzählt sie, stimme hier alles - von der "Betrailerung" bis zum "Branding".

Der Zirkus ist in der Stadt: Zum 41. Mal macht die RTL II-Musikshow "The Dome" an diesem trüben Freitagabend Halt in einer Halle - mit 210 Tonnen Equipment und vierhundert Mitarbeitern für ein bisschen Bonbon-Glamour.

Vier Mal im Jahr drei Stunden lang ein gutes Dutzend Popstars - das ist das simple wie erfolgreiche Konzept der Show, die regelmäßig 1,5 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme lockt.

Lückenlose Verwertungskette

In der kurzlebigen Popbranche ist der "Dome" mit seiner über zehnjährigen Geschichte so etwas wie Dino und Eier legende Wollmilchsau zugleich. Die Verwertungskette ist lückenlos: Knapp zehn Millionen Mal verkauften sich bislang die CDs zur Show, die eigene Zeitschrift findet hunderttausend Leser.

Dazu: Anziehsachen und Konsolen-Software. Wer etwas lernen will über die Mechanismen hinter dem Produkt Pop, der kommt am "Dome" nicht vorbei.

Warm-Up Mike Petschel hat schon viele Teenies in Ekstase versetzt. (Foto: Foto: Huwendiek)

Würde man Olaf Hunger auf der Straße begegnen, würde man ihn wohl kaum mit Boybands und Plastikpop in Verbindung bringen. Er trägt ein grünes Shirt der US-Punkband "Rancid", Tatoos bedecken seine Arme, sein gealtertes, unrasiertes Gesicht wird gekrönt von einem rot-schwarzen Frisurenchaos.

Verloren vor dem Eingang

Der 43-Jährige aus Chemnitz war Kumpel im Bergbau, Tischler und hat Schreibmaschinen zusammengeschraubt. Und jetzt steht er ein wenig verloren vor dem Eingang des Catering-Bereichs und blickt unsicher auf seine Hände.

Gerade rauschen Tokio Hotel mit Sicherheitskräften und Management in den "Business Club" genannten Speiseraum. "Das ist schön entspannt hier - meistens", fängt Hunger an zu erzählen.

Er ist seit acht Jahren ein echter Pop-Arbeiter: Schleppt Kisten in die Produktionsbüros, rollt den roten Teppich aus und bringt Sido Schampus aufs Zimmer. "Die sind immer nett, die Stars. Naja, ich bring denen ja auch immer das, was sie haben wollen."

Der Abend kostet 40 Euro

Und auch die Zielgruppe bekommt hier was sie will. Für ein verwackeltes Handyfoto von ihrem Liebling, eine krakelige Unterschrift und schnuckelige Playback-Sternchen am Fließband blättern die Teenager ihr ganzes Taschengeld auf den Tisch - satte 40 Euro kostet so ein Abend.

Und da ist eigentlich auch egal, wer kommt: Noch bevor die großen Stars bestätigt wurden, war die SAP-Arena ausverkauft. Die nach Senderangaben "größte Chartshow Europas" ist ein Selbstläufer.

Pünktlich um 19 Uhr 30 beginnt dann die Aufzeichnung von "The Dome 41". Zeremonienmeister des Abends sind die Viva-Moderatorin Gülcan Kaharanci, Praktikanten-Darsteller Elton und Rocksängerin Marta Jandova. Tokio Hotel, die Boyband US-5, Rapper Sido und die "Popstars"-Gewinner Monrose sollen Mannheim rocken. Monate der Planung und eine Woche Aufbau liegen hinter der Crew.

Unbekannte, austauschbare Newcomer wie das Geschwisterpaar Jenna & Ron oder die Boyband Lexington Bridge wechseln sich mit erfolgreichen Interpreten wie dem britischen Ex-"Blue"-Sänger Simon Webbe und "DSDS"-Finalist Nevio ab.

Oft nur eine Küsschen in der Menge

Nach ein, zwei Songs ist der Nächste an der Reihe. Viel gesprochen wird nicht mit den Fans, bei ausgeschalteten Playback-Mikrofonen bleibt oft nur ein Küsschen in die Menge.

Zwischendurch leitet Gülcan piepsend plappernd über, Elton gibt den pummeligen Klassenclown und Jandova wirkt sympathisch fehl am Platze. Als dann Tokio Hotel die Bühne betreten, wird es laut. Aber wohl eher wegen der zehntausend Euro teuren Pyroshow, als wegen Bill, Tom, Georg und Gustav. Eineinhalb Jahre hysterischer Dauerhype ermüden selbst die verliebtesten Mädchen.

Ein bisschen Wärme

Die Liebe, das große Leitmotiv des Pop, dominiert auch "The Dome": Kerzen flackern, Draht-Herzen werden entflammt, aus dem Schriftzug "Amore per siempre" sprühen Funken. Ein bisschen Wärme in dieser sonst so kalten Eishockeyhalle.

Als dann um 22:30 Uhr die Lichter angehen, blickt man in glückliche, müde Kindergesichter. Ein Studienrat aus Göttingen sucht seine Tochter ("braune Locken, Zahnspange"), auf dem Parkplatz wummert "Boten Anna", das Lied zum Konfetti-Finale der Show, aus den Autoboxen. Und Olaf Hunger schleppt schon wieder Kisten. Und wünscht sich weit, weit weg.

Die 41. Auflage der Chartshow "The Dome" wird am 10. März bei RTL II ausgestrahlt

(sueddeutsche.de)

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