Petersen-Interview:Homer ist, wenn man trotzdem lacht

"Troja"-Regisseur Wolfgang Petersen über die mythischen Wurzeln des Erzählens und den Achilles in uns allen.

Interview: Tobias Kniebe

Die Schlacht ist geschlagen, am Donnerstag kommt Hollywoods erstes großes Antikenprojekt nach dem "Gladiator" in die Kinos - in Szene gesetzt von Wolfgang Petersen, der alteuropäische Bildung mit Hollywood-Perfektion vereint.

SZ: Wenn der Kampf um Troja die Mutter aller Schlachten ist, dann ist Homer der Vater allen Erzählens. Was passiert, wenn man sich als Filmemacher eines solchen Stoffs annimmt?

Wolfgang Petersen: Man macht sich noch einmal die Grundlagen klar, die alles bestimmen, was wir bis heute tun. Nennen Sie mir eine dramaturgische Wendung, nennen Sie mir ein geniales Prinzip der Figurenzeichnung - Homer hat alles schon angewendet, und zwar vor 3000 Jahren. Wenn es so etwas wie einen Baum des Erzählens gibt, an dem jedes Buch, jeder Film ein winziges Blatt ist, dann ist Homer der Stamm. Aber nicht nur das. Schauen Sie sich die Gegenwart an! Was die "Ilias" über Menschen und Kriege sagt, ist einfach immer noch wahr. Die machthungrigen Agamemnons, die eine neue Weltordnung schaffen wollen, egal um welchen Preis - das hat absolute Aktualität.

SZ: Sind Sie ein Regisseur, der sich bei jedem Film diese mythischen Grundlagen bewusst macht?

Petersen: Nicht in dem Sinn, dass ich das intellektuell analysiere und mir danach meine Projekte aussuche. Eher stelle ich hinterher fest, dass ich auf bestimmte Themen immer wieder zurückkomme. Nach der Beschäftigung mit "Troja" fällt mir zum Beispiel auf, wie sehr mich die Dynamik des Zweikampfs bewegt. Das war schon in "Einer von uns beiden" so, da war es das Duell zwischen Klaus Schwarzkopf und Jürgen Prochnow. Diese Mann-gegen-Mann-Situation. Oder bei "In The Line Of Fire", Clint Eastwood und John Malkovich. Oder auch dieses Comic-Projekt, das ich machen wollte und vielleicht immer noch machen werde: "Batman vs. Superman".

SZ: Nun lassen Sie Achilles und Hektor gegeneinander kämpfen - als Batman und Superman der Antike?

Petersen: Sie lachen, aber genau daran musste ich denken. Achilles hat diese dunkle, zerrissene Seite, da ist er Batman nicht unähnlich. Und Hektor ist einfach ein nobler Krieger, wie Superman. In Wirklichkeit sind sie natürlich zwei Seiten unserer Psyche, zwei Seelen in einer Brust, die um die Vorherrschaft ringen.

SZ: Wie würden Sie ihn charakterisieren, den Achilles in uns allen?

Petersen: Er ist sein eigenes Universum. Sehr auf sich selbst bezogen. Schafft seine eigenen Regeln, lässt sich von niemandem etwas befehlen, stellt sich außerhalb der Gemeinschaft. Er ist der Rebell. Und er strebt nach Unsterblichkeit, seine Taten sollen die Zeit überdauern.

SZ: Und Hektor?

Petersen: Das genaue Gegenteil. Eine noble Seele, die stets das Wohl der Gemeinschaft über die eigenen Wünsche stellt. Er wäre glücklich mit der Liebe zu seiner Frau, seinem Vater, seinem Sohn, seiner Heimat. Und er kämpft nur, weil all das gefährdet ist. Weil er kämpfen muss. Das spürte ich schon als Schüler, als wir die "Ilias" im Originaltext gelesen haben, damals am humanistischen Gymnasium in Hamburg.

SZ: Auf welcher Seite stand der Gymnasiast Petersen, als es zum Duell kam?

Petersen: Das Interessante ist, dass man im Grunde nicht weiß, wer gewinnen soll. Wir können uns mit beiden Figuren identifizieren. Wir fühlen mit beiden mit, wir haben sie in uns. Diese Unentschiedenheit wollte ich unbedingt bewahren, was ja für einen Mainstream-Film eher ungewöhnlich ist: Wir weigern uns zu sagen, wer gut und wer böse ist. Wenn Sie mich allerdings persönlich fragen: Eigentlich war ich mehr auf Achilles Seite. Klar. Man braucht etwas mehr Reife, um Hektor wirklich anzuerkennen und zu verstehen. Achilles ist so ein toller Rebell, und wenn man fünfzehn ist und pickelig und sich mit dem Leben rumquält, dann gefällt er einem schon sehr gut.

