Panama Papers:Verstecke für Nazi-Raubkunst - was der Fall Modigliani für die Kunstwelt bedeutet

GENEVA FREEPORTS

Der Genfer Freeport: Was hier alles lagert, weiß niemand so genau.

(Foto: dpa)

Geheimniskrämerei ist im Kunstbetrieb üblich. Das schadet nicht nur den Erben in der NS-Zeit enteigneter Juden.

Analyse von Kia Vahland und Frederik Obermaier

Es bewegt sich etwas im Raubkunstfall des "Sitzenden Mannes" von Amedeo Modigliani, recherchiert von der Süddeutschen Zeitung und einem internationalen Journalistenteam: Wie berichtet, beschlagnahmte die Schweizer Staatsanwaltschaft im Genfer Zollfreilager das Gemälde, das dem jüdischen Sammler Oscar Stettiner wohl einst von den Nazis in Paris geraubt worden war.

Es dürfte sich weiterhin im Genfer Freeport befinden, doch die Besitzer können es nun nicht mehr fortbewegen. Offenbar wollen die Ermittler verhindern, dass das Werk das Land verlässt.

Aus dem Umfeld der Ermittler ist zu hören: Bei der Untersuchung geht es auch um die Frage, was Rodolphe Haller, der die Räume im Freeport zur Verfügung stellt, über die Besitzverhältnisse des Modigliani wusste. Offiziell soll das Werk der in Panama gemeldeten Firma International Art Center gehören. Erst die Nachforschungen der Süddeutschen Zeitung und ihrer Kooperationspartner in den Panama Papers hatten ans Tageslicht gebracht, dass das International Art Center offenbar dem Kunstsammler Davide Nahmad zuzurechnen ist. Im New Yorker Rückgabeprozess um den Modigliani hatte die Familie Nahmad noch behaupten können, das Bild nicht zu besitzen.

James Palmer von der Kunstdetektei Mondex, die den Fall betreut, begrüßt nun die Beschlagnahmung: So sei es im Fall eines Erfolgs vor Gericht leichter, schnell eine Herausgabe des Porträts zu erwirken.

Für den weiteren Verlauf des Prozesses stellen sich nun Fragen zur Handelsgeschichte des Gemäldes. Es war zwischen seinem Verkauf durch die Nazis und einer Auktion bei Christie's im Jahr 1996 von der Bildfläche verschwunden. Nach einem französischen Ermittlungsbericht von 1947 hat ein Mann namens Van der Klip das Bild 1944 erstanden. Der jedoch behauptete seinerzeit, den Modigliani weiterverkauft zu haben - und das Werk deshalb leider dem damals noch lebenden Oscar Stettiner nicht zurückgeben zu können, wie es rechtmäßig gewesen wäre.

Als das Gemälde im Jahr 2008 - vergeblich - beim Auktionshaus Sotheby's angeboten worden ist, wurde im Katalog ein "J. Livengood" als weiterer Käufer aus der Kriegszeit genannt. Womöglich bekam er das Werk von Van der Klip. Der Provenienzforscher Willi Korte weist darauf hin, dass der Name Livengood 2009 auf der Traueranzeige einer Maud Van der Klip erschien. Dies legt eine Verbindung zwischen den beiden Käuferfamilien nahe. Es scheint nicht ausgeschlossen zu sein, dass das Gemälde in all den Nachkriegsjahrzehnten bis 1996 Frankreich nie verlassen hat.

Darauf deutet noch etwas hin: Bisher nicht bemerkt worden ist der Eintrag zu dem Gemälde in einem Werkverzeichnis von 1970, verfasst von dem Kunsthistoriker Joseph Lanthemann. Erstaunlich exakt beschreibt er die Farben des Gesichts, des Huts und der Kleidung des "Sitzenden". Nur: Woher wusste das Lanthemann so genau, wenn es damals von dem Gemälde bloß eine Schwarz-Weiß-Fotografie gab? Hat er das Bild in Privatbesitz gesehen, etwa in Frankreich? Hilfreich wäre, Christie's und Sotheby's, die das Gemälde 1996 und 2008 im Angebot hatten, würden ihre Informationen zu den Vorbesitzern offenlegen.

In Offshorefirmen und Freeports lässt sich vieles verbergen: Raubgut und Fälschungen etwa

Derweil erscheinen die überlieferten Fakten aus der NS-Zeit selbst belastbarer als in manchen anderen Raubkunstfällen: Ein Behördenschreiben von 1946 bestätigt Stettiner, dass er an die Nazis einen Modigliani verloren hatte, damit dürfte es sich um Raubkunst handeln. Zudem gibt es ein Foto der Venedigbiennale von 1930, die das Modigliani-Gemälde des sitzenden Mannes mit Stock und Hut zeigt. Und im Katalog der Schau sowie in der damaligen Biennalekorrespondenz taucht Stettiner als Besitzer dieses Männerporträts auf.

Was den Fall des "Sitzenden Mannes" kompliziert macht, ist also nicht die historische Quellenlage - es ist die Geheimniskrämerei der Akteure, und die hat System. Im Kunsthandel wird vieles diskret behandelt, was in anderen Branchen offengelegt werden müsste. So können Freeports Anonymität zusichern. Die vielen Hunderttausende, wenn nicht Millionen Kunstwerke, die weltweit zollfrei in solchen Lagern aufbewahrt werden, verschwinden für alle Nichteingeweihten aus dem Blick. Manchmal werden einzelne Werke auf Ausstellungen in privaten Galerien oder öffentlichen Museen gezeigt, doch selbst dann wissen die Kuratoren nicht unbedingt, wessen Besitz sie ausstellen. Nicht identifizierbare Briefkastenfirmen sind bei manchen international agierenden Großsammlern beliebt, insbesondere bei jenen, die Kunst als Spekulationsware begreifen.

Die im Kunstbetrieb üblichen Versteckspiele schaden nicht nur den Erben in der NS-Zeit enteigneter Juden. Sie erleichtern auch den Handel mit anderem Raubgut, etwa von Antiken aus Plünderungen im Nahen Osten oder den Mittelmeerländern. Die Herkunft wird bis zur Unkenntlichkeit verschleiert und Objekte bleiben in Freeports, bis sie wieder handelbar erscheinen.

Auch das Geschäft mit Fälschungen und Fehlzuschreibungen bedient sich des Netzes aus Freeports und Offshore-Firmen, wie der Prozess um den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi beispielhaft gezeigt hat. Fragwürdige Bilder werden mit massiven Preissteigerungen von Käufer zu Käufer weitergereicht - bis niemand mehr an ihrer Echtheit zweifelt.

Was die Kunst braucht, ist mehr Transparenz. Denn um in Lug und Trug unterzugehen, ist sie einfach zu schön und zu wichtig.

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