Patrick McGinley:Unter Torfnasen

Lesezeit: 4 min

"Bogmail" gilt in seiner Heimat Irland als Genreklassiker. Jetzt endlich ist diese Erkundung der irischen Volksseele zwischen Moor, Mystik und Kneipenromantik auch auf Deutsch zu entdecken.

Von Christopher Schmidt

Wenn in einem Kriminalroman ein Buch als Mordwerkzeug dient, dann muss es sich um einen ausgesprochen literarischen Kriminalroman handeln. Und in der Tat ist Patrick McGinleys "Bogmail" mehr eine gallige Provinzposse mit hochliterarischen Exkursen als ein handfestes Krimistück. Obwohl das Buch in McGinleys Heimat Irland bereits 1978 erschien und dort schon lange zu den Genreklassikern zählt, wurde es nie ins Deutsche übersetzt. Erst jetzt hat Hans-Christian Oeser sich der verschrobenen Dorfbewohner angenommen, von denen McGinley erzählt, und dem Roman eine deutsche Sprachgestalt gegeben, die seinem an Flann O'Brien und James Joyce geschulten Stil gerecht wird.

Was die Hauptfigur im Buch, den Pub-Besitzer und entlaufenen PriesterSeminaristen Roarty angeht, beschränkt sich dessen Lektürepensum allerdings mittlerweile auf eine alte Ausgabe der Encyclopædia Britannica. Wenn er spätnachts mehr oder minder volltrunken ins Bett wankt, muss er wenigstens noch einen Lexikon-Eintrag auswendig lernen, bevor ihm die Augen zufallen. Denn die Latte ländlicher Intellektualität liegt hoch in seinem Pub, einem natürlichen Treffpunkt "für Klugscheißer aus dem Dorf", die sich stundenlang über die Frage ereifern können, "ob Wildenten deswegen gemeinsam mit Brachvögeln fraßen, weil Letztere so wachsam waren".

(Foto: Stefan Dimitrov)

Roartys eigene Gelehrsamkeit erstreckt sich auf so unterschiedliche Wissensgebiete wie Pflanzenkunde, Whiskey-Brennerei und Kirchengeschichte. Schumann ist sein Lieblingskomponist, und kaum eine Alltagserscheinung gibt es, zu der ihm nicht eine passende Zeile von Shakespeare oder Keats einfiele. "Sein Leben war zu einem Buch geworden", heißt es einmal, "das genaue Textanalyse verlangte."

Ein dickes Buch kann zu vielem nützlich sein, beispielweise auch, um jemanden zu erschlagen

Dann aber entdeckt Roarty den eher rustikalen Zweitnutzen einer gut sortierten Bibliothek, als es ihm gelingt, seinen jungen Schankkellner Eamonn Eales mit einem Band der Enzyklopädie und einem einzigen Schlag ins Jenseits zu befördern. Die Giftpilze, die diesem tags zuvor in Gestalt einer Omelette surprise verabreicht worden waren, hatten ihre erhoffte Wirkung verfehlt. Nach vollbrachter Tat stellt Roarty befriedigt fest, "dass Mord ein noch besseres Abführmittel war" als Glaubersalz, und ist sozusagen doppelt erleichtert, da er glaubt, den perfekten Mord begangen zu haben, einen Mord, für den ihm keiner ein Motiv nachweisen kann.

Wer weiß schon, dass Eales sich an Roartys in London lebende Tochter Cecily herangemacht hat? Und als Roarty ein Schmuddelheft aus dem pornografischen Versandhandel sowie ein Sex-Spielzeug in Eales' Kammer entdeckt, fühlt er sich durch den Fund solchen Teufelszeugs in seiner Überzeugung bestätigt, er habe die Inkarnation des Bösen zur Strecke gebracht und seine fromme Tat fände gewiss den Beifall eines Thomas von Aquin.

Tatsächlich ist es purer Sexualneid, was Roarty treibt. Unter dem jahrzehntelangen Whiskey-Konsum nicht unter einer Flasche am Tag hat seine Potenz gelitten - nicht einmal Cecily hat er selbst gezeugt, sondern das Kind nur als Nährvater aufgezogen, nachdem die Mutter bei der Geburt gestorben war. Roarty ist erst mit sich im Reinen, als er Eales' Leiche im Moor vergraben hat, eine "von Tannin konservierte Zeitkapsel", wie er wohl weiß. Doch dann meldet sich ein Erpresser, der seine Drohbriefe mit "Bogmailer" unterschreibt - eine Wortschöpfung, zusammengesetzt aus bog, dem Namen für die irischen Torfmoore, und blackmailer, Erpresser. "Bogland" heißt ein Gedicht des irischen Literaturnobelpreisträgers Seamus Heaney.

