Parallelen zwischen Kino-Marketing und Wahlkampf:Zwei Tage, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden

'Der Hobbit: Eine unerwartete Reise'

Szene aus "Der Hobbit: Eine unerwartete Reise": Schon seit Wochen läuft die Werbung zum Film rauf und runter. Der Erfolg entscheidet sich an nur einem Wochenende.

(Foto: dpa)

Hollywoods Marketing-Strategen stehen unter Druck: Auf jedem Bus, jeder Litfaßsäule, TV-Programm, Zeitung und Internetseite muss ihr Film am ersten Wochenende Aufmerksamkeit erregen. Sie arbeiten wie Wahlkämpfer.

Von Tobias Bauckhage

Es gibt vermutlich keine andere Branche, in der sich die Gesetze der Marktwirtschaft so dramatisch und brutal auf einen einzigen kurzen Moment verdichten wie in der Filmindustrie. Jahrelange Vorbereitung und Finanzierungsverhandlungen, Monate am Set, endlose Wochen im Schneideraum. Und dann: ein einziges Wochenende, das über den Erfolg oder Misserfolg einer häufig hundert Millionen Dollar schweren Investition entscheidet.

Enttäuscht der Film in den ersten drei Tagen an den amerikanischen Kinokassen, wird er weggeschoben - in Nachmittagsvorstellungen oder kleinere Säle. In der dritten Woche fliegt er aus vielen Kinos bereits ganz aus dem Programm. Denn längst drängen fünf bis zehn neue Produkte auf den Markt, das nächste Spektakel wartet, der nächste vermeintliche Kassenschlager, der hoffentlich mehr Sitze füllt.

Sind die Kinoumsätze in den USA enttäuschend, startet der Film meist auch international mit weniger Filmkopien. Und selbst das nachgelagerte DVD- und TV-Geschäft ist dann gefährdet: die Vorbestellungen der Media-Märkte, die Platzierung in den Onlineshops und sogar die Höhe der Lizenzen, die für die internationale Fernsehauswertung bezahlt werden: alles richtet sich nach dem Kinoergebnis am ersten Wochenende.

Ein Mammutprojekt wie "Cloud Atlas" von Tom Tykwer und den Wachowskis zeigt aktuell den Druck: In mehr als 2000 Kinos in den USA gestartet, waren in Woche sechs wegen der enttäuschenden Erlöse nur noch 194 Kinos im Rennen. Dieser extreme Darwinismus gibt dem Film kaum eine Chance, seine auf 100 Millionen geschätzte Produktionskosten wieder einzuspielen. Ein schlechtes erstes Startwochenende wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung für den Gesamterfolg.

Im letzten Jahr holten die erfolgreichsten 50 Filme im amerikanischen Kino mehr als 40 Prozent ihres Kino-Einspielergebnisses am ersten Startwochenende herein - danach fiel der Umsatz steil ab. Vor fünfzehn Jahren hatte ein Kinofilm üblicherweise fünf bis zehn Wochen Zeit und Raum, sich zu entwickeln und sein Publikum zu finden. Gerade einmal 13 Prozent des durchschnittlichen Einspiels wurde damals am ersten Wochenende gemacht, bei gleichem Gesamtumsatz. Der Kampf ist also eindeutig härter geworden. Heute kämpfen mehr Filme um weniger Kinosäle und weniger Kinozuschauer.

Enormer Werbedruck

Das Marketing in einem solchen Markt ist besonders anspruchsvoll. Die Kampagne für einen Film muss einen enormen Werbedruck erzeugen, der nicht nur den Wunsch im Publikum weckt, den Film zu sehen, sondern idealerweise gleich am ersten Wochenende. Die Antwort der Hollywood-Marketingchefs war in der Vergangenheit so einfach wie effektiv: der "Total-Awareness-Buyout" - eine Art Hamsterkauf öffentlicher Aufmerksamkeit.

Wenn man eine Woche vor Kinostart auf jedem Bus, auf jeder Litfaßsäule, in jedem Fernsehprogramm, in jeder Zeitung und auf jeder Internetseite präsent ist, dann kommt kein Zuschauer an der Werbebotschaft vorbei. Der Werbedruck ist einfach zu hoch. Und man geht zumindest nicht das Risiko ein, dass potenzielle Kinogänger nicht mitbekommen, dass der Film an genau diesem Wochenende startet.

Leider ist diese bewährte Strategie aber auch extrem teuer. Und sie wird immer teurer, weil nicht mehr nur fünf Fernsehsender zu buchen sind, sondern Hunderte; weil sich der Medienkonsum zunehmend fragmentarisiert und auf unüberschaubare Online-Angebote, mobile Anwendungen, Spezialzeitschriften und Digitalradio-Sender verteilt. Auf all diesen unterschiedlichen Kanälen die nötige Werbeaufmerksamkeit zu erzeugen, überfordert selbst das höchste Marketingbudget. Laut der Industriedatenbank Boxoffice Mojo sind die Marketingausgaben allein in den letzten fünfzehn Jahren von durchschnittlich 15 Mio Dollar auf 37 Mio Dollar pro Film gestiegen.

Obama macht Wahlkampf in Virginia

Mit seinem auf Zielgruppen zugeschnittenen Wahlkampf (im Bild 2008) könnte Barack Obama zum Vorbild für die Hollywood-Strategen werden.

