Geplante Papst-Rede im Bundestag:Kampf der Kulturen

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Darf ein Papst im Bundestag reden? Gewiss, das Parlament ist keine Kirche, doch zu unserer Demokratie gehört die Pluralität, also Widerspruch. Da schadet es nicht, wenn ein Papst im Parlament ausspricht, was andere nicht gern hören.

Stephan Speicher

Der Papst, der am kommenden Donnerstag nach Berlin reist, betritt den Boden des Kulturkampfes. Den Kulturkampf, die Auseinandersetzung der modernen Gesellschaft und des säkularen Staates mit der römischen Kirche, gab es überall in Europa. Nirgends aber wurde er so scharf ausgefochten wie in Preußen und dem deutschen Reich. 1871 setzten die ersten Maßnahmen ein, 1878 war mit dem Tod des unnachgiebigen Pius IX. und der Wahl Leos XIII. zum neuen Papst das Schlimmste vorbei, beide Seiten suchten vorsichtig den Ausgleich. Der Kulturkampf war den Katholiken an die Haut gegangen, zeitweilig hatten ein Viertel der katholischen Gemeinden Preußens keinen Priester mehr gehabt. Noch lange hatten viele Katholiken das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein. Irgendwann - der Erste Weltkrieg dürfte eine Rolle gespielt haben - hatte auch das sich ausgewachsen.

Papst Benedikt XVI. besucht vom 22.bis 25.09.2011 Deutschland. Während seines Besuches wird er auch im Deutschen Bundestag eine Rede halten. (Foto: dpa)

Was aber dem Kulturkampf bis heute unsere Aufmerksamkeit sichert, das ist der Auftritt eines aggressiven Liberalismus, des Zusammenstoßes von staatlicher und außerstaatlicher (Rechts)Kultur. Gibt es überhaupt außerstaatliches Recht? Wenn in den jüngsten Tagen der Bundestagsabgeordnete Rolf Schwanitz (SPD) erklärte, er wolle die Rede Benedikts nicht hören, der Bundestag sei "weder ein Ort der religiösen Missionierung noch eine Kirche", so berührt er den Punkt, der hinter dem Kulturkampf stand. Gewiss ist das Parlament keine Kirche. Aber was heißt das?

Bismarck selbst war an einer Auseinandersetzung mit der Kirche nicht interessiert, er riet noch zur Ruhe, als die bayerische Regierung schon unruhig wurde angesichts der vatikanischen Politik. Als aber der Streit losging, da bestand er auf dem Vorrang staatlichen Rechts. Und bald sah er, wohl nicht zu Unrecht, dass die katholische Geistlichkeit in den polnischen Gemeinden Preußens die amtliche Germanisierungspolitik unterlief. Das durchkreuzte seine Politik. Und hier verband sich seine Überzeugung vom Vorrang des staatlichen Machtanspruchs mit den Überzeugungen der Liberalen. Einer ihrer Vorkämpfer, Rudolf Virchow, hatte das Wort vom "Kulturkampf" aufgebracht, das Bismarck gern mit dem Zusatz "sogenannter" abmilderte. Und doch lief die Sache von Regierung und Liberalismus parallel.

Allerdings hatten die Liberalen gute Gründe für ihr Unbehagen an der römischen Kirche. Der katholische Liberalismus, der vor allem in Frankreich und Belgien, aber auch in Deutschland ziemlich stark war, befand sich seit einiger Zeit auf dem Rückzug. In Gregor XVI. war 1831 ein scharf reaktionärer Camaldulensermönch zum Papst gewählt worden, der systematisch eine ultramontane Kirchenpolitik durchsetzte. Ultramontan, das hieß: Vorrang des Papsttums, Einschränkung der Gewalt der Ortsbischöfe. Darüberhinaus wurden liberale Anschauungen in Theologie und Gesellschaft verdammt, insbesondere die Vorstellung der individuellen Gewissensfreiheit als "ganz verderblicher Irrtum" bezeichnet. Unter Pius IX. (1846 -1878) gewann dieser Kurs an Prägnanz. Im Syllabus errorum wurde das liberale Denken in achtzig Sätzen als irrig verurteilt, im Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) die Vorherrschaft des Papstes bestätigt und - besonderer Skandal - seine Unfehlbarkeit erklärt. Dies musste die aufgeklärten Zeitgenossen irritieren, und auch der Zustand des Kirchenstaates mit seinem Schlendrian, der Korruption und dem beschämenden Bildungsniveau war nicht dazu angetan, Respekt vor der Kurie zu wecken.

