"Paradies: Glaube" im Kino:Was der Katholizismus nicht hören will

Kino Ulrich Seidl "Paradies: Glaube"

Unterm Kreuz - Maria Hofstätter spielt in Ulrich Seidls "Paradies: Glaube" die Anna Maria, deren Selbstgeißelungen mit nacktem Hintern eine Art gewalttätige Masturbation sind.

(Foto: dpa)

Religiöser Fanatismus oder der ganz normale Wahnsinn? Der Filmemacher Ulrich Seidl demonstriert in "Paradies: Glaube", dass zwischen den beiden Bewusstseinsformen kein großer Unterschied ist.

Von Susan Vahabzadeh

Der Schrecken ist steril. Keimfrei liegt das Eigenheim am Stadtrand von Wien vor Anna Maria, als sie sich für ihren Urlaub dorthin zurückzieht, blankgescheuert, textilarm und kalt, es ist Sommer, aber der Sommer muss leider draußen bleiben. Für zwei Wochen hat sie sich im Krankenhaus verabschiedet, nun ist sie frei für ihre Mission.

An manchen Tagen wird sie ihre Marienstatue einpacken und in ärmlichen Gegenden an alle Türen klopfen, um vom Segen des rechten Glaubens zu berichten - hereingelassen wird sie nur von Leuten, die zu betrunken oder zu verwirrt sind, um ihr die Türe vor der Nase zuzuknallen.

Ansonsten gilt Anna Marias Mission ihr selbst: brachiale Reinigung, sie rutscht betend auf Knien durchs Wohnzimmer, schließt sich ein in dem Raum, in dem sie ihre Devotionalien aufbewahrt und kramt die Peitsche heraus, mit der sie sich dann den Hintern versohlt.

"Paradies: Glaube" ist der zweite Teil der Paradies-Trilogie des österreichischen Filmemachers Ulrich Seidl, ursprünglich einmal geplant als ein Film über drei Frauen. Im ersten Teil lernte man Anna Marias Schwester Teresa kennen, im dritten geht es um ihre Nichte, einen übergewichtigen Teenager im Diätcamp - natürlich ergibt es nur einen Sinn, drei Menschen zu sezieren, wenn am Ende etwas erzählt wird vom Zustand der Welt.

Anna Maria also, von Maria Hofstätter verkörpert, ohne jede Angst vorm Monströsen, lebt nun ihren Glauben aus, aber die selbstverordnete Isolationshaft mit Maria und Jesus wird bald empfindlich gestört.

Heuchlerisch hochgehaltene Grundsätze

Anna Marias Ehemann taucht auf, ein Ägypter, seit er im Rollstuhl sitzt, hatte er eigentlich bei seiner Familie Unterschlupf gefunden. Nun sind die beiden gemeinsam gefangen: Er kann nicht ohne Hilfe das Haus verlassen, und sie ist in ihre eigene Glaubensfalle getappt - sie kann ihn nicht rausschmeißen, er ist ja ihr Ehemann.

Was die beiden sich antun in Seidls Tour de Force, ist grausam, ein Rosenkrieg, manchmal absurd komisch, christlich ist es wahrlich nicht. Anna Marias Glaube ist ohnehin nur formelhaft, zusammengesetzt aus heuchlerisch hochgehaltenen Grundsätzen, die sie eigentlich nicht versteht. Der Mann zertrümmert ihre überall in der Wohnung verteilten Kruzifixe, sie nimmt ihm den Rollstuhl weg. Was dabei herauskommt, ist nicht das Paradies, sondern eine irdische Hölle.

Wie immer bei Ulrich Seidl stehen die Perfektion der Bilder und die Schwäche der Menschen, die er auf ihnen nachzeichnet, in einem harten Kontrast. Er macht in vollem Umfang von seinem Recht Gebrauch, dem Katholizismus alles um die Ohren zu hauen, was der nicht hören will: Anna Marias Selbstgeißelungen mit nacktem Hintern unterm Kreuz sind eine Art gewalttätige Masturbation, eine fiese Verbildlichung, wie sich in der vermeintlichen Keuschheit unterdrückte Sexualität ihren Weg sucht.

Hat das wirklich mit Glaube zu tun?

Als "Paradies: Glaube" im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig uraufgeführt wurde, hat diese Provokation hervorragend funktioniert - reflexartig meldeten sich Religionsvertreter zu Wort, organisierten Flugblatt-Aktionen und zeigten Seidl und den Festivalleiter wegen Blasphemie an.

Aber: Hat irgendetwas von dem, was Anna Maria mit sich selbst anstellt, wirklich mit Glaube und Religiosität zu tun? Es ist natürlich nicht die herkömmliche katholische Kirche, die Anna Maria durch die Stadt schickt, sondern eine Art katholische Untergrundbewegung, im wahrsten Sinne des Wortes, ein paar Leute, mit denen sie sich in ihrem Keller trifft und die annehmen, nur sie hätten den Zugang zum rechten Glauben in einer von liberalen Heiden zersetzten Welt.

Ventil für Störungen

Es ist ziemlich bald klar: Diese Frau ist nicht ganz bei Trost, fanatischer Glaube ist hier nur das Ventil für Störungen, die zu bewältigen sie eigentlich die Hilfe eines Psychiaters bräuchte.

So gesehen geht es in "Paradies: Glaube" auch nicht wirklich um eine Religion. Und schon gar nicht um eine Religionsgemeinschaft: Es gibt hier kein Außen, der Glaube lebt von Abschottung. Und letztlich ist es auch keine Sinnsuche - für Anna Maria ist der Glaube ein Selbstzweck, den alternativen Lebensentwurf, der im Raum stünde - sie könnte sich mit ihrem Mann versöhnen -, lehnt sie ab.

Anna Maria entzieht sich der Außenwelt, sie ist seltsam losgelöst von jeder westlichen Lebenswirklichkeit - und dass Menschen so sein können, muss man dann erst einmal glauben. Fühlen kann man diese Figur nicht, anders als bei der Sextouristin Teresa in "Paradies: Liebe" gibt es keinen Moment, der es erlaubt, mit Anna Maria warm zu werden - der Film gibt sie der Verachtung preis.

So ist der mittlere dann doch jener Teil der Trilogie, der sehr wohl im ursprünglich geplanten Zusammenspiel der drei Frauengeschichten funktioniert hätte, für sich genommen aber schwer auszuhalten bleibt und wenig emotionale Erlösung bietet - nichts macht Anna Maria emotional zugänglicher, sie kommt nicht näher, dazu handelt sie viel zu irrational.

Umso fanatischer, je weniger sichtbar

Dahinter steht aber durchaus eine Haltung: Dass der religiöse Fanatismus, wenn man ihn vom gesellschaftlichen Druck trennt, von jeder Form von Außenwelt, in der er opportun wäre, eine Form des Irrsinns ist. Das ist vielleicht nicht ganz falsch, und hat dann doch auf Umwegen mit christlichem Fundamentalismus zu tun und mit der religiösen Fanatisierung, die dem arabischen Frühling den Garaus macht.

Der Religionshistoriker Olivier Roy hat in seinem Buch "Heilige Einfalt" (2010) eine sehr schlüssige Erklärung dafür gegeben, warum in einer säkularisierten Welt Fanatismus entsteht: Glaubensgrundsätze würden umso heftiger durchgesetzt, je weniger sie sichtbarer, selbstverständlicher Teil einer Gesellschaft sind, ist seine These.

Roys Buch ist ganz und gar nicht religionsfeindlich - es beklagt Abkoppelung und Reduktion, beschreibt Fundamentalismus als eine Form der Religion, die ihre kulturelle Verwurzelung verloren hat, die nur noch in Slogans existiert, wie sie auf den Plakaten stehen, die Anna Maria in ihrem Altarzimmerchen aufgehängt hat. Jesus liebt sie, aber sie weiß nicht, was das heißt.

Paradies: Glaube, Österreich 2012 - Regie: Ulrich Seidl. Drehbuch: Seidl und Veronika Franz. Kamera: Wolfgang Thaler, Ed Lachman. Mit: Maria Hofstätter, Nabil Saleh. Neue Visionen, 113 Minuten.

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