Paul Schrader, Präsident der Berlinale-Jury:Höllische Visionen

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Ein angenehmer Hauch von Konspiration hängt über der Berlinale - weil Festivalleiter Dieter Kosslick den abgründigen Visionär Paul Schrader und seinen Kumpel Willem Dafoe in der Jury platziert hat.

Fritz Göttler

Jurys sind geheimnisvolle, fragile Gebilde, undurchschaubar in ihrem Funktionieren, unberechenbar in ihren Entscheidungen am Ende eines Festivals. Man darf gespannt sein, wie Mario Adorf und Gael García Bernal, die palästinensische Schauspielerin Hiam Abbass, die Produzentin Nansun Shi und die Cutterin Molly Malene Stensgaard mit den zwei Amerikanern zurechtkommen werden bei der Vergabe der Bären.

Visionär der außergewöhnlichen Art: Paul Schrader. (Foto: Foto: dpa)

Als Jury-Leiter ist Paul Schrader natürlich eine vortreffliche Wahl. Einer der wichtigsten Filmemacher des jungen amerikanischen Kinos, und einer der wildesten dazu. Er war energisch mit dabei in den Siebzigern, als Scorsese und Coppola, Spielberg und George Lucas die amerikanische Filmindustrie aufmöbelten und schließlich übernahmen.

Drei kleine Nosferatus

Schrader, in einem streng calvinistischen Elternhaus aufgewachsen, in dem das Kino Sünde bedeutete, hat die melodramatischen Möglichkeiten des Kinos besonders exzessiv ausgekostet. Der Erfolg kam, als er für Scorsese das Drehbuch zu "Taxi Driver" schrieb, und viele der selbstzerstörerischen Spielchen, die Robert DeNiro in diesem Film treibt, sind autobiographisch. Von Dante und Dostojewskij sind die großstadt-höllischen Visionen Schraders inspiriert, mit Alkohol und Drogen wurden sie filmisch ausgereizt.

Ende der Siebziger hat Schrader dann selbst mit der Regie angefangen, und sein dritter Film, "American Gigolo", ist nicht nur das, was man heutzutage Kult nennt, sondern der wichtigste Film der Achtziger. In der Figur des Top-Gigolos, verkörpert von Richard Gere, ist die Einsamkeit des Taxi Drivers noch einmal gesteigert, und eine weitere Steigerung hat sie 1992 dann in dem Film "Light Sleeper" gefunden, in den Streifzügen eines Drogendealers.

Ein amerikanischer Archetypus, in drei Ausformungen: "Einer, der sich treiben lässt und nicht viel vom Leben hat. Aber er will ein Leben haben, weiß nicht recht wie, steht sich selbst im Weg, versteht sich selbst nicht ganz, weiß aber, dass er sich nicht versteht. Alle bewegen sich durch die Stadt wie in einem Sarg. Dahingleitende kleine Nosferatus. So wie bei Dante."

Alte Bekannte

Mit "Light Sleeper" kommt Willem Dafoe bei Schrader an Bord, sie haben sich bei den Dreharbeiten von Scorseses "Last Temptation of Christ" kennengelernt. Mehr als seine manischen Ausbrüche mag Schrader an Defoe die schwachen, schutzbedürftigen Momente.

Seit "Light Sleeper" hat Dafoe in etwa jedem zweiten Schraderfilm mitgespielt, zuletzt in "The Walker", den Schrader auf der Berlinale außer Konkurrenz präsentiert. Da taucht die Figur des Gigolo wieder auf, diesmal verkörpert von Woody Harrelson, der auch Lauren Bacall seine Dienste anbietet. Ein komplexes, fragiles Universum, in dem Paul Schrader sich bewegt - gemeinsam mit seinem Freund Willem Dafoe.

© SZ vom 8.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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