Auch unter den deutschen Bischöfen fand die Lehre von der Unfehlbarkeit wenig Zustimmung, die meisten verließen Rom, bevor es zur Abstimmung kam, erkannten die Verbindlichkeit der Konzilsbeschlüsse dennoch an. Einzelne Geistliche, die das nicht taten, wurden mit Disziplinarmaßnahmen überzogen, verloren die geistliche Lehrbefugnis oder wurden exkommuniziert. Wo sie als Lehrer oder Militärseelsorger auch dem Staat verbunden waren, da begannen die Probleme aus dem Religiösen ins Politische zu wachsen.

Eines der ersten Gesetze gegen die Kirche war der "Kanzelparagraph". Mit dem Reichsgesetz (§ 130a StGB) wurde Geistlichen untersagt, in Ausübung ihres Amts zu politischen Themen Stellung zu nehmen, sofern dadurch der öffentliche Frieden gefährdet werde. Es war erkennbar ein Gesetz zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, dennoch fand es liberale Verteidiger. Einer bemerkte scharfsinnig, es könne der Prediger sich nicht auf eine Redefreiheit beziehen, die er seinem Publikum nicht gewähre, es sei ja schließlich nicht möglich, in der Kirche zu widersprechen. Der große Jurist Rudolf Gneist hielt der Kirche vor, die Schwachen, nämlich Frauen und Kinder, zu manipulieren. Also müsse der Staat deren Freiheit vor der Kirche schützen.

Die bekanntesten, auch dauernden Ergebnisse des Kulturkampfes waren die Einführung der Zivilehe im Reich und das Ende der geistlichen Schulaufsicht in Preußen und anderen Staaten. Rudolf Virchow begrüßte das, die katholische Kirche erfülle längst keine Kulturmission mehr. Allerdings gab auch er zu, dass durch das neue Schulaufsichtsgesetz jedenfalls für eine Weile eine "ministerielle Diktatur" geschaffen werde.

Von heute aus lag in der Schulaufsicht allerdings noch nicht das Problem. Wohl aber in den "Maigesetzen", die 1873 erlassen und zwischen 1880 und 1887 wieder aufgehoben wurden. Mit ihnen griff der preußische Staat ins Innenleben der katholischen Kirche ein. Die Anstellung der Geistlichen sollte der Zustimmung der Oberpräsidenten unterliegen, die Ausbildung der Kleriker unter Staatsaufsicht stattfinden. Besonders bemerkenswert: das "Kulturexamen", mit dem angehende Priester Kenntnisse in Philosophie, Geschichte und deutscher Literatur nachweisen sollten. Spätestens hier zeigte sich der Konflikt in der Tat als Kampf der Kulturen.

Die Liberalen traten für eine individuelle Freiheit ein, die sie durch die Freiheit der Institution römische Kirche gefährdet sahen. Sie folgten in ihrer individualistisch geprägten Modernität indes selbst wieder einem allgemeinen, institutionalisierten Ideal, das wesentlich aus reformatorischer Theologie, deutschem Idealismus, Geist der Goethezeit gewachsen war. Darauf sollten auch die Katholiken geprägt werden. Eine Nation wollte sich formen, eine Identität ausbilden, und "diese Identität war mehr auf Homogenität als auf Pluralität ausgerichtet", wie der Historiker Thomas Nipperdey schrieb. So war das, was die liberale Öffentlichkeit wollte, auf einem allerdings deutlich höheren intellektuellen Niveau nicht sehr von dem verschieden, was auch die Kurie wollte: ein Monopol. Gneist, als Kämpfer für eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit gewiss ein Held der Freiheit, sprach es aus: Der Staat solle nicht bloß Gesetze geben, sondern "höhere Normen, (...) höhere, allerdings sittliche Gesetze der Ordnung". Der Staat sollte die Kirchen ablösen auch in der Setzung der Werte.

Doch zur Freiheit gehört es, dass nicht der Staat sittliche Gesetze erlässt. Das ist Sache der Bürger und ihrer gesellschaftlichen Zusammenschlüsse, auch der Kirchen also. Es ergibt sich aus Pluralität, also Widerspruch. Und so schadet es nicht, wenn ein Papst ausnahmsweise im Parlament ausspricht, was andere nicht gern hören.

© SZ vom 19.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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