Performance:Da wäre so viel mehr drin gewesen

Beim Festival "Body Talk" an den Kammerspielen geht es um Körperlichkeit und Geschlechterrollen

Von Christiane Lutz und Karen Bauer

Es war Zufall, dass der Song "My Body Is A Cage" von Arcade Fire gleich in zwei der Performances auftauchte. Und doch hat der Titel etwas Programmatisches: Mein Körper ist ein Käfig, der mich davon abhält, mit dem zu tanzen, den ich liebe. So heißt es im Text. Der Körper als Käfig - das hätte der Untertitel des Festivals "Body Talk" an den Kammerspielen sein können, bei dem man sich drei Tage lang mit "Körper, Märkten, Geschlecht und Sichtbarkeit im 21. Jahrhundert" beschäftigt hat. Was bedeutet es, heutzutage einen weiblichen oder einen transsexuellen Körper zu haben? Einen Körper, der anders aussieht als die ortstypische Norm, eine andere Farbe hat, ein anderes Volumen. Dabei steht ein Körper dann doch ganz besonders im Zentrum des Festivals: der weibliche.

"My Body Is A Cage", das singt ein Chor von verzweifelten, nach Gefühlen gierenden Statuen in Marlene Moteiro Freitas' schrägem Tanzstück "Of Ivory and Flesh - Statues Also Suffer". "My Body Is a Cage" singt der Münchner Knabenchor in der berührenden Performance "Normcore" von Alexander Giesche. Zwischen großen Maschinen und Pin-Up-Kalendern in der Theater-Schlosserei scheitern zwei ineinander verliebte junge Männer daran, ein Diktat der Männlichkeit zu überwinden, das sie selbst mit propagieren. Hinter Wolken von übelriechendem Männerdeo praktizieren die beiden wortlos Krafttraining und widmen sich, ebenso wortlos, einem Videospiel. Die zärtlichen Blicke, die sie einander zuwerfen, laufen ins Leere. Mein Körper, ein Gefängnis.

Anders geht es bei "Sex" zu, einer Performance des Kollektivs "Talking Straight", die ein Pickup-Seminar simuliert, also ein Aufreißer-Seminar. Diese gibt es tatsächlich und sie sind äußerst erfolgreich. Hypermännliche Typen bringen dabei unsicheren Typen bei, wie man Frauen ins Bett kriegt. Alle Zuschauer sind Teilnehmer dieses Gruselseminars und müssen lauschen, wie die Künstler in Fantasiesprache Aufreißtipps geben. Die Performance ist unterhaltsam, umgeht aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, warum solche Seminar Erfolg haben und was das über das Zusammenleben von Männern und Frauen aussagt, indem sie das Phänomen einfach ins Lächerliche zieht.

Performance: In "Henrike Iglesias" nehmen Frauen (hier Sophia Schroth) Rollen ein, die nicht gesellschaftskonform sind.

In "Henrike Iglesias" nehmen Frauen (hier Sophia Schroth) Rollen ein, die nicht gesellschaftskonform sind.

(Foto: Paula Reissig)

Wie ein Schlag ins Gesicht wirkt dagegen die Performance "Grrrrrl". Vier sehr unterschiedliche Performerinnen tun darin all die Dinge, die man offensichtlich als junge Frau noch immer nicht tut: masturbieren, an blutigen Tampons lutschen, pinkeln, rülpsen, ausrasten. Schon klar, hier soll ein für allemal mit dem Mythos der Frau als unschuldiges Blümlein aufgeräumt werden. Sie verhandeln in Windeseile Themen wie Vergewaltigung, anerzogene Passivität und Furcht vor Männern, übersteigerte Erwartungen an die Frau als Mutter, das problematische Verhältnis zur eigenen Mutter. Am Ende entschuldigen sie sich für alles, fürs Ausrasten, für ihre bloße Existenz. So, wie es Frauen viel zu häufig tun. Als zuschauende Frau möchte man hinter jeden ihrer Sätze ein großes Ausrufezeichen setzen. Es ist wichtig und mehr als an der Zeit, dass diese Themen endlich auf den Bühnen der Stadt- und Staatstheater stattfinden. Die große inhaltliche Relevanz tröstet allerdings nicht ganz darüber hinweg, dass "Grrrrrl" ästhetisch gesehen nicht sehr viel mehr ist, als eine Nummernrevue.

Hochaktuell ist die Diskussion "Köln, Kairo, München", die sich mit sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum beschäftigte. Dank verschärften Sexualstrafrecht ist künftig auch Grapschen strafbar. Bei der Diskussion wird deutlich, wie die sexualisierte Gewalt der Kölner Silvesternacht für rassistische Diskurse missbraucht wurde. Ja, man dürfe nicht verschweigen, dass in Köln viele der Täter Migrationshintergrund hatten. Aber es sei rassistisch, dabei automatisch von einem Gruppenphänomen auszugehen, wohingegen man bei sexuellen Übergriffen von Deutschen, wie etwa auf dem Oktoberfest, immer von Einzeltätern spreche. Konsens auf dem Podium: Feminismus muss antirassistisch sein.

Mit "Body Talk" zeigen die Kammerspiele wieder einmal, wie dringend sie sich an gesellschaftlichen Diskursen beteiligen wollen. Fehlleitend allerdings war die Ankündigung, Mittelpunkt des Festivals stünde die Frage, warum selbst am Theater hauptsächlich weiße, heterosexuelle, deutsche Männer das Sagen haben. Die Kammerspiele wollten sich selbst überprüfen, denn das Haus steht, was die Gleichberechtigung in künstlerisch entscheidenden Positionen betrifft, im Vergleich mit anderen Theatern eher mittelmäßig da. Am Ende blieb es bei einer einzigen Auseinandersetzung mit dem Thema, nämlich beim Eröffnungspanel "Unsichtbare Normen - Die alltägliche Diskriminierung am Theater."

Of Ivory and flesh

"My Body Is A Cage", das singt ein Chor in Marlene Moteiro Freitas' schrägem Tanzstück "Of Ivory and Flesh - Statues Also Suffer".

(Foto: Pierre Planchenault)

Stefanie Lohaus, Festivalkuratorin und Redakteurin des feministischen Missy Magazine, verlas erschreckende Statistiken, etwa von gerade mal 15 Prozent weiblicher Autoren im Spielplan der Kammerspiele in den vergangenen drei Jahren. (Einwurf von Schauspielerin Wiebke Puls vom Podium: "Das müssen zu hundert Prozent Elfriede Jelinek sein.") Und nicht nur die Frauen kommen zu wenig vor am Theater, sondern auch Künstler mit Migrationshintergrund, Transgender. Warum das so ist, konnte niemand beantworten.

Wenn die Kammerspiele schon ein derartiges Festival initiieren, wäre es unabdingbar gewesen, auch hauseigene Entscheidungsträger mit aufs Podium zu setzen und sie direkt in die Mangel zu nehmen: Warum arbeiten so wenig Regisseurinnen am Haus? Wie ist es möglich, dass es ausgerechnet dem Theater, das für sich in Anspruch nimmt, ein Ort der Diversität und Offenheit zu sein, nicht gelingt, Menschen gleich zu behandeln? Dass sich Matthias Lilienthal einer solchen Auseinandersetzung verweigert hätte, ist schwer vorstellbar. So blieben bei "Body Talk" die Frauen mit ihren wichtigen Anliegen zu großen Teilen unter sich.

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