Pamuk und Rushdie über Heimat:Kansas ist schwarz-weiß

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Wo ist zuhause, wenn man die Heimat verlassen hat? Die Wahl-New Yorker Salman Rushdie und Orhan Pamuk sprechen über den Zwiespalt des Fortgehens und eine Erzählung, die nie zu Ende kommt.

Jörg Häntzschel

"Homeland" ist ein sperriger Begriff im Amerikanischen, er wird kaum verwendet. Erst seit Bush nach dem 11. September die Monsterbehörde Department of Homeland Security erfand, kam das Wort wieder in Umlauf - und erhielt gleich eine paranoide Note. "Homeland", das ist die Heimat, die in Gefahr ist und verteidigt werden muss.

Salman Rushdie und Orhan Pamuk über "homeland" diskutieren zu lassen, wie das der New Yorker am Freitag bei einer der Veranstaltungen seines jährlichen Kulturfestivals tat, versprach, dem Thema einen interessanten Dreh zu geben: Pamuk hat fast sein ganzes Leben in Istanbul verbracht, doch seit seinen Äußerungen zum türkischen Genozid an den Armeniern ist er im eigenen Land nicht mehr sicher.

Amerika, wo er unter anderem an der New Yorker Columbia University lehrt, ist seine zweite Heimat geworden. Auch Rushdie lebt, nach den langen Jahren, die er versteckt in England verbrachte, heute in New York. Profitieren beide also von Amerikas neuer Sicherheitshysterie? Sind sie in den USA, weil sie sich hier am besten geschützt fühlen? Doch das Wort "homeland" fiel auf der Bühne nur ein einziges Mal, danach wählte die Moderatorin das viel neutralere "home", die Heimat, das Zuhause.

Beide Autoren umarmen in ihren Werken ihre Heimat emphatisch wie wenige Zeitgenossen, beide werden andererseits in ihrer Heimat tödlich bedroht. Und doch einigten sie sich sofort auf eine pragmatische Definition des Begriffs. Heimat, das sei höchstens insofern ein privilegierter Ort, als man dort seine Augen öffne, zum ersten Mal rieche, Sprache höre, Menschen sehe. Kein Ort, den man später bewohne, könne einen ähnlich bleibenden Eindruck hinterlassen. "Alles, was danach kommt, erscheint ein bisschen falsch, unecht", meinte Pamuk.

Er schreibe über Istanbul, weil es nun einmal der Ort sei, an dem er diese Erfahrung gemacht habe, der Ort auch, über den er mehr wisse als über jeden anderen. Im übrigen plädierte er für ein entspanntes Verständnis des Begriffs. Man kann - wie Pamuk - unter derselben Adresse wohnen, und sich dabei - in intellektuellen Reisen -. weit von seiner Heimat entfernen. Man kann sie erfinden. Man kann seine Sprache als Heimat verstehen, dann lässt sie sich überallhin tragen. Ohnehin entwickle man erst fern von der Heimat ein Gefühl für sie.

Pamuk, der erst spät zu reisen begann, war sehr erstaunt, als Chronist der Türkei gelesen zu werden, wo er doch glaubte, über die Menschheit geschrieben zu haben. Das Lokale zu beschreiben, die Gerüche, den Straßenlärm, die Physiognomien der Mitmenschen, und das Universale zu sagen, das gelinge nur in seltenen historischen Konstellationen wie etwa in Balzacs Romanen.

Verspielt sein, Voyeur sein

Sehr viel komplizierter wird es, wenn die Frage von Zugehörigkeit zur politischen Waffe wird: In der Wahrnehmung des eigenen Lands erscheint Heimat als eine Art Lizenz, derer man sich immer wieder aufs Neue würdig erweisen muss, ein Privileg, das man jederzeit verlieren kann. Im Rest der Welt, so klagten beide, klebe sie hingegen für immer an einem, zumindest wenn man das Pech habe, nicht aus dem Westen zu kommen "Westliche Autoren können Autoren der Welt sein. Ein Inder in New York bleibt immer ein Inder", so Rushdie bitter. Im kulturellen Unbewussten lebe der Imperialismus fröhlich weiter.

An Heimweh schien keiner der beiden zu leiden. "Die, die zu Hause bleiben, sind irgendwie traurige Gestalten", meinte Pamuk, und auch Rushdie kommt mit der Rolle des Fremden gut zurecht: Obwohl das Fortgehen verdächtig sei, gehöre denen, die sich aufmachen, immer die Faszination. Beide schlugen vor, Heimat als einen Prozess, eine Erzählung zu verstehen, die nie zu einem Ende komme.

Das Englische, wo "home" auch ganz schlicht die aktuelle Adresse bedeutet, hilft da. "I have a home. It's in Manhattan", so Rushdie. Und so wichtig Pamuk die Heimat mit dem großen H ist, so sehr genießt auch er sein temporäres Zuhause: "In Istanbul muss ich mich zu allem äußern, ich bin verantwortlich für alles. Verspielt sein, Voyeur sein, das kann ich nur hier. Es ist ein schönes Gefühl."

Es gebe im "Wizard of Oz" nur einen Moment, der unglaubwürdig ist, meinte Rushdie: Wenn die kleine Dorothy aus dem Technicolor-Zauberland Oz nach Kansas zurückkehre und seufze: "Zuhause ist es doch am schönsten." "Kansas ist schwarz-weiß! Nein, zuhause ist es nicht am schönsten."

© SZ vom 8.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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