(Foto: dpa)

Lernen von Obama

Gut und schön, könnte hier der anspruchsvolle Kinofan einwenden: Ich weiß, was ich sehen will, und Hollywoods Kommunikationsschwierigkeiten sind ja nicht mein Problem. Sind sie aber doch. Um das fatale erste Wochenende irgendwie abzusichern, setzen die Studios massiv auf die Verfilmung von Buch-Bestsellern, erfolgreichen Comicvorlagen, Computerspielen, Sequels und Prequels von erfolgreichen Filmen. Diese sind zwar teuer zu erwerben und zu produzieren, aber - so lautet die Arbeitsannahme - sie bringen auch bereits eine Fangemeinde mit, die sich einfacher fürs erste Startwochenende mobilisieren lässt. Das Ergebnis dieser Strategie ist frappierend: Letztes Jahr waren fast zwei Drittel der erfolgreichsten 30 Filme in den USA entweder Sequels, Prequels oder Bestseller-Verfilmungen. Vor fünfzehn Jahren waren es gerade einmal 15 Prozent. Um überhaupt eine Chance zu haben, die Investition wieder einzuspielen, müssen diese teureren Produktionen umso mehr Zuschauer am ersten Wochenende mobilisieren. So steigen die Marketingbudgets weiter: ein Teufelskreis.

Für uns Filmliebhaber hat dieser Teufelskreis vor allem eine Konsequenz: Die Vielfalt im Kino - jenseits von Low-Budget-Produktionen - nimmt rapide ab, aber die Gewinne der Studios im Kerngeschäft mit Kinotickets und verkauften DVDs werden trotzdem immer kleiner. Das ist das große Dilemma von Hollywood. Marketingkalkül und Rendite-Überlegungen der Finanzabteilungen dominieren zunehmend den kreativen Prozess. Und das ist nachvollziehbar, da die Produktions- und Marketingbudgets heute jeden rechnenden Menschen um den Schlaf bringen können. Die kreative Vielfalt bleibt dabei auf der Strecke, nicht einmal zu Gunsten eines besseren Geschäfts.

Das Internet, Social Media und die Daten, die dabei gesammelt werden, könnten helfen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Der Ausweg wäre ein effizienteres Marketing: die Abkehr von der immer teureren und trotzdem nicht mehr effektiven "Total Awareness"-Strategie, die Hinwendung zu einer gezielten, ausgefeilten, durch Daten gestützten Ansprache von Fangruppen, Genrekennern, Cinephilen. Früher und genauer müsste analysiert werden, wer eigentlich die Zielgruppe eines Filmes ist. Denn berücksichtigt man, dass gerade einmal 2 bis 5 Prozent der Bevölkerung regelmäßig am Startwochenende ins Kino gehen, so scheint es nicht sinnvoll, die anderen 95 Prozent flächendeckend mit teurer Werbung zu überfluten.

Und an dieser Stelle drängt sich dann die Erkenntnis auf, dass Hollywood von Barack Obama lernen könnte. Dessen viel diskutierter Präzisions-Wahlkampf stand vor einem ähnlichen Problem wie das Kinomarketing: Es ging darum, nach jahrelanger Vorbereitung und enormen Marketingausgaben an nur einem einzigen Wahltag zu siegen. Kreuze auf dem Wahlzettel, Hintern in den Kinosesseln, in beiden Fällen müssen die Menschen erst einmal mobilisiert werden, ihre Trägheit zu überwinden und die Wohnung zu verlassen.

Effiziente Stragie und Social Media

Doch statt ganz Amerika flächendeckend mit TV-Spots und Plakaten zu bombardieren, konzentrierte sich Obamas Team auf diejenigen Wähler in wenigen Bundesstaaten, die tatsächlich einen Unterschied machten: Gruppen von bisherigen Nichtwählern, die er für sich mobilisieren konnte, potenzielle Wechselwähler in den Regionen, in denen neue Mehrheiten möglich schienen. Ein beeindruckender Artikel im Time Magazine beschrieb vor zwei Wochen, wie ein zwanzigköpfiges Team aus Statistikern und Datenspezialisten bis auf Straßenebene analysierte, wo diese Wähler mit dem größten Einfluss auf das Ergebnis des Wahlabends zu finden waren. Und wie man sie am besten erreichte und motivierte. Diese datengetriebene, hoch effiziente Strategie - zusammen mit der Verwendung von modernen Kommunikationsmitteln und Social Media: Sie gilt als das Erfolgsrezept von Obamas Kampagne, das ihn zur zweiten Amtszeit geführt hat.

Würde sich das Filmmarketing mehr auf diejenigen Zielgruppen konzentrieren, die wirklich eine Hebelwirkung auf den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Filme haben, würden die Studios datengetriebener daran arbeiten, diese Zielgruppen früh zu identifizieren und ihre Motivationen zu verstehen - der Effekt auf die gesamte Filmindustrie wäre enorm. Denn man darf ja träumen.

Studios, die weniger fragwürdige Entscheidungen treffen, weil sie weniger unter Druck stehen; spannende Stoffe, die wieder größere Chancen bekommen, weil man genauer weiß, wer sich dafür interessieren könnte; Vielfalt, besser kalkulierte Risiken, weniger sinnlos verbranntes Geld, steigender Optimismus. Die Filmindustrie - in Hollywood wie in Deutschland - steckt gerade nicht in einer kreativen Krise. Sie muss nur den Teufelskreis aus Größer-Teurer-Dümmer, in den sie sich selbst hineinmanövrirert hat, schleunigst durchbrechen. Ein effizienteres und vor allem effektiveres Marketing könnte der Ausweg sein.

Mit seinem Social Media-Startup www.moviepilot.de erreicht Tobias Bauckhage zwei Millionen Kinogänger pro Monat. In Los Angeles entwickelt er derzeit neue Formen der Zielgruppen-Ansprache für die großen Filmstudios.

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