Kinofilm Perfect Sense:Seismographen der Katastrophe

Lesezeit: 2 min

Ewan McGregor und Eva Green als Spezialeffekte. David MacKenzies Endzeitmelodram "Perfect Sense" braucht kein Bombast und Pyrotechnik - sondern nur zwei richtig gute Schauspieler.

Anke Sterneborg

In der Regel sind die Katastrophenbilder des Kinos von bombastischen Effekten geprägt, von reißenden Monstren und Mutanten, die ihre Opfer zerfleischen oder die Errungenschaften der Zivilisation zertrampeln, von gewaltigen Naturereignissen, die ganze Städte in Schutt und Asche legen, von Viren, die den menschlichen Körper von innen her zersetzen. Dagegen setzt "Perfect Sense" eine geradezu introspektive - und damit auch in europäischem Sinne budgetfreundliche - Version der Apokalypse.

Nach dem ersten Schock über den unerklärlichen Verlust des ersten Sinnes stellt die Menschheit zunächst ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis. Doch irgendwann sind es nur noch Suchende, die in der Dunkelheit versinken. (Foto: dpa)

Wie in seinen Drehbüchern für Annette K. Olesen ("Kleiner Soldat"), Hans Petter Moland ("Ein Mann von Welt") oder Pernille Fischer Christensen ("Eine Familie") verlagert der dänische Autor Kim Fupz Aakeson die Erschütterungen der Welt auch hier in intime Beziehungsgeflechte. Und für den schottischen Regisseur David Mackenzie ist auch die Science-Fiction nur eine Vorlage, um heftigen Gefühlen und Leidenschaften nachzuspüren - wie er es in seinen Filmen "Young Adam" (mit Ewan McGregor) oder "Asylum" tat.

Nach und nach verlieren in "Perfect Sense" die Menschen all ihre wahrnehmenden Sinne und werden damit von der Außenwelt ausgeschlossen. Mit den Mitteln der Wissenschaft ist der Seuche nicht beizukommen, schon formal hat sie wenig Ähnlichkeit mit Aids oder Sars, eher erinnert sie an biblische Strafen.

Es beginnt ganz klassisch, boy meets girl: Michael (Ewan McGregor) ist Koch in einem Glasgower Gourmetrestaurant und Susan (Eva Green) ist Epidemiologin - sie steht folglich beim Ausbruch der mysteriösen Seuche an vorderster Front und ist dabei dennoch genauso hilf- und ratlos wie alle anderen. Bei beiden hat sich eine gewisse Beziehungsmüdigkeit eingestellt, die nun, durch den äußeren Druck der Pandemie, eine nachdrückliche Lektion erfährt. Denn in der Not rücken die Menschen enger zusammen, und die Wahrnehmungen und Empfindungen unter Liebenden gewinnen eine neue Wertigkeit.

So werden Ewan McGregor und Eva Green gewissermaßen zu den Spezialeffekten dieser poetisch kühlen Science-Fiction-Vision. Eine flüchtige Berührung an der Wange, der Windhauch einer Bewegung auf der Haut, gewisperte Worte im Ohr: Gebannt lauschen sie den perfekten Sensationen nach, auf seltsame Weise berührt und ergriffen.

Sie haben Glück gehabt, dass sie sich gerade noch vor dem Ausbruch kennengelernt haben. So wird ihre Liebe zum Seismographen der Katastrophe, deren erste Anzeichen heftige Gefühlsausbrüche sind. Bevor die Infizierten den ersten Sinn verlieren, werden sie von überwältigender Trauer übermannt, von einem alles verzehrenden Weltschmerz.

Der Ausfall eines Sinnes ist noch zu verkraften

Wie sich die übriggebliebenen Sinne schärfen, wenn ein Sinn schwindet, ist im Restaurant von Michael gut zu beobachten. Nach dem ersten Schock über den unerklärlichen Verlust stellt die Menschheit zunächst ihre enorme Anpassungsfähigkeit unter Beweis. Nach dem Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn konzentrieren sich die Restaurantbetreiber auf Inszenierung und Konsistenz: Erst wenn immer mehr Sinne betroffen sind, wird es existentiell. Der Verlust des Gehörsinns schränkt die Verständigungsmöglichkeiten merklich ein, Nähe wird unabdingbar, und unvorstellbar bleibt am Ende der Verlust des Sehsinns. Zwei Liebende, die einander suchen, kurz bevor sie in ewige Dunkelheit versinken . . .

Wie in den besten Science-Fiction- und Horrorvisionen steht sehr viel mehr auf dem Spiel als nur das nackte Überleben. Es geht darum, wie eine Seuche die Beziehungen verändert und das soziale Gefüge, wie es die Menschenwürde zersetzt. Steven Soderbergh hat in "Contagion" gerade eindrucksvoll die Logistik der Seuche vorgeführt, die Gesetze von Ansteckung und Ausbreitung und Vorsorge in der globalisierten Welt, nun versucht David Mackenzie mit sinnlicher Intimität und kühler Poesie das Innenleben der Krisen der modernen Welt zu illustrieren. Wie auch in den Momenten der endgültigen Isolation eine neue Gemeinsamkeit geschaffen werden kann.

PERFECT SENSE, GB/D/S/DK 2011 - Regie: David Mackenzie. Buch: Kim Fupz Aakeson. Kamera: Giles Nuttgens. Schnitt: Jake Roberts. Musik: Max Richter. Mit: Ewan McGregor, Eva Green. Ewen Bremner, Connie Nielson, Stephen Dillane, Denis Lawson, Alastair Mackenzie, James Watson. Verleih: Senator, 92 Minuten.

© SZ vom 13.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Im Kino: Eva Green
:Gute Fee der Finsternis

Geheimnisvoll, unnahbar, wunderschön: Eva Green verwischt in "Womb" mit ihrem intensiven Spiel wieder einmal die Grenzen zwischen Gut und Böse. Wie schon so oft in ihrer jungen Karriere.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: