Salzburger Festspiele:Der Sound von "Fridays for Future"

Patricia Kopatchinskaja

Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja spielt nicht nur gut, sie will auch etwas bewegen.

(Foto: Marco Borggreve)

Patricia Kopatchinskajas "Dies Irae"-Konzert bei den Salzburger Festspielen ist mutig und voll Zorn.

Von Egbert Tholl, Salzburg

Die letzten Besucher suchen noch ihre Plätze in der Kollegienkirche, schon scheppert es. Ein hohles Pochen wie ein mühseliger Herzschlag ist zu hören, schroffes Brummen kündet von der Zerstörung von Klang. Giacinto Scelsis Klanginstallation "Okanagon" eröffnet ein bemerkenswertes Konzert, zu dem man sich zu später Stunde in der Kirche einfindet wie ein verschworener Haufen. Dann stürmt Patricia Kopatchinskaja mit einer Schar junger Musiker aufs Podium im Altarraum, reißt die Geige hoch wie ein Fanal und es hebt an ein Sturm ungebändigter Barockmusik.

Kopatchinskaja ist eine Künstlerin, die nicht nur hervorragend Geige spielt, komponiert und ihren Auftritten eine ungeheure performative Kraft verleihen kann, sie will auch etwas. Mehr als nur Musik machen. Vor vier Jahren erfand sie deshalb das Projekt, das nun bei den Salzburger Festspielen zu hören ist, "Dies Irae". Der Zorn, den die lateinische Totensequenz im Titel trägt, ist hier ein sehr weltlicher, akuter. Kopatchinskaja sagte einmal: "All die Kriege, die wir momentan auf unserem Planeten haben, finden statt, weil Menschen in Not geraten durch den Klimawandel."

Zunächst schiebt sie zwei Werke ineinander, die vom Krieg künden. Heinrich Ignaz Franz Biber komponierte seine Suite "Battalia" 1673, als mal wieder Krieg war in Europa. Die Musik ist weitgehend völlig verrückt, imitiert Schlachtenlärm, lässt das Orchester wie Betrunkene lallen, es tost und kracht, ungeheuer modern. Zwischen die Schlachten-Sätze schiebt Kopatchinskaja Teile von George Crumbs "Black Angels", entstanden während des Vietnamkriegs, ein Totentanz für elektronisch verstärktes Streichquartett, voller höchst surrealer Klangeffekte.

Das Klangbild von Zerstörung und letzten Hoffnungen saugt einen ein

Barock und Moderne zielen stupend kongruent aufs selbe, die erste Kulmination wird erreicht in Kopatchinskajas eigenem Stück "Wut", das so klingt, wie es heißt, voller virtuosem Furor. Als klangliches Gegenbild singt daraufhin der MusicAeterna-Chor Antonio Lottis "Crucifixus", betörend innig und intim, die zehn Sängerinnen und Sänger verteilen sich im Kirchenraum. Auf den spätbarocken Gesang folgt ein frühbarockes Instrumental-Gedicht, John Dowlands "Lachrimae antiquae novae". Zu dessen letzten Tönen wird ein Holzwürfel wie ein Sarg in den Altarraum getragen, er wird gebraucht für die "Dies Irae"-Komposition von Galina Ustwolskaja, eine bewusst enervierende Zumutung für acht Kontrabässe, Klavier und den Holzkasten, auf den Kopatchinskaja mit zwei Hämmern haut.

Vieles wirkt hier ausweglos, das Klangbild von Zerstörung und letzten Hoffnungen saugt einen ein, die Jugend der Musikanten lässt diese wirken, als kämen sie von einer "Fridays for Future"-Demo, sie improvisieren auch szenisch, mal als zu Boden gesunkenes Orchester im Liegen, mal als Posaunen von Jericho, trötend den Raum erobernd. Wie kommt man da wieder raus? Mit Trost und Erschütterung zugleich. Der Chor singt das "Dies Irae" in Gregorianischer Schlichtheit, die Mitglieder des Orchesters verteilen sich mit Lämpchen und Metronomen im Raum. Klick Klack. Aus. Eines bleibt lang übrig, wie ein letzter Überlebender. Bis auch dieses stillsteht. Ende.

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