Patrick McGinley: Bogmail. Roman mit Mörder. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2016. 344 Seiten, 24 Euro. (Foto: verlag)

Roartys Verdacht fällt sogleich auf Potter, einen zugereisten Bergbau-Ingenieur aus England, dem ewigen Unterdrückervolk. Dass dieser Potter sich dann auch noch eine der raren Wildblumen pflückt, die das karge Land von Donegal, dem nördlichsten irischen County, hervorgebracht hat, und eine Liebesbeziehung mit Nora, der Haushälterin des Gemeindepfarrers, beginnt, macht ihn nicht gerade sympathischer. Um die Pläne des Geistlichen, der den traditionellen Holzaltar durch einen Tischaltar aus Kalkstein ersetzen will, zu vereiteln, haben Roarty und seine Stammgäste eine "Anti-Kalkstein-Gesellschaft" ins Leben gerufen. Der an klerikalen Intrigen geschulte Kanonikus versteht es jedoch mit Leichtigkeit, einen Keil in die Gruppe der Verschwörer zu treiben, indem er ihre Habsucht anstachelt und sie gegen den Eindringling Potter aufbringt. Nur knapp entgeht er den Schüssen, die ein Unbekannter auf ihn abfeuert.

Nebenbei hat es Roarty auf das Ödland des alten Crubog abgesehen, der sich jedoch hartnäckig weigert zu verkaufen. Und dann ist da noch das geheimnisvolle Verschwinden von Noras roten Unterhosen von der Wäscheleine. Kommissar McGing steht vor einem Rätsel, so sehr er es auch zu schätzen weiß, kurz vor der Pensionierung seine Fähigkeiten endlich mal bei einer Ermittlung unter Beweis stellen zu können, die nichts mit Schwarzbrennern oder Putendieben zu tun hat.

Die wabernde Mystik des Moors beschwört der Autor ein wenig zu wortreich

Katholizismus, Raffgier und notorische Sexualnot in einem Landstrich, dessen Wirtschaftskraft so unterentwickelt ist wie das Liebesleben, sind die Zutaten, die Patrick McGinleys "Bogmail" zur satirischen Gärung bringt. Kein Wunder, dass die Schmähung des irischen Landlebens als Brutstätte von roher Gewalt und perversen Fantasien, die in der stickigen Enge geradezu monströs gedeihen, bei Erscheinen des Romans die Gemüter erregte. Da heißt es etwa über den Dorfarzt, er sei ein "unermüdlicher Frauenjäger", der sich darauf spezialisiert habe, gelangweilte Ehefrauen von ihrer "klimakterischen Melancholie" zu heilen. Und über einen bewaffneten Überfall: "Wir Iren sind berühmt für unseren Sinn für Humor."

Aus heutiger Sicht wirken die expliziten Passagen im Buch ziemlich verschwitzt. Da wird ein schlaffer Penis als "nichtsnutziger Wattwurm" bezeichnet und ein weniger schlaffer als "Seine Lordschaft", Analsex als "Auspufferotik" und ein großer Busen als "pneumatische Seligkeit". Sieht man von solch ranziger Sexualfolklore ab, bietet "Bogmail" ein schräges Sittenbild der irischen Provinz mit einem wahren Skurrilitäten-Kabinett an verpeilten Torfnasen und spintisierenden Kneipenromantikern. Einzig der Hang, die Mystik der Moorlandschaft allzu metaphernreich und wabernd zu beschwören, hängt dem Buch bisweilen so schwer von den Schultern wie ein regennasser Wollpullover. Aber wie schreibt McGinley über seine Landsleute: "Sie waren große Redner, zufrieden damit, über einem Pint Stout nach dem anderen sprachliche Luftschlösser zu bauen. Wenn das Wesen eines Gesprächs Kommunikation war, dann bestanden die Iren den Test nicht, da sie sich auf die Ausschmückung des Nebulösen kaprizierten."

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: