Otto Tausig aus "Bis später Max!":Der Dagegen-Denker

Als Jude vertrieben, als Kommunist boykottiert, als Schauspieler gefeiert. Otto Tausig nennt all dies: Glück. Ein Krankenbesuch.

Willi Winkler

Der Doktor ist wirklich einer und heißt nicht bloß so wie in Wien jeder zweite Kellner. Und wie von Otto Tausig angekündigt, führt der Doktor auf seiner Kittelbrusttasche in grauen Druckbuchstaben diesen berüchtigten Namen: Dr. Kaltenbrunner, pfeilgrad wie der Gestapo-Chef damals, Massenmörder von Beruf, in Nürnberg gehenkt 1946. Als sich Dr. Kaltenbrunner zum ersten Mal bei seinem Patienten Tausig vorstellte, versetzte der stilgerecht: "Angenehm, Dr. Goebbels."

Otto Tausig aus "Bis später Max!": Die Weltverbesserunsträume seiner Jugend hat Otto Tausig nie vergessen. Heute, mit 87, spielt er wieder einen, den das Schicksal geohrfeigt hat - in Jan Schüttes Film "Bis später Max!".

Die Weltverbesserunsträume seiner Jugend hat Otto Tausig nie vergessen. Heute, mit 87, spielt er wieder einen, den das Schicksal geohrfeigt hat - in Jan Schüttes Film "Bis später Max!".

(Foto: Foto: dpa)

Weil er nicht glauben konnte, dass er, der Jude aus dem 2. Bezirk, der 1938 Eichmann, Brunner und Kaltenbrunner und den anderen Säuberungsagenten noch mal von der Schippe springen konnte, jetzt im Jahr 2009 ausgerechnet von einem Dr. Kaltenbrunner betreut werden sollte. Aber so ist Wien, und der Dr. Kaltenbrunner ist ein sehr guter Doktor.

Otto Tausig erwartet den Besuch in der Urologischen Abteilung und führt ihn zur Einstimmung gleich an den kleinen Schaukasten, der finsterste Medizingeschichte ausstellt: Zangen für die Prostata, filigrane Hodenschäler, monströse Inspektionsfühler, einzuführen in die Harnröhre - lauter angeblich lebenserhaltende, ganz bestimmt aber lebensgefährliche Greifwerkzeuge. Der Schauspieler Otto Tausig, der dabei nichts spielen muss, lacht einfach nur über diesen männermordenden Horror.

In Jan Schüttes Film "Bis später, Max!" spielt Tausig einen Schriftsteller und Nazi-Überlebenden, einen Herumtreiber und Weiberer, spielt er einen ganz Anderen und doch sich selbst. Er hatte mehr als hundert Filmauftritte, zu denen noch Dutzende Filme und Stücke kommen, die er selber inszeniert, und die aberhundert Rollen, die er auf dem Theater in Wien, Berlin, Münster, Zürich und wieder in Wien gespielt hat. Wir waren bei ihm daheim in Döbling verabredet, aber kaum ist das Flugzeug in Wien gelandet, ruft die Agentin an und sagt, dass Tausig überraschend ins Krankenhaus musste. Tausig ist gerade 87 geworden. Er befindet sich im Wilhelminenspital, wo er auf seine Herzfunktion untersucht werden und womöglich einen Schrittmacher bekommen soll.

Und, wie geht es Ihnen, Herr Tausig? "Ach, ich bin zwar alt und überall operiert, aber ich bin nicht krank. Ich hab immer Glück gehabt." Er sitzt neben seinem Bett, wir schauen hinaus in die Trübsamkeit der Wiener Vorstadt, und Tausig freut sich seines langen Lebens.

1922 kam er hier in Wien zur Welt. Sein Vater verkaufte in der Oberen Amtshausgasse Würstel an die Arbeitslosen, die sich um Unterstützung anstellten. Als Hitler 1938 einmarschierte, wäre der 16-Jährige fast gepackt worden, wenn nicht der Blockwart die SA abgelenkt hätte. Anschließend kam er die Familie besuchen und forderte den Schmuck. Tausig erzählt auch das gelassen und nennt es das "goldene Wiener Herz". Das Opfer hielt nicht lange vor, der heimgekehrte Hitler ließ Jagd auf Juden machen.

"Ich hab Glück gehabt mein Leben lang"

Tausigs Eltern bekamen ein Visum und flohen nach Schanghai, er selber wurde mit einem Kindertransport nach London verschickt. In England wurde er als "feindlicher Ausländer" als Erstes in ein Lager gesteckt. Nach dem Krieg kehrte Tausig zunächst zurück nach Wien, spielte am kommunistischen Scala-Theater, ging dann, als kein Geld mehr da war, nach Berlin, nach Ostberlin, wo er zwar privilegiert war, aber zensiert wurde. Zur Strafe haben Friedrich Torberg und Hans Weigel, selber Juden, die unter Hitler und im Exil gelitten hatten, um jeden Preis die Rückkehr des Wieners Tausig in seine Heimatstadt verhindert, weil er Kommunist gewesen war und mit Brecht zusammengearbeitet hatte.

Glück nennen Sie das, Herr Tausig, die Judenverfolgung, die Emigration, den Boykott? "Ich hab Glück gehabt mein Leben lang", beharrt Tausig. "Im Krieg bin ich mehrfach knapp mit dem Leben davongekommen. Einmal bin ich umgezogen, und mein altes Haus wurde zerbombt. Einmal habe ich mich in der Arbeit verletzt und bin am nächsten Tag daheim geblieben. Da wurde die Fabrik zerstört. Was soll ich mich beklagen?"

Der Doktor war ja schon da, und jetzt kommt die Schwester rein mit dem Abendessen; es ist bald fünf. Wir freuen uns an dem Schneegestöber, das plötzlich zwischen die Häuser herniederbricht, aber das kann sie nicht verstehen. "Na, was soll denn daran schön sein?" sagt sie. "Ich muss nachher noch heimfahrn."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Tausig nach Österreich zurückgekommen ist.

"Raunzende Raubmörder"

Die Wiener, zitiert Tausig seinen Lehrer, den Schauspieler Karl Paryla, die Wiener sind "raunzende Raubmörder", aber selbst das Ausrauben werde mit einer Träne im Knopfloch vorgenommen.

Warum ist er zurückgekommen? "Das fragen mich die Leut' immer wieder: Wie konntest du den Mördern auch noch die Hand geben?" Ja, warum? "Einem Mörder würde ich die Hand auch nicht geben. Ich bin aus drei Gründen zurück. Drittens wegen Johann Nestroy. Ich bin Nestroy-Schauspieler. Erstens, weil ich mit anderen hoffte, aus Österreich endlich ein vernünftiges Land machen zu können, ein Land, in dem man leben kann."

Und zweitens? "Zweitens. Schauen Sie: Alle waren Mitläufer. Aber bin ich ihnen deswegen böse?" Er seufzt. "Ich kann ihnen doch nicht böse sein. Die Leute waren nicht gescheit genug. Es war eben Österreich, und in Österreich waren alle Mitläufer." Noch in Wien hatte er sich, "aus wissenschaftlichem Interesse", die Ausstellung "Der ewige Jude" angeschaut.

Marx und Lenin wurden seine Kirchenväter

"Ich hab früh das Dagegendenken geübt, also das, was beim Hitler die ,zersetzende Mentalität der Juden geheißen hat." In England wollte er der Sache auf den Grund gehen und besuchte am Sonntag den Gottesdienst gleich bei vier Konfessionen. Bis er vom Glauben abfiel und einen neuen fand. Marx und Lenin wurden seine Kirchenväter. Er ist im Anblick des Elends groß geworden, das in Deutschland, in Österreich und bald ganz Europa auf Hitler zulief. Wie soll einer da nicht Kommunist werden?

Tausig kann einem ohne Mühe die Logik Stalins auseinandersetzen, der seinen Widersacher Trotzki über die ganze Welt verfolgen ließ, bis ihn der Eispickel des Attentäters schließlich in Mexiko ereilte. Stalin sei es um den Fortbestand der kommunistischen Sowjetunion gegangen, für den Trotzki geopfert wurde. Bei Arthur Koestler fand der skeptische Kommunist die Erklärung für dieses wahnsinnige Denken: Die bereit sind, sich für eine Idee zu opfern, sind auch bereit, andere dafür zu opfern. Als er die DDR verließ, in der er genug Kämpfe mit der Bürokratie ausgefochten hatte, sagte ihm ein Freund, der sieben Jahre im KZ gesessen hatte: "Du kannst das, ich kann das nicht. Es darf nicht alles vergeblich gewesen sein."

Noch was zu tun

"Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?", fragt Tausig mit wienerischer Höflichkeit. "Die haben hier einen recht guten Kaffee im Krankenhaus, fair trade übrigens." Blaugestreifte, unglücklich dreinschauende Männer gehen auf dem Gang auf und ab, erwarten Besuch oder verabschieden ihn mit besorgter Miene. Wer weiß, was wird. Otto Tausig ist unter den Patienten der einzige, der gut aufgelegt ist. "Ich hatte einen Herzinfarkt, meine Hüfte ist repariert, ich krieg vielleicht einen Herzschrittmacher, aber es ist doch ein sehr guter Zustand, dass man auf der Welt noch was zu tun hat."

1983 verließ er nach dreizehn Jahren das Burgtheater, natürlich spielte er weiter. Nicht mehr den Kasperl, den die Wiener so liebten, sondern Otto Tausig. Da er eine "anständige Pension" bezieht, gibt er seither jede Gage von jeder Lesung und jedem Filmauftritt an karitative Organisationen.

Seine Mutter fragte 1947 bei der Wiener Creditanstalt nach, die seinen Großeltern 1943 fast 40000 Schilling Gebühr für die "Juden-Umsiedlung" in Rechnung gestellt hatte, ehe die beiden nach Theresienstadt geschafft und dort umgebracht wurden. Die Bank stellte bei der Nachforschung fest, dass "Ihren im Rubrum erwähnten Herren Eltern" das Geld abgenommen worden war, gab es aber nicht heraus, sondern verlangte sogar noch 35 Schilling Selbstkosten für die Nachforschung. Erst fünfzig Jahre später bekam der Enkel eine Entschädigung ausgefolgt, mit der er in Erinnerung an seine Großmutter das Laura-Gatner-Kinderheim gründete.

Otto Tausig hat die Welt- und Menschenverbesserungsträume seiner Jugend nicht vergessen, engagierte sich in der Friedensbewegung, reiste dafür auch wieder in die DDR, um dort die Nomenklatura zu ärgern und blockierte 1981, unter den wachsamen Augen der österreichischen Staatspolizei, die Auslieferung der Steyr-Panzer an die argentinische Militärdiktatur. Die Regierung jammerte natürlich "Arbeitsplätze!", die Arbeiter schrien "Geh doch nach Russland!", und dann kam eine Lokomotive auf die Protestierer am Werkstor zugefahren. Haben Sie da nicht doch Angst bekommen, Herr Tausig? "Ich hatte solche Angst, dass ich am Abend bei meinem Nestroy-Couplet hängen bleiben würde." Blieb er dann aber nicht, und die Lokomotive hat ihn auch nicht überfahren.

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