"Personal Jesus" von Nina Hagen:Deutschlands echter Superstar

Auf ihrem neuen Album "Personal Jesus" flüchtet sich Nina Hagen mit Gospel und Blues aus der Verschleißmaschine Fernsehen. Eine Ehrenrettung in Bildern.

Andrian Kreye

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Nina Hagen stellt ihr neues Album vor

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Auf ihrem neuen Album "Personal Jesus" flüchtet sich Nina Hagen mit Gospel und Blues aus der Verschleißmaschine Fernsehen. Eine Ehrenrettung in Bildern.

Man erinnert sich kaum noch daran, dass Nina Hagen vor über dreißig Jahren mal ein Album veröffentlicht hat, das auf deutsche Teenager eine ähnlich elektrisierende Wirkung hatte wie beispielsweise das weiße Album der Beatles auf ihre Eltern oder das Debüt von The Clash auf ihre englischen Zeitgenossen. Man will sich eigentlich auch gar nicht daran erinnern - weil Nina Hagen von der Verschleißmaschine Fernsehen längst zu einem Zerrbild reduziert wurde. Zu einer Krawallschachtel, die immer dann in eine Talkshow eingeladen wird, wenn man mal jemanden braucht, der so richtig "schrill" und "schräg" daherkommt, oder was Fernsehredakteuren sonst noch an Adjektiven einfällt, um jemanden zu beschreiben, der telegen auffälliges Sozialverhalten garantiert.

Nina Hagen am Rande einer Pressekonferenz in der Parochialkirche am 10. Juni 2010.

Text: Andrian Kreye /SZ vom 10.7.2010/sueddeutsche.de/luc

ARD-Frühlingsfest der Volksmusik - Hagen

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Man sollte das Fernsehen dafür hassen, weil dieser Verschleiß Nina Hagen in eine Reihe von Medienmonstern gestellt hat, die mit Didi Hallervorden und Karl Dall anfängt und mit Guildo Horn und Cindy aus Marzahn noch lange nicht zu Ende ist. Man muss das Fernsehen dafür hassen, weil es Deutschlands einzig echten Superstar, der in New York, London und Paris immer noch viel gilt, in der Heimat unmöglich gemacht hat hat. Was da verloren ging, zeigt ihr neues Album Personal Jesus (Koch/Universal), das nächste Woche erscheinen wird.

In Los Angeles hat sie dafür Gospel, Blues und Country eingespielt, die Urformen des Pop, die sie so souverän beherrscht, als sei sie damit aufgewachsen. Dabei zwingt sie den Hörern ihren neugefundenen christlichen Glauben mit einer Kraft auf, der man sich nur schwer entziehen kann. Das kann sie, weil sie eine Stimme hat, die von der Kälte einer Grace Jones bis zur Raserei einer frühen Tina Turner sämtliche emotionalen Register beherrscht. Wenn sie denn einen Produzenten hat, der ihren Drang zur Alberei und Übertreibung bremst. Den hat sie mit Paul Roessler gefunden. Der hilft ihr dabei, genau jenen Siedepunkt zu finden, an dem ihre Stimme nicht in den Klamauk überkocht.

Nina Hagen beim ARD-Frühlingsfest der Volksmusik 2006.

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Quelle: ag.ap

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So schließt sie noch einmal an jenen Spätherbst von 1978 an, als sie mit Songs wie TV-Glotzer, Heiß und Auf'm Bahnhof Zoo kleine Schockwellen durch die deutschen Jugendzimmer schickte. Damals schrieb sie den Soundtrack für die wilden Jahre deutscher Halbstarker und Backfische. Denn mal ehrlich - was in den späten siebziger Jahren aus England und den USA importiert wurde, hatte in den westdeutschen Speckgürteln nicht besonders viel Relevanz. Weder der Klassenkampfgestus, den sich Bands wie The Clash, The Stranglers oder die Sex Pistols für sich beanspruchten, noch der ästhetische Nihilismus, den die New Yorker Boheme um Patti Smith, Television und die Ramones inszenierte, hatte irgend etwas mit den Lebenswelten in der behüteten Ödnis der Bundesrepublik zu tun. Das waren akustische Abenteuerfilme aus einer Welt der Metropolen, die in der deutschen Provinz letztlich doch nur eine Fortsetzung exotischer Kindheitserlebnisse waren, wie eine Nachmittagsvorstellung von Der Rote Korsar oder Ben Hur.

Nina Hagen bei einem Auftritt 1998.

HAGEN

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Nina Hagen hatte es jedoch geschafft, die Energie des Punk und das aufkeimende Potenzial des New Wave in etwas adäquates Deutsches zu kanalisieren. Das hatte sicherlich etwas mit ihrer Biografie zu tun. Nach ihrer Ausbürgerung aus der DDR 1976 hatte sie die beiden folgenden, entscheidenden Jahre in London verbracht. Das Schicksal der exilierten Dissidentin und die Zeit in der Punk-Boheme waren vielleicht nur kurze Episoden - aber die prägten sie nachhaltig.

Es hatte aber wie bei den meisten großen Pop-Phänomenen etwas damit zu tun, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun. Exaltierter Softpunk mit klassisch geschulter Stimme und rotziger Sozialkritik an bundesdeutschen Verhältnissen hätte fünf Jahre früher oder später nicht funktioniert. 1978 aber, als die Popkultur ganz allgemein am Wendepunkt vom Punk zum New Wave eine Offenheit entwickelte, die sie erst zwanzig Jahre später wiederentdecken sollte, kam Nina Hagen gerade richtig.

