Peter Gabriel tourt:"Gott könnte ein Hamster sein."

Peter Gabriel eröffnet in Hamburg seine erste Deutschland-Tour seit zehn Jahren. Wahnsinnig nett, aber es dauert.

ALEXANDER GORKOW

Dass dieser oder jener Künstler im Grunde ein Kind geblieben sei, ist ein Vergleich, der von Kitschbegabten stets zur Interpretation von Faxenmachern aller Art herangezogen wird. Denn ist dieser oder jener nicht recht eigentlich ein Clown? Wie er da Fünfe gerade sein lässt? Undsoweiter. Wollen wir nicht mehr lesen.

Peter Gabriel tourt: Wem Gesang gegeben, der kann auch in Kugeln singen. Oder auf Fahrrädern. Der spielt dabei gerne mit der Videokamera. Oder setzt seine Tochter in ein Ruderboot. Der hat also viel, viel Zeit.

Wem Gesang gegeben, der kann auch in Kugeln singen. Oder auf Fahrrädern. Der spielt dabei gerne mit der Videokamera. Oder setzt seine Tochter in ein Ruderboot. Der hat also viel, viel Zeit.

(Foto: / SZ v. 28.04.2003)

Kinder haben zum Beispiel auch unvorteilhafte Eigenschaften. Sie machen Quatsch, wenn sie keinen machen sollen, sie reden, wenn sie nicht reden sollen, sie klettern auf komplizierte Türme aus selbst kombinierten Möbeln, um auf sich aufmerksam zu machen, sie besitzen schließlich insgesamt: die Begabung, sich zu verzetteln. Dass sie liebenswert sind, die Kleinen - Gott, klar.

Der Engländer Peter Gabriel ist 53 Jahre alt und ein Kind? Er ist ein Kindskopf.

Gesagt werden darf das nur mit der Wertschätzung dafür, dass auch bei einem brillantbegabten Künstler wie Gabriel der leichtere Weg der übliche Zynismus wäre, mit dem man heutzutage im Fahrenden Gewerbe und sonstwo eine große Nummer wird oder eben bleibt: Gabriel aber, obwohl ihm die Einsicht zum Zyniker gelänge, ist nie einer geworden. Vielmehr müht sich dieser Seelenforscher sehr darum, verstanden zu werden, so dass man nach einem nahezu dreistündigen Konzert das Gefühl hat, nicht einem kleinen Kinde beim Winken mit dem Zaunpfahl zugeschaut zu haben. Sondern einem großen beim Winken mit dem ganzen Zaun.

Die Hamburger Color-Line-Arena ist randvoll mit Menschen, die Gabriel in Deutschland seit zehn Jahren nicht mehr gesehen haben, es sei denn, sie gehören zu jenen, die vor einem Jahr seinen hinreißenden Auftritt auf dem Münchner Königsplatz erlebten, als der Musiker - einer erfreulichen Not gehorchend - ohne jedes Brimborium ein Geburtstagskonzert für seine Plattenfirma Virgin spielte. Damals gab es eine normale Bühne vorne, und 15 000 Menschen standen davor und lauschten. Auf der Tournee nun gibt es eine Zauberbühne in der Mitte, und 15000 Menschen stehen drumherum und lauschen und aber vor allem: gucken.

Die neue Angewohnheit, die Bühne eines Rockkonzerts auch mal in die Mitte der Halle zu stellen, kann man gut finden, man muss es aber nicht. Jedenfalls ist die Anordnung des großen Kreises, der von einer zweiten Bühne, die mitunter von der Hallendecke schwebt, sowie von allerlei Tüchern und Weichgummi ergänzt wird, sicherlich gut gemeint und circensisch. Der Künstler ist so nicht nur vorne, so dass die vorne ausrasten und die hinten kaum was von ihm sehen.

Sondern er ist nun überall. Wenn auch wiederum nie überall gleichzeitig (so weit wäre Gabriel gerne), so dass in der Arena alle immer wieder kurz mal was sehen von ihm und dann für eine gewisse Zeit nur seinen Hintern, während man auf dem Rang nicht wenig Mühe hat, die auf der Bühne von Geisterhand herumgeschobenen Tastenkünstler oder den Gitarristen David Rhodes oder den Bassisten Tony Levin im Halbdunkel jeweils ihrem neuen Standort zuzuordnen.

Zumal man übrigens noch zusätzlich Ablenkung findet, wenn Gabriel und seine aparte Tochter und Backgroundsängerin Melanie minutenlang kopfüber angekettet von der Oberbühne herabhängen, was ein Bild dafür ist, dass die Welt Kopf steht, wenn der Himmel der Boden und der Boden der Himmel ist, nicht wahr, nämlich Downside Up.

Woher wir diese kluge Interpretation haben? Nun, von Peter Gabriel, der vor jedem seiner Lieder Zettel zur Hand nimmt, und anhand jener Zettel in deutscher Sprache Geschichten zu seinen Liedern erzählt, lange Geschichten, und auch das ist wieder so wahnsinnig nett, man muss aber eben auch sagen: Herrschaften, das dauert!

Verzettelnd und dynamikbremsend sind die Bemühungen Gabriels, fast alles, was sich durch seine pochende, gleißende, zuckende, dann wieder melancholische Musik, durch seine kehlige, einmalige Stimme von selbst erschließt, noch einmal durch langwierige Bühnenumbauten, Turnübungen und Vorträge ein zweites und drittes Mal zu erläutern. Der oft genug stilbildende Gabriel ist, ohne Hub-Bühne oder Verkleidung, ein Bühnenbolide von Gottes Gnaden - der in Hamburg aber ein Konzert gibt, das ein wenig wirkt wie ein chronischer Boxenstop.

Circa 15 mal geht es an diesem Abend fast los und dann aber doch nicht.

Muss vor "Sledgehammer" minutenlang alles umgebaut und der Meister in einen Leuchtmantel gestopft werden? Muss er zu "Solsbury Hill" im Bühnenrund Fahrrad fahren und winken? Muss seine Tochter bei "Mercy Street" in einem Ruderboot sitzen wie eine Schauspielfluse bei Rosamunde Pilcher? Muss er zur "Barry Williams Show" mit einer Handkamera sich selbst und seine Fans filmen? Ein interaktiver Vorgang von eher plakativer Peinlichkeit, der an den furchtbaren U2-Sänger Bono Vox erinnert, von dessen missionarischem Gemäre Peter Gabriel doch weit entfernt scheint.

So. Und war dies also ein schlechtes Konzert? Nein, wäre es das gewesen, man hätte gesagt: Immerhin! Und auch muss klar sein: Die Leute waren ja wieder total begeistert.

Es gibt auch wirklich sehr schöne Augenblicke in Hamburg, predigen wir zum Hl.Lamm des Broadway, dass sich diese Augenblicke in den nun anstehenden Konzerten mehren mögen: Wenn Gabriel sich erläuternd kurz fasst, wenn der Weltausnahmegitarrist David Rhodes mit seinem Instrument ganze Gemälde anfertigt, wenn der unzerstörbare Tony Levin zum endlich pumpenden "Diggin' In The Dirt" seinen Bass knallen lässt und noch eine Ahnung von jenen Zeiten herübergerettet wird, die weniger "Expo 2003" und mehr die schweißtreibenden Spektakel waren, für die man einst stundenlang vor Mehrzweckhallen Schlange stand.

Es muss wohl das Jahr 1982 gewesen sein, Gabriel stand da vorne und nicht in der Mitte in einem weißen Arbeitsanzug, er schrie "Shock The Monkey", er sang "Family Snapshot", und "Lay Your Hands On Me", und dann drehte er sich um und ließ sich in die tobende Meute fallen. Hinter ihm stand derselbe Levin und donnerte wie eine Dampfmaschine. Tagelang ein Pfiff in den Ohren, ein Wummern im Schädel, ein Lächeln auf den Lippen. Eine Zeit war, in der jede Erklärung eine Erklärung zuviel war.

In Hamburg nun sagt Peter Gabriel einmal den sonderbaren Satz: "Gott könnte ein Hamster sein." Das Publikum ist ein wenig ratlos, teilt dann aber die Ansicht und spendet Beifall.

Im Alter werden die Menschen nicht zwangsläufig immer unsympathischer. Aber immer rätselhafter werden sie schon, oder?

Weitere Konzerte: 29.April Leipzig, 30.April Oberhausen, 5.Mai München, 24.Mai Stuttgart und 25.Mai Köln.

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