Performance:Stimmen hören

The Speaker

Sprachergründer: Komponist Werner Dafeldecker, Performerin Pan Daijing und Klangkünstler Valerio Tricoli (v.l.).

(Foto: Dafeldecker/Daijing/Tricoli)

Zwischen Klangkunst und Sprachkritik - "The Speaker" im Schwere Reiter

Von Jürgen Moises

Wenn jemand mit sich selber spricht, dann kann das völlig normal sein, aber auch ein bisschen pathologisch. Es kann sich lustig, unterhaltsam anhören, ein wenig seltsam, schräg oder auch unheimlich. Bei der Klangkunst-Performance "The Speaker" ist all das möglich, und wie das Publikum in München reagieren wird, das kann Valerio Tricoli nicht sagen. Der italienische, seit fünf Jahren in München lebende Komponist und Klangperformer hat "The Speaker" erarbeitet, zusammen mit dem österreichischen Improvisationsmusiker und Komponisten Werner Dafeldecker und der chinesischen Sängerin und Performerin Pan Daijing. An diesem Freitag ist ihre Performance nach den Stationen Berlin, Stockholm und Mexiko als Münchner Erstaufführung im Schwere Reiter zu erleben.

Realisiert haben die drei Klangkünstler ihr Stück mithilfe des Projektstipendiums Junge Kunst/Neue Medien der Stadt München, mit dem "The Speaker" 2017 prämiert wurde, sowie mit Projektfördermitteln der Initiative Neue Musik in Berlin, wo Daijing und Dafeldecker leben. Was schon mal zeigt: Ein einfaches Selbstgespräch kann "The Speaker" dann doch nicht sein. Und mit all seinen Facetten ist es in der Tat auch gar nicht so leicht zu beschreiben. Da ist zum einen Pan Daijing als Sängerin und Sprecherin, die auf der Bühne mit sechs Lautsprechern und vielleicht auch mit dem Publikum interagiert. Für ihre Handlungen gibt es nämlich keine genauen Vorgaben. Und wenn sie sich entscheidet, herumzulaufen oder auch gar nichts zu tun, dann ist das, so Valerio Tricoli, in Ordnung.

Aus den sechs Lautsprechern wird man ebenfalls Daijings Stimme hören, in Form von Samples, die in Berlin aufgenommen wurden. Dafür sind Tricoli und Dafeldecker zusammen mit Daijing an bestimmte Orte in der Stadt gegangen und baten sie dann, die Gedanken und Gefühle zu schildern, die diese in ihr auslösen. "An einem Brunnen zum Beispiel sprach sie über Wasser und ihre spontanen Assoziationen." Dann sollte sie, inspiriert von Ludwig Wittgensteins "Tractatus logico-philosophicus", aus ihren Lieblingswörtern Sätze bilden, und aus den Wörtern, die sie am wenigsten mag. Und: Pan Daijing hat Schlaflieder aus ihrer Kindheit eingesungen, auf Chinesisch, das neben dem Englischen die zweite Sprache von "The Speaker" bildet.

Aus all diesen Elementen haben Tricoli und Dafeldecker mehrere Klangspuren komponiert, die über die Lautsprecher parallel, aber getrennt voneinander ablaufen. Als weitere "Spur" kommt das dazu, was Daijing live singt oder spricht, aber nicht direkt, sondern ebenfalls bearbeitet. Tricoli wird ihre Stimme nämlich live mit seinem Revox B77 verändern und modulieren, sie vielleicht auch langsamer, schneller oder rückwärts laufen lassen. Das Revox B77 ist ein ¼-Zoll-Tonbandgerät, das in der Musique concrète vielfach genutzt wurde, in deren Tradition sich der in Palermo geborene Klangkünstler auch sieht. Mit diesem war der 40-Jährige bereits auf der Ars Electronica, der Biennale Musica di Venezia und auf anderen wichtigen Festivals. In München ist er live bisher nur auf dem Frameworks Festival 2017 aufgetreten.

Die ersten Ideen zu "The Speaker" hatten Tricoli und Werner Dafeldecker, der als Bassist mit Musikern wie Eugene Chadbourne, Jim O'Rourke oder David Sylvian gearbeitet hat, bereits vor einigen Jahren. Die Hauptinspiration waren laut Tricoli Aussagen von Wittgenstein wie: "Die Welt zerfällt in Tatsachen." Man könnte auch sagen: in Sätze ohne erkennbaren Zusammenhang, in ein babylonisches Sprachgewirr, in dem sich Pan Daijings Stimme immer mehr verliert. Sie wird dabei vom redenden Subjekt gewissermaßen selbst zum Lautsprecher, und tatsächlich kann das englische Wort "Speaker" sowohl "Redner" als auch "Lautsprecher" bedeuten.

Das Ergebnis dieser "Objektivierung" wirkte laut Tricoli in Berlin "kalt und furchteinflößend". In Stockholm, wo sie nachmittags in einer öffentlichen Bibliothek und inmitten der Besucher auftraten, war es dagegen "richtig cool und witzig". Auf die Wirkung in München darf man gespannt sein. Das gilt auch für den Auftritt von Caterina Barbieri, einer italienischen Klangkünstlerin, die Tricoli dazu eingeladen hat, im Vorprogramm zu spielen. Ihre abstrakten, postminimalistischen, mit modularen Synthesizern kreierten Klänge nennt sie "patterns of consciousness", also Bewusstseinsmuster. Warum, das wird man laut Tricoli beim Hören sofort verstehen.

The Speaker, Freitag, 23. Februar, 20 Uhr, Schwere Reiter, Dachauer Straße 114

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