SZ: Wie haben Sie den großen Zweikampf vorbereitet? Petersen: Es war mir wichtig, dass Brad Pitt als Achilles und Eric Bana als Hektor tatsächlich selbst kämpfen, nicht nur die Stuntmänner. Also haben sie monatelang trainiert. Brad Pitt habe ich vorgeschlagen, er solle die Boxkämpfe von Muhammad Ali studieren. So stelle ich mir Achilles vor: Kämpft wie ein Gott, mit unglaublicher Schnelligkeit, ein Jahrhunderttalent, ein Künstler des Tötens. Und Hektor, das ist für mich Evander Holyfield, der gegen Mike Tyson Weltmeister wurde: Ein nobler Fighter, der sich aber alles erarbeiten muss. Nicht ist ihm zugeflogen, alles hat er sich erkämpft.

SZ: Das Wissen um die mythischen Grundlagen des Erzählens kann heute Milliarden wert sein - siehe "Herr der Ringe", siehe "Harry Potter". Trifft man in Hollywood also Studiobosse, die Homer gelesen haben?

Petersen: Nein, das dann doch nicht. Jeder sagt zwar, er könne sich dunkel daran erinnern, aber diese Sprüche glaube ich nicht. Warner Brothers war am Ende ganz froh, dass ich mich des "Troja"-Projekts angenommen habe - als humanistisch geprägter Europäer bringt man doch ein anderes Wissen mit. Ich glaube auch, dass das europäische Publikum da einen Vorsprung hat. Der Film wird in Amerika erfolgreich sein - aber außerhalb der USA noch deutlich erfolgreicher. Das ist zumindest meine Prognose.

SZ: Bezeichnend ist, dass Sie die List mit dem Trojanischen Pferd als Überraschung inszenieren. Man sieht nicht, was im Inneren des Pferdes los ist. Rechnen Sie damit, dass die meisten Zuschauer nicht wissen, wie der Plan funktioniert?

Homer ist, wenn man trotzdem lacht

Petersen: Absolut. Gerade die Amerikaner. Wer die Story kennt, braucht eh keine Vorwarnung. Die anderen werden sich denken: Warum, zum Teufel, steht jetzt dieses riesige Pferd am Strand? Auf diese Verwirrung spekuliere ich.

SZ: Klassische Bildung in allen Ehren - aber braucht man nicht auch ein gehöriges Maß Respektlosigkeit, um nicht in Ehrfurcht vor dem Stoff zu erstarren?

Petersen: Unbedingt. Die hatte vor allem mein Autor David Benioff aus New York, der erst Mitte dreißig ist, eine andere Generation. Er hat die Götter, die bei Homer ständig ins Geschehen eingreifen, zum Beispiel von vornherein weggelassen. Ziemlich rücksichtslos, aber absolut notwendig. Ich wäre bei vielen Dingen sicher vorsichtiger gewesen - deshalb war unsere Partnerschaft so wichtig.

SZ: Hatten Sie trotzdem manchmal das Gefühl, dass Sie sich gerade an einem Schatz der Menschheit vergreifen?

Petersen: Absolut. Sogar mein Sohn hat bei manchen Änderungen die Nase gerümpft - zum Beispiel über die Art, wie wir den machtgierigen Eroberer Agamemnon abtreten lassen. Das ist sicher unser schlimmstes Vergehen gegen das Original. Aber ich stelle mir vor, wie Homer dort oben im Olymp sitzt, auf unser Projekt herabschaut, lächelt und sagt: Hmmm, auch nicht schlecht. Er hat seine Geschichte ja erst ein paar hundert Jahre nach den Ereignissen aufgeschrieben, und man kann deutlich sehen, dass er alles getan hat, um die Story für das Publikum seiner Zeit spannend zu machen. Genau das haben wir auch versucht. In diesem Geist könnte er uns verstehen.

SZ: Auffallend ist, wie sehr Sie das Bewusstsein des Nachruhms bereits in das Denken Ihrer Filmfiguren einbauen. Wird mein Name erinnert werden? Werden meine Taten die Zeit überdauern? 50000 Soldaten stürmen die Mauern von Troja - aber wenn es keinen gibt, der diese Geschichte richtig erzählt, wird alles vergessen werden. Feiern Sie damit auch die eigene Profession als Erzähler?

Petersen: O Gott, nein, so weit würde ich nicht gehen. Der Mann, der diese Geschichte erzählt hat, war Homer. Ihm ist es zu verdanken, dass wir sie immer noch kennen. Wir stehen in seinem Bann - und wenn wir uns ein paar Freiheiten genommen haben, möge er uns verzeihen.

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