Nina Hagen 2004 bei einer Veranstaltung zum Nationalen Mukoviszidose Tag vor dem Berliner Reichstag.

Star Duell

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Neunzehn Alben hat sie seit ihrem Debüt veröffentlicht. Doch keines hat nennenswerte Spuren hinterlassen. Weder in der Popgeschichte, noch in den Hitparaden. Keine Spuren jedenfalls, die ihre penetrante Fernsehpräsenz hätten überstrahlen können. Ganz unschuldig ist Nina Hagen nicht an der Rolle, die sie im deutschsprachigen Europa seit nun schon Jahrzehnten spielt. Nicht einmal ein Jahr nach ihrem Debüt begründete sie in der österreichischen Talkshow Club 2 ihren Ruf als telegene Schreckschraube. Da demonstrierte sie mit ein paar Gesten die erogenen Zonen der Frau. Im Österreich und Deutschland der späten siebziger Jahre reichte das immer noch für einen Skandal.

Nina Hagen 2004 bei der RTL Show 'Star Duell'. 

OSTERSPAZIERGANG

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Es mag ein Zeichen für mangelnde soziale Intelligenz sein, dass sie aus dem bleiernen Debattentran der deutschen Senderkultur immer wieder mit unbedachtem, oft unflätigem Geplapper ausgebrochen ist. Und dann waren da noch die Ufos, die exotischen und heimischen Götter, die Ahnen und die Außerirdischen, an die sie so fest glaubte. John Lennon, Iggy Pop oder Madonna hat man derlei allerdings nie vorgeworfen. So hat sie nun die Flucht in die Größe angetreten. Der Albumtitel ist keineswegs nur ein Verweis auf die neueste Phase ihrer nicht enden wollenden Suche nach einer spirituellen Heimat. Personal Jesus ist ein Song von Depeche Mode, den Johnny Cash auf dem vierten seiner minimalistischen Spätalben zum modernen Klassiker veredelte, und somit zu einem musikalischen Lackmustest.

Nina Hagen singt 2001 in Frankfurt.

HAGEN

Quelle: ap

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Spielt man Nina Hagens Version jemandem vor, der den Song gut kennt, ohne zu sagen, wer ihn da singt, beginnt das große Rätseln. Ob das Bob Dylan produziert habe oder Jack White, ob die Sängerin schwarz oder weiß sei, man kenne die Stimme irgendwie, könne das aber nicht einordnen. Man kann dann noch die letzte Nummer des Albums auflegen, Sometimes I Ring Up Heaven einen schweren Blues von Anthony Heilbut. Auch da hört man vor allem eine Stimme mit einer einzigartigen dynamischen Bandbreite. Und bekommt eine Ahnung davon, wie tief Nina Hagen auf dieser Platte in die Substanz der amerikanischen Musik eingetaucht ist. Heilbut ist ein Literaturwissenschaftler, der mal eine Thomas- Mann-Biografie geschrieben hat, seine wahre Berufung allerdings als Produzent von Gospelplatten sieht, die von der Kritik zwar als wegweisend beschrieben, vom christlichen Stammpublikum allerdings nicht angenommen werden.

Nina Hagen, Cosma Shiva Hagen und Eva-Maria Hagen 1998.

NINA HAGEN

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Jedes einzelne Lied ist so ein Stück Americana. Da singt sie Woody Guthries All You Fascists in der Fassung von Billy Bragg - und das alttestamentarisch finstere Traditional Run On im Arrangement von Elvis Presley. Sie eröffnet die Platte mit der schweren Gospelnummer God's Radar, von einem obskuren Mundharmonikaspieler namens Dan Smith aus Alabama, den Pete Seeger einst in die Beatnikkneipen des Greenwich Village brachte; und sie singt gleich zwei Stücke der unbekannten Gospelsängerin Margaret Ellison.

Nun hat Paul Roessler ihr gemeinsam mit dem Gitarristen Marcus Watkins zwar furiose Arrangements eingespielt, die mit ihren Trap Drums und Slidegitarren, mit ihren aufwallenden Orgelakkorden und Antwortchören ein Maximum amerikanischer Authentizität schaffen. Doch es ist vor allem Nina Hagens Stimme, die das Album trägt. Eine Stimme, die eine Kathedrale zum Erzittern und einen herzlosen Menschen zum Weinen bringen könnte.

Nina Hagen 1999 auf ihrer Tournee "Indische Nacht".

NINA HAGEN

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Nina Hagen ist nicht die erste, die aus einer Krise tief ins Wurzelwerk der amerikanischen Musik flüchtet. Die Byrds taten das auf Sweetheart Of The Rodeo, die Stones auf Exile On Main Street, Grateful Dead retteten sich damit aus der Sackgasse der Hippiebewegung. Ob es Nina Hagen in Deutschland schafft, mit diesem Album ihrer Medienpräsenz zu entkommen, wird nicht zuletzt vom deutschen Publikum abhängen, das mit solchen Americana-Juwelen vielleicht nichts anzufangen weiß. Musikalisch hat sie sich jedenfalls rehabilitiert. Wenn schon nicht als Superstar, so zumindest als Legende.

Nina Hagen 2000 während der Premiere ihres Buehnenprogramms "Ninas Welt.

© sueddeutsche.de